Alkohol

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Das Hämmern gegen die massive Tür des Hotelzimmers riss mich aus dem Schlaf.
„God", rief ich laut, strampelte die Tagesdecke an das Fußende und robbte aus dem Bett. Kaum stand ich, hatte ich das dringende Bedürfnis mich einfach wieder fallen zu lassen. Der Alkohol hatte mir nicht gut getan. Ich fühlte mich wie überfahren.
Von einem Auto.
Oder Panzer.
Ich watschelte verschlafen zur Tür, trat mein schwarzes Shirt zur Seite, öffnete sie und sah in das Gesicht eines Hotelangestellten. Ich kratze mich an meinem nackten Bauch und nickte ihm erwartend zu.
„Bitte entschuldigen Sie", er räusperte sich, „ich soll Ihnen diesen Zettel zukommen lassen."
„Dankeschon", meinte ich knicksend, riss ihm den Zettel aus der Hand und stieß die Tür mit der Fußsohle zu.
Hatte ich jemanden aufgerissen? War ich wieder mit einer Frau im Hotelzimmer gelandet und wusste nichts mehr davon?
Ich setzte mich auf den hässlichen apricotfarbenen Sessel und ließ den Zettel zwischen meinen Fingern hin und her wandern, ehe ich ihn auf faltete.
„Danke, 0176/4512974", las ich vor mich hin und wusste nicht, was für eine Art „danke" diese Nummer war.
Danke, weil ich ein guter Liebhaber war und die letzte Nacht unbedingt wiederholt werden sollte?
Danke, weil ich jemanden nicht angefasst hatte?
Oder danke, weil meine soziale Ader überhandgenommen hatte und ich jemandem den Arsch gerettet hatte?
Ich starrte ein weiteres Mal auf den Zettel und bemerkte dieses komisch geschwungene „k", welches ich nur von einer Person kannte.
Emma.


Jan setzte mich vor meiner Haustür ab und versprach, erst am Abend mit etwas Essbarem wiederzukommen, wenn ich das wollen würde. Ich sollte mich ausruhen und erstmal ankommen. Kaum hatte ich die Wohnungstür in das Schloss fallen lassen, zog ich den vollen Koffer in das Wohnzimmer und schlüpfte unter die Dusche. Ich hatte das Gefühl, in Alkohol gebadet zu haben. Alles roch nach Wodka, Bier und Zigaretten. Etwas mehr als 20 Minuten und zweimaligem Haare waschen hatte es gedauert, bis ich nur noch den frischen Geruch des Maracujashampoos wahrnahm. Ich wickelte mich in eines der warmen Frotteehandtücher von der Heizung und kuschelte mich wieder in mein Bett. Ich drehte mich auf den Rücken und starrte nachdenklich an die Decke.
War es falsch gewesen, Samu meine Nummer zu hinterlassen?
Ein einfaches Dankeschön auf dem Zettel hätte es auch getan.
Wie war ich nur auf diese absurde Idee gekommen?
Restalkohol vermutlich.
Ich hatte den Abend genossen und musste mir eingestehen, dass es Spaß gemacht hatte, mich mit ihm zu unterhalten und zu erfahren, was er in den letzten Jahren gemacht und erlebt hatte. Dass er die ganze Woche über ebenfalls in Berlin gewesen war um Osmo am Donnerstagabend bei einem Auftritt mental mit seiner Anwesenheit zu unterstützen, hatte mich überrascht. Wir waren uns kein einziges Mal über den Weg gelaufen, was vermutlich an der Größe der Stadt lag. Im Nachhinein hätte ich aber gar nichts dagegen gehabt, auf ihn und die Jungs zu treffen. Es war weitaus weniger schlimm, als ich gedacht hatte und schließlich waren wir einmal befreundet gewesen.
Sehr gut befreundet, wenn man die Tatsache außer Acht ließ, dass ich mich verliebt hatte.
Ich gähnte müde, streckte mich ausgiebig und schloss die Augen, um den versäumten Schlaf der letzten Nacht nachzuholen.


Nach einer heißen Dusche ging es mir besser. Ich sah zwar noch immer müde und angeschlagen aus, aber wenigstens roch ich nicht mehr nach Kneipe. Die Haare rubbelte ich mit einem der weichen Handtücher ab, um sie anschließend mit einem Kamm streng nach hinten zu kämmen. Spaßeshalber zog ich mir einen Mittelscheitel und schaute in den Spiegel. Ich sah damit aus wie ein alter, faltiger Büroangestellter. Mir fehlte lediglich das blau-gestreifte Hemd und die provisorische Krawatte und ich hätte jedem in diesem Hotel erzählen können, ich sei Versicherungsmakler. Ich lachte kurz, strich die Haare mit der flachen Hand nach hinten, zog mir im Schlaf- und Wohnbereich eine Jogginghose und ein T-Shirt über und bestellte mir ein Clubsandwich mit Salat, Tomaten und Hähnchenbrustfilet und einen koffeinhaltigen Softdrink beim Roomservice. Danach fiel ich zurück in das ungemachte Bett und ließ den Notizzettel mit Emmas Nummer zwischen den Fingern hin und her gleiten.


Mir war unfassbar übel, als ich aus meinem Nachmittagsschläfchen erwachte.
Alles drehte sich.
Immer noch.
Ich strauchelte mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Küche und warf sofort eine Schmerztablette, die ich mit einem halben Glas Wasser herunter spülte, ein. Einige Minuten stützte ich mich auf der Arbeitsplatte ab und atmete langsam ein und aus und überlegte krampfhaft, wie zu diesem schlechten Allgemeinzustand kommen konnte.
Samu.
Eindeutig.
Ich schleppte mich mit meiner Clutch in das Wohnzimmer, fiel rückwärts auf das steingraue Ecksofa und checkte mein Handy auf neue Mitteilungen oder verpasste Anrufe.
Nichts.
Warum sollte Samu sich auf einen Zettel melden? Ich hatte meinen Namen nicht darunter geschrieben. Wenn er genauso betrunken war wie ich, war es eher unwahrscheinlich, dass er sich bei mir melden würde.
Jammernd legte ich den Unterarm auf die Stirn und griff mit der anderen Hand nach dem Prospekt eines Lieferservices, das in dem Ablagefach unter dem Glastisch lag. Am liebsten hätte ich eine Familienpizza mit Paprika und Fetakäse verdrückt. Aber aus der Vergangenheit wusste ich, dass genau das bei einem Kater überhaupt nicht gut war. Also setzte ich mich etwas zu schnell auf, wartete kurz darauf, dass mein Kreislauf hinterher kam und zog mir dann im Schlafzimmer eine alte Sporthose von Daniel und einen dicken Wollpullover über, um wenig später die kalte Januarluft in meinem Gesicht zu spüren.


Das Clubsandwich schmeckte alles andere als frisch. Angewidert faltete ich das Papier zusammen, um es dann auf den Boden zu werfen. Diese apricotfarbenen Möbel und Wände machten mich irgendwie unterschwellig aggressiv. Und die Tatsache, dass ich Emma mit hier hin geschleppt hatte auch.
Ich versuchte, dass Puzzle in meinem Kopf zusammenzusetzen.
Felix, Osmo mit Emma, Emma verstört, Bier, Bier, Bier, Emma, betrunken, Bier, Jägermeister, Wodka, Bier, Filmriss.
Ich hoffte, nicht mit ihr im Bett gelandet zu sein. Panisch drückte ich den Lichtschalter auf der rechten Seite des Bettes und suchte nach irgendwelchen Anzeichen, die auf Sex hindeuteten. Eine Kondomverpackung, vielleicht sogar ein benutztes.
Aber nichts.
Angestrengt legte ich den Kopf auf meine angewinkelten Knie.
Sie wollte gehen.
Sogar mehrere Male.
Und immer wieder hatte ich sie mit einem weiteren Drink aufgehalten.
Aber warum ich sie aufgehalten hatte wusste ich nicht mehr.
Ich wusste nur noch, dass wir uns gut unterhalten hatten, als hätte niemals irgendetwas zwischen uns gestanden.
Und dann waren wir tanzen gegangen.
Oh baby when you talk like that, you make a woman go mad. So be wise and keep on reading the signs of my body. And I'm on tonight, you know my hips don't lie and I am starting to feel you, boy. Come on, let's go real slow. Don't you see, baby así es perfecto.
Die Erinnerungen kamen zurück.
Shakira.
Meine Hände an Emmas Hüften und Taille.
Meine Hände an Emmas Wangen.
Mein gescheiterter Kussversuch, weil ich mich nach den ganzen Bettgeschichten für den größten Stecher aller Zeiten hielt. Zugegeben: Ich war mir eigentlich sehr sicher gewesen, dass ich bei Emma immer noch einen Stein im Brett hatte. Aber was war in mich gefahren, dass ich diese Karte ganz offen für mich nutzte?
Ich wusste es.
Alkohol.
Um mich von den Auswirkungen eben dieses abzulenken, griff ich erneut zum Hörer des Telefons um an der Rezeption zu erfragen, ob die private Spa-Suite im Laufe des Nachmittags noch buchbar war.


Ich hatte das Gefühl, stundenlang durch die Siedlung geirrt zu sein. Meine Beine waren immer noch schwer und der Kopfschmerz war nicht wesentlich besser geworden, aber dafür hatte ich meinen Kreislauf halbwegs wieder im Griff. Die Sonne glitzerte am Horizont und war bereits dabei wieder unter zu gehen. Für meinen Geschmack viel zu schnell und viel zu früh.
Mein Vermieter Herr Panke streute Salz und winkte mir freundlich zu, als ich die Stufen zu meinem Souterrain hinabstieg. Fröstelnd öffnete ich die Tür und legte mich anschließend mit meiner Zudecke im Wohnzimmer auf das Sofa. Wie selbstverständlich schaltete ich Fernseher und DVD-Player an und beobachtete Daniel Craig ein weiteres Mal dabei, wie er die Welt vor einer globalen Katastrophe bewahrte.
Er hatte sich gerade mit einem seiner Bondgirls vergnügt, als mich das Läuten der Haustür zusammenschrecken ließ. Noch bevor ich die Tür öffnete, schwor ich mir und meinem Körper hoch und heilig, nie wieder so viel zu trinken, dass ich an dem darauffolgenden Tag zu gar nichts mehr zu gebrauchen war.
„Wie siehst du denn aus?", Jan starrte bestürzt in mein Gesicht.
„Fick dich", beleidigte ich ihn lachend und ging zurück auf das Sofa.


Ich konnte nur Osmo zu einer privaten Sauna-Session in dem von mir angemieteten Spa-Bereich überreden. Die Anderen waren nach wie vor bis über beide Ohren den Nachwirkungen eines Alkoholrausches unterlegen; außerdem war ein Saunagang nach einem derartigen Alkoholexzess alles anderes als gut für den Körper. Aber ich fror und wollte heute Nacht gut schlafen, bevor es am Morgen zurück nach Finnland ging.
Nach anfänglichem Schweigen begann Osmo wie wild zu plappern und entschuldigte sich dafür, dass er Emma in die Lounge geschleppt hatte. Er habe nicht gewusst, wie schlimm diese Trennung damals gewesen war und wollte weder sie noch mich irgendwie in Verlegenheit bringen.
Das hatte er nicht getan.
Allein aus dem Grund, weil wir beide voll wie Strandhaubitzen waren.
Ich erzählte ihm, dass wir uns getroffen hatten, als Emma gerade gehen wollte und wir uns daraufhin den restlichen Abend gut miteinander unterhalten hatten. Er nickte zustimmend und unterbrach mich, als ich ihm mitteilte, dass sie im November das Interview mit mir hätte führen sollen. Er war total erschrocken, weil es für ihn erst jetzt einen Sinn machte, dass es nicht geklappt hatte, weil ich sonst immer ein eigentlich eher umgänglicher Zeitgenosse war. Mikko hatte nach dem Interview in der Redaktion veranlasst, dass kein Wort über den Zwischenfall in dem Hotelrestaurant verloren wurde. Ich hielt mich daran und Osmo war bisher der einzige Mensch, dem ich davon erzählte. Riku hätte mir die Hölle heiß gemacht, wenn er gewusst hätte, dass ich Emma getroffen hatte. Auf die anfängliche Euphorie über das Zusammentreffen wären Vorwürfe auf mich eingehagelt, weil er mir ihren Rausschmiss von damals immer noch übel nahm.
Mutmaßlich mehr als sie mir.
Während ich da saß und neben Osmo vor mich hin schwitzte, schoben sich Erinnerungsfetzen in meinen Kopf.
Ich erinnerte mich daran, dass ich mir das Shirt bereits im Aufzug des Hotels über den Kopf gezogen hatte, weil Emma gemeint hatte, sie müsste die wenigen Meter zum Hotel rennen. Diese Art von Sport, gepaart mit literweise Alkohol brachte mich ins Schwitzen. Sie hatte mir auf den Bauch geschlagen und gemeint, ich sei gut in Form, obwohl ich so alt war. Ich quittierte das mit einem Lausbubengrinsen und drängte sie daraufhin in eine der Ecken des Lifts. Fest umschloss ich ihr zartes Gesicht mit meinen Händen und leckte grob über ihren Hals. Sie seufzte wohlig und neigte ihren Kopf zur Seite.
Angestrengt stemmte ich meinen Kopf in die Hände und drückte die Handballen in die Augenhöhlen.
Was war dann passiert?
Der Lift stoppte auf meiner Etage, öffnete die Türen.
Und dann?
Wir standen immer noch dort.
Ich hatte mich zu ihrem Ohrläppchen hochgetastet und saugte ausgiebig daran. Meine Hände lagen mittlerweile auf ihren Hüften.
Sie hingegen vergrub ihre Hände in meinen Haaren und nuschelte irgendetwas Unverständliches vor sich hin.
Ich hielt einen Moment inne, legte meine Hände wieder um ihren Hals und schaute in ihre großen braunen Augen, bevor sie sich bückte, mein Shirt und ihre Clutch vom Boden aufsammelte und mich an der Hand aus dem Fahrstuhl zog, solange die Türen noch geöffnet waren.
Hatte ich doch mit ihr geschlafen?
Osmo klopfte mir auf den Oberarm, weil ich erneut nicht auf seine Frage, wie Emma nach Hause gekommen sei, reagierte.
Unmöglich konnte ich ihm sagen, dass ich Emma mit auf mein Zimmer genommen hatte.
Ich zuckte mit den Schultern und entknotete wieder das Geflecht aus Alkohol und zu wenig Schlaf in meinem Kopf.


„Und du liegst schon den ganzen Tag hier rum?", erkundigte Jan sich und gabelte eine Gurkenscheibe aus meinem Salat.
Ich nickte und klaute ihm ein Stück Aubergine aus seinem Nudelgericht.
„Zum Glück hab ich morgen noch frei, anders würde ich das nicht überleben."
„Nächstes Mal also weniger?"
„Nächstes Mal gar nicht", grinste ich und zog die Zudecke über meine Beine.
Stumm saßen wir nebeneinander, stopften still unser bestelltes Essen in uns hinein und blickten gespannt in das Fernsehgerät.
„Also das hätte ich nicht erwartet", schmatzte Jan während des Abspanns und wischte sich den Mund mit einer weißen Serviette ab, um anschließend den Arm um mich zu legen, „dass James Bond es mal wieder schafft."
„Er ist halt ein Held", ich stellte die Reste des Salats auf den Wohnzimmertisch und lehnte mich an seine Brust.
„Spiderman ist ein Held. James Bond ist nur Geheimagent."
„Der die Welt rettet, weil er von Q gut ausgestattet wird", ergänzte ich, „nicht, weil ihn eine Spinne gebissen hat."
„Der muss trotzdem was für seinen Erfolg tun."
„Aber James Bond ist ein Alltagsheld."
„Du bist auch ein Alltagsheld", schmunzelte Jan und zog mich zu einem Kuss zu sich, „hättest du was dagegen, wenn ich heute Nacht hier bleiben wollen würde?"
„Ich weiß nicht", meine Hände fuhren über die Knöpfe seines blauen Hemds, „da muss ich wohl in der Zentrale nachfragen, ob das möglich ist."
Und ich war doch verliebt.
Eindeutig.
„In der Zentrale, ja?", er küsste meinen Hals und ließ seine Lippen bis zu meinem Schlüsselbein wandern.
„Zentrale", wiederholte ich hauchend und schloss die Augen.
„Ich liebe dich", wisperte Jan in mein Ohr, zog mich augenblicklich auf seinen Schoß und fuhr mit seinen Händen gierig unter den Wollpullover um den BH zu öffnen.
„Ich dich auch", presste ich hervor und löste mich von seinen Lippen.
Sein Blick war erstaunt.
„Alles ok?"
Ich krabbelte von seinem Schoß herunter und deutete mit dem Kopf auf den Wohnzimmertisch.
„Ich räum hier kurz auf."
Er starrte auf den Tisch.
„Mehr als drei Minuten geb ich dir dafür nicht", lachte er, küsste mich stürmisch und warf mir das Hemd zu, welches er auf dem Weg ins Schlafzimmer ausgezogen hatte.
Schnell stellte ich die Styroporverpackungen des Lieferdienstes in die Küche, packte die Gläser in die Spüle und wischte die Glasränder auf dem Tisch mit einem Schwamm weg. Ich ließ die Rollos im Wohnzimmer herunter und warf noch einen Blick mein Handy, welches ich in einem der Fächer über dem Fernseher gelagert hatte.
„Now I'm sober and you're not here. Our plan already worked, chacka!"
Samu.
„My headache is still omnipresent ;-)", antwortete ich lächelnd und sperrte die Tasten.

Just friends?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt