Ich legte den Kopf in den Nacken, schaute in seine ozeanblauen Augen

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Verschlafen stand ich am Gepäckband und zog Samus orangene Beanie tief ins Gesicht. Alle Sachen, die ich für einen Winter in Helsinki brauchte, hatte ich noch am Abend unachtsam in einen Koffer geschmissen. Ich konnte den letzten Platz in einem Direktflug nach Helsinki am nächsten Morgen für spotbillige 800 Euro erstehen und hatte mich noch mit der Frau von der 24-Stunden-Hotline herumgeschlagen, bevor ich Daniel Bescheid sagte, dass ich auf unbestimmte Zeit erst einmal von der Bildfläche verschwinden würde. Er wünschte mir „viel Spaß bei Samu" und hatte um eine Postkarte an Weihnachten gebeten.
Manchmal hasste ich es, einen Zwilling zu haben. Daniel wusste immer sofort, was Sache gewesen war.
Immer.
Mein Chef Thomas hatte mir nach dem wirklich netten Gespräch fast etwas wehmütig meine Kündigung überreicht. Ich mochte ihn gerne, obwohl er etwas pedantisch war. Aber ich war zuletzt gekommen, also musste ich auch die Person sein, die zuerst das Feld räumte. Das konnte ich verstehen und nachvollziehen. In anderen Firmen war es schließlich nicht anders. Sofort war ich in mein Büro gegangen, hatte alle Sachen zusammengeräumt, mich für die schöne Zeit und den netten Umgang bedankt und hatte mit erhobenem Haupt –wie in einem amerikanischen Film - mit einer gepackten Kiste aus festem Pappkarton die Redaktion verlassen. Erst als ich die Kiste auf die Rückbank gestellt hatte und auf dem Fahrersitz Platz genommen hatte, bemerkte ich, was an diesem Job hing.
Alles.
Ich war arbeitslos.
Ohne jegliche Perspektive.
Na gut, ich hatte gespart.
Einiges.
Aber ich hatte keine 1000 Praktika gemacht wie andere in meinem Alter.
Ich war bei Universal Music gewesen, hatte danach weiterstudiert und mein Volontariat bei der Zeitung gemacht, die meine Stelle abgebaut hatte.
Und ich war 27 Jahre alt.
Für den Arbeitsmarkt also schon fast zu alt.
Kurz vor der Rente.
Vermutlich konnte ich froh sein, wenn ich irgendwo einen Job bekam, bei dem ich 5,50 Euro in der Stunde verdiente und keine Toiletten putzen musste.
In meiner Verzweiflung hatte ich Samu angerufen. Während des Klingelns konnte ich mich noch zusammenreißen, aber dann begann ich wie ein kleines Mädchen, dem man die Puppe weggenommen hatte, zu flennen.
Als er abnahm, hörte ich Musik im Hintergrund und fühlte mich schlecht, dass ich ihn bei seinem Männerabend mit Jukka störte.
Aber Samu hatte nachgebohrt und nicht locker gelassen, bis ich mit der Sprache rausgerückt war. Sofort hatte er mich nach Finnland bestellt; ich sollte vorbeikommen, weil ich Urlaub und das Samu Haber care-package bräuchte. Das war so unendlich lieb von ihm, dass ich grinsen und gleichzeitig immer noch heulen musste.
Ich hievte den schweren Koffer vom Band und ging erst einmal raus an die frische Luft, um meine Nikotinsucht zu befriedigen. Die kalte Luft fegte mir um die Ohren und mein Feuerzeug wollte auch nicht nur ansatzweise bis gar nicht funktionieren.
Perfekt.
Mein Tag war jetzt schon gelaufen.
Schnaufend ging ich zurück in die Halle und wollte mich auf einen der Plastiksitze setzen, als mein Handy vibrierte.
Samantha.
Warum hatte ich ihn noch immer nicht unbenannt?
„Es ist nicht gut, wenn du kommst hier hin mit diese ugly beanie", flüsterte Samu, als ich abnahm und mich umsah, „diese beanie ist very conspicious. Some people kenne die."
„Wo bist du?"
„Sind deine socks pink?"
Ich schaute an mir herunter.
Die Luft im Flugzeug war total stickig und heiß gewesen. Um etwas „Abkühlung" zu bekommen, hatte ich die Hosenbeine meiner Jeans hochgekrempelt. Und anschließend nicht wieder herunter.
„Now du musst nicht machen runter", sagte Samu, als ich mich bückte, „now es haben gesehen alle."
„Samu, wo bist du?"
„Deine Kapuze ist auch nicht straight."
„Wo bist du denn?", ich zupfte an meinem Kragen herum und schielte durch die Halle.
„Willst du Sahne in deine Kakao?"
Suchend ging ich einige Schritte nach rechts, reckte mich, versuchte, um die Ecke zu stieren. Erfolglos.
„Sahne in die Kakao?", fragte Samu nochmal.
„Ja, bitte", antwortete ich, trottete zurück zu meinem Koffer und ließ mich letztendlich doch auf einen der Sitze fallen.
Einige Sekunden lang hörte ich nur finnisches Kaderwelsch, bis er „bis gleich" sagte und schnell auflegte. Ich sah etwas verstört auf das Display, zuckte mit den Schultern, überschlug die Beine und wippte mit dem Fuß auf und ab.
„Wer ist here?", plötzlich hielt mir jemand die Hände von hinten auf die Augen und streichelte mit den Daumen sacht über meinen Haaransatz.
Als wüsste ich durch die Stimme nicht, wer da war.
Samu.
Ich fasste an seine Finger und strich sanft darüber, während sich auf meinem Gesicht ein Lächeln ausbreitete.
„Stop touching. Wer ist hier?", forderte er mich heraus und wackelte mit den Händen, damit ich meine wegnahm.
„Hm", murmelte ich, „ich weiß nicht. Jude Law?"
„Wrong."
„Ryan Reynolds?"
„No."
„Schwierig."
„Yes. But du hast noch eine paar Versuche."
Ich tippte mir nachdenklich an die Lippe.
„Johnny Depp?"
„No."
„Ian Sommerhalder?"
„No."
„James Franco?"
„Hell", er lachte, „you're fucking wrong."
„Adam Levine?"
„Singer is right, but no."
„Dann weiß ich es nicht, tut mir leid", ich ließ die Luft zwischen meinen Lippen vibrieren, „ich kenn sonst niemanden."
„Last try", wieder strichen seine Daumen über meine Schläfen.
„Markus Lanz?"
„What?", Samu nahm die Hände von meinen Augen und stützte sich auf meinen Schultern ab, „Markus Lanz?"
Ich legte den Kopf in den Nacken, schaute in seine ozeanblauen Augen und ertrank augenblicklich in diesen.
Mein Herz machte einen Purzelbaum, stand wieder auf, schlug ein Rad, machte einen Flickflack, gefolgt von einem Handstand.
„Markus Lanz?", fragte er empört und küsste zärtlich meine Stirn, „du hast eine fucking schlechte Geschmeck, Lady."
„Ich arbeite daran", grinste ich, „ist schwierig."
„Ja?", schmunzelte Samu mich an.
„Sehr, ja", das Grinsen auf meinen Lippen wurde von Sekunde zu Sekunde breiter.
Samu strich mit den Fingerknochen über meinen Hals und schickte mein Herz ein weiteres Mal durch den Sportparkour: Purzelbaum, Rad, Flickflack, Handstand.
„Moi", säuselte ich, ergriff seine Hand und begann, mit seinen Finger zu spielen.
„Hei", lachte er mich an und zog einen Mundwinkel schief nach oben, „sorry, dass ich nicht bin die Adam Levine oder James Franco."
„Daran kannst du ja auch noch arbeiten", neckte ich ihn und umschloss seine Hand mit meiner.
Ohne mich loszulassen ging er um die Stühle herum und setzte sich neben mich.
„Moi", grinste Samu und lächelte.
„Hei", gab ich ebenfalls grinsend zurück und rutschte näher an ihn heran.
Langsam legte er den Arm um mich und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe.
Purzelbaum, Rad, Flickflack, Handstand.
Ich ließ seine Hand los, fasste an sein Gesicht und zog ihn zu einem Kuss dicht an mich heran.
Purzelbaum, Rad, Flickflack, Handstand, Purzelbaum, Rad, Flickflack, Handstand, Purzelbaum, Rad, Flickflack, Handstand.
Sein Bart kitzelte unter meinen Fingerkuppen, als ich meine Hände in seinen Nacken wandern ließ.
Ich hatte ihn so sehr vermisst.
Und plötzlich war der ganze Ärger und die Wut über den Verlust meines Arbeitsplatzes wie weg geblasen.
Ich brauchte nichts anderes als das hier.
Samu bremste mich, bevor ich ihm an die Wäsche gehen konnte, stand auf, nahm meinen Koffer in die Hand und bückte sich hinter den Sitzen zum Boden, um die zwei Becher mit Kakao und Kaffee aufzuheben, bevor wir Hand in Hand zum Auto gingen.


Wir luden alle Sachen in den BMW, Samu hielt mir die Beifahrertür auf, während ich die warmen Getränke ausbalancierte.
„Now we start", sagte er, bevor er die Tür zuschlug und selbst einstieg.
„Womit?"
„Samu Haber care-package", grinste er und deutete auf meinen Becher, „try."
„Füllst du mich ab?"
„Not now", ein Zwinkern huschte über sein Gesicht, „try."
Ich nahm den Deckel des Coffee to go-Bechers ab und trank einen Schluck meines Kakaos. Er schmeckte wahnsinnig cremig und lag mir nach dem Runterschlucken sofort schwer im Magen.
Aber lecker.
Viel zu lecker.
„Und?"
„Irgendwas ist anders", merkte ich an, „irgendwie ist das sehr schwer."
„You wanted Sahne", wieder zwinkerte er.
„Und es ist keine Sahne?"
„Doch", Samu nickte, „but Eissahne. With a lot of fat."
„Was?", sagte ich gespielt empört.
„Fett ist die Geschmeckträger and du bist sad. So I thought maybe you l..."
„Ich liebe es", grinste ich und trank noch einen Schluck, „aber danach muss ich vielleicht brechen."
„No problem. Hinten ich habe eine rubbish sack."
„Du bist also vorbereitet."
„For everything", erneut zwinkerte er und startete den Motor, „maybe wir haben eine corpse auf die Weg. Or we murder somebody."
Warum zwinkerte er immer?
Das brachte mich –neben seinem Lächeln- völlig aus dem Konzept.
„Das war Punkt eins auf von die care-package. Eine fettige drink."
„Damit ich fett werde?"
„No", er schüttelte den Kopf, „but die fat und die zucker von die Kakao macht deine blood sugar level hoch und dann du bist happier."
„Gerade bin ich ganz happy", grinste ich.
„Good. Dann bist du bereit für step number two", Samu beugte sich zu mir herüber und umfasste mein Gesicht mit seinen Händen, „close your eyes."
Hastig stellte ich den Becher auf das Armaturenbrett des Wagens und spürte seine weichen Lippen auf meinen.
Gott, wie ich das vermisst hatte.
Samu strich mit den Daumen über mein Kinn, öffnete so meinen Mund und ließ seine Zunge achtsam zwischen die Lippen gleiten. Wie von selbst umgriff ich seine Handgelenke und beugte mich ihm entgegen, um den Kuss zu intensivieren. Als Samu anfing, stürmisch meine Lippen mit seinen einzusaugen und meine Unterlippe zu malträtieren, schob ich ihn widerwillig ein Stückchen von mir weg.
Ich wollte das mindestens genau so sehr wie er. Aber nicht hier im Parkhaus. War Sex im Auto Erregung öffentlichen Ärgernisses? Kamen wir dafür ins Gefängnis? Und wenn ja – Sprachen die Beamten mit mir konsequenterweise finnisch? Und ich würde bei meinem Prozess kein Wort verstehen?
„Ich will nicht ins Gefängnis", keuchte ich nah an Samus Gesicht und drehte den Kopf zur Seite.
„Was?"
„Ich kann kein finnisch."
„Emmi", Samu lachte mich aus, „what the hell are you talking about?"
Ich schaute ihn an und legte den Kopf schief.
„Ich will das mindestens genauso sehr wie du."
„But?", Samus Augenbrauen wippten wellenförmig, „nicht in die car?"
Ich nickte.
„Wenn uns jemand erwischt, gibt das bestimmt 'ne Anzeige."
„Now ich verstehe mit die prison", lachte er laut und warf den Kopf in den Nacken, „but sex ist nicht number three in die package. You have to wait dann."
„Nein?"
Samu verneinte kopfschüttelnd.
„Number three is eine massage. Naked. Both. Maybe step four ist sex."
„Kann ich dann jetzt nochmal die Nummer zwei haben? Ich fühl mich gerade nicht so, als könnte ich die ganze Fahrt über ohne klarkommen", ich schob die Unterlippe nach vorne und blinzelte ihn von unten an.
„Bitch", feixte Samu und küsste mich nochmal, bevor wir endlich losfuhren.

Just friends?Where stories live. Discover now