37 • Von Trauer, Fehlern und Entschlüssen

2.3K 188 16
                                    

Es war der dritte April, als Lina ging.

Ihr neunzehnter Geburtstag.

Vor knapp einer Woche sagte Amelia ihr, dass es in Ordnung war, zu gehen.

Trotzdem traf es die Witwe hart, als sie die erwartete Nachricht schließlich bekam.

Forge Miles persönlich überbrachte sie ihr. Er sagte auch, dass es besser war, wenn Amelia ihre Nichte nicht noch einmal sah.

Das würde es noch schlimmer machen, als es sowieso schon war, hatte er gesagt.

Amelia hatte bloß mit gesenktem Kopf die Tür geschlossen.

Noch am selben Tag wurde die Nachricht auf der ganzen Welt verbreitet. Trauer herrschte über die Erwählten von Nah und Fern.

Die Herzen der Angehörigen von Lina, die einst zu Eis erfroren waren, zersplitterten an diesem Tag.

Ein Meer aus Scherben umgab Stavose.

Vier Leute saßen an jenem eigentlich normalen Apriltag in Lina's ehemaligem Zimmer in ihrem Stavoser Heim.

Jackson hatte sich in eine Ecke verkrochen, Logan lag mit einer leise weinenden Audrey im Arm auf Lina's Bett, Alex saß mit angezogenen Kien auf den Parkettboden und hatte sein Gesicht in seinen Händen vergraben.

Magnus leistete Amelia im Erdgeschoss Gesellschaft.

Meredith saß neben ihr. Gemeinsam mit ihrer Tochter Claire starrte sie die riesige Fotowand gegenüber der Couch an.

Doch zwei Leute fehlten in diesem Bild der Trauer.

Während ihre Freunde versuchten den Tod ihrer guten Freundin zu verarbeiten, sträubte sich Lily Richards vehement dagegen zu akzeptieren, dass Lina den Kampf aufgegeben hatte.

Wie jeden Morgen in den vergangenen anderthalb Jahren betrat sie deshalb das Stavoser Krankenhaus und machte sich auf den Weg zu den Aufzügen.

Ein kurzes ‚Pling' signalisierte ihr, dass ein neuer Aufzug eingetroffen war.

Dieser war bis auf einen jungen Mann leer.

Lily lehnte sich etwas von ihm entfernt gegen die kühle Metallwand und stellte resigniert fest, dass der Knopf für ihr Stockwerk schon gedrückt worden war.

Eine etwas unangenehme Stille herrschte in dem Metallkasten, als er kurz darauf durch die Stockwerke pendelte. Das blonde Mädchen fühlte sich beobachtet.

Als sie sich zu dem Mann umdrehte und etwas sagen wollte, sah sie unter der aufgezogenen Kapuze ein violett-grünes Augenpaar aufblitzen.

„Corin?"

Angesprochener wirkte nicht sonderlich erschrocken, nickte dann jedoch und strich sich die Kapuze ab.

„Was tust du hier?" fragte Lily weiter und musterte den abgemagerten Jungen.

Jener richtete bloß seinen Blick gen Decke und schien nach etwas zu suchen.

„Wa-"

„Kameras." entgegnete Corin ernst, als die Blonde etwas einwerfen wollte.

„Komm mit." forderte er die Jüngere auf und zog sie aus dem sich gerade öffnenden Aufzug.

Am Ende des Ganges, auf dem Lina's Zimmer gelegen hatte, befand sich auch ein Aufenthaltszimmer für Besucher.

Zügig schloss Corin die Tür hinter den Beiden, nachdem er sich versichert hatte, dass sich niemand anderes in dem Raum befand und auch; soweit er es beurteilen konnte; keine Kameras installiert waren. Sicher war er sich allerdings nicht.

„Also?" fragend hob Lily eine Augenbraue und verschränkte die Arme.

„Ich weiß, dass du genauso wenig wie ich denkst, dass Lina wirklich tot ist." Corin redete leise, denn das letzte was er wollte war, dass ihn jemand hörte.

„Nein, Corin. Lina ist tot. Ich weiß es, akzeptiere es bloß nicht." erklärte Lily und ließ sich auf einem der abgenutzten blauen Plastik-Stühle nieder.

Corin schüttelte bloß langsam den Kopf und setzte zu einer Erklärung an.

„Ich hatte heute Archivsdienst in meiner Akademie. Rave, unser Schulleiter, wollte mich eigentlich wegen dem Tod-" Er setzte das Wort ‚Tod' in Anführungszeichen.

„Von Lina verschonen, aber ich winkte ab. Ich dachte es würde mich auf andere Gedanken bringen. Während ich also Bücher sortierte, stach mir eins ins Auge, was jemand offen liegen gelassen hat. Dort waren alle Besitzer einer Glaskugel in der Burgsroth Academy seit Anbeginn der Akademie verzeichnet."

Lily sah ihn nur schräg an. Corin seufzte ergeben.

„Jedes Wesen mit magischen Kräften bekommt beim Betreten unserer Versammlungshalle eine Glaskugel als Energiequelle zugewiesen."

„Ähnlich wie die Energiesteine an der Element Academy?" hakte das Mädchen nach.

„Exakt. Also, dort waren alle, und damit meine ich auch alle, Wesen, die jemals eine Glaskugel besessen und genutzt haben, aufgelistet. Ob nur für eine Stunde oder zwanzig Jahre."

„Was willst du damit sagen?" hakte Lily etwas verwirrt nach.

Corin fuhr sich bloß nachdenklich durch die Haare und setzte sich dann neben sie.

„Neben den Daten, wann die Kugeln benutzt wurden, stehen auch einige Informationen über die Person. Als ich bei einigen sogar das Todesdatum fand, begann ich sofort, Lina's Kugel zu suchen.

Den ganzen Vormittag verbrachte ich damit. Irgendwann hatte ich sie dann gefunden."

Der brünette Junge sah eindringlich in Lily's Augen und sprach dann mit deutlichem Nachdruck weiter.

„Alle Daten stimmten. Aber eine Sache fehlte; ihr Todesdatum."

„Vielleicht hat einfach jemand vergessen es einzutragen?" Lily wusste selbst, dass das nicht die Wahrheit war. Und das wurde auch durch ein kurzes Auflachen von Corin bestätigt.

„Alle Bücher in diesem Archiv sind magisch; auch die Einträge. Es ist also unmöglich, dass ein Eintrag fehlerhaft ist."

Als Lily erneut in Corin's Augen sah, konnte sie so viel Ehrlichkeit erkennen, wie noch nie zuvor bei einem Menschen.

Sie hatte viel über den Jungen gehört, hauptsächlich Schlechtes.

Doch sie entschloss sich, ihm zu glauben.

Einen Entschluss allerdings behielt die Blonde stets im Hinterkopf.

Sollte er gelogen haben, würde sie ihn eigenhändig umbringen.

---

Ey Gleam, das ist doch wohl ein schlechter Witz.

Tja, jetzt kann ich mich wohl nicht mehr raus reden.

Ich gehe mich dann mal vor den Mordlustigen unter meinen Lesern verstecken.

Off and Out,

Gleam.

elected - rise of elementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt