21 • Wenn der Sturzregen zurückkommt.

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Ich fand es wirklich interessant zu sehen, wie Audrey und Lily lautstark am Diskutieren waren, während Sebastian seine Freundin zurück halten musste, der Blonden die Kehle aufzuschlitzen.

Das alles war vor fünf Tagen. Seitdem ist nichts Besonderes mehr passiert. Lily habe ich in den letzten Tagen oft in den Trainingsraum gehen sehen, wahrscheinlich ließ sie ihre Aggressionen an einem Sandsack aus.

Es war bereits spät am Abend, ich saß gerade im Essensraum und lud meine Energiereserven auf, als eine weitere Person den Raum betrat.

Ich achtete nicht weiter darauf sondern las weiter in meinem Buch, bis diese Person sich neben mich fallen ließ.

„Sebastian hat mir heute erzählt, Lily wäre komisch drauf gewesen, was ist los?"

Alex blaue Augen strahlten Neugier aus. Ich seufzte.

„Verliebte Mädchen sind immer so."

„Verliebt. Lily. Als ob." Jedes einzelne Wort betonte Alex, und zum Schluss lachte er auch.

„Was ist so witzig?" fragte ich und legte das Buch beiseite.

„Leia war noch nie verliebt. Sie kennt das Wort Liebe praktisch nicht, in ihrer Familie gab es sowas nicht."

„Was meinst du?" Ich runzelte die Stirn.

„Ihre Eltern sind zwangsverheiratet und sie wurde immer geschlagen, hat sie mir zumindest erzählt. Und als dann ihre Schwester gestorben ist... Sie hatte es nie leicht, Lina."

Das hatte mir Lily nie erzählt. Ich kannte sie zwar noch keine Ewigkeiten, aber ich dachte, ich wüsste viel über sie.

Bei Claire damals war es anders. Sie hat mir von Anfang an alles erzählt. Zwischen uns gab es nie Geheimnisse. Ich vermisste sie manchmal wirklich sehr, obwohl ich nicht viel an sie dachte.

„Lina?"

Mein Kopf schellte zur Seite. „Hm?"

„Ich hab dich gefragt, ob du mit spazieren gehst. Wo bist du nur heute mit deinen Gedanken?" Er lächelte mich an.

„Klar." antwortete ich knapp und packte das Buch in meine Ledertasche, die auf der Bank neben mir stand. Beim Aufstehen sah ich mich noch einmal im Raum um. Es war niemand hier, bis auf zwei Personen die etwas abseits an einem Tisch saßen und einer einzelnen Person ganz in der Nähe von uns, die die Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte.

Ihr Energiestrahl war rot, also ein Feuer-Erwählter. Dachte ich zumindest in diesem Moment noch.

Ich blickte zu Alex, der mich immer noch anlächelte, sein Energiestrahl war blau, wie schon immer. Und meiner?

Blau, grün, rot, grau, weiß, immer im Wechsel. Ich verdrehte die Augen und schulterte meine Tasche, ehe ich Alex aus dem Raum folgte.

„Vermisst du eigentlich deine Familie?" fragte ich nach einiger Zeit, in der wir schweigend neben einander herliefen.

„Nicht wirklich, meine Eltern sind immer arbeiten, ich habe sie quasi eh kaum gesehen, da machen die paar Minuten auch keinen Unterschied."

„Minuten?"

„Wenn meine Eltern dann mal kurz zu Hause waren, sind sie sofort wieder abgereist. Das ist auf Dauer ziemlich frustrierend gewesen, besonders mit vierzehn Jahren. Aber zum Glück bekam ich im selben Jahr mein Element und konnte hier auf die Schule gehen."

Ich nickte nur. Alle hatten eine so gravierende Vorgeschichte. Wie war es bei mir? Gab es bei mir auch etwas Besonderes, dass ich noch nicht wusste, oder war es bei mir alles in Ordnung? Wobei ‚In Ordnung' die falsche Beschreibung war. Meine Eltern sind bei einem Autounfall gestorben und haben mich alleine gelassen.

Manchmal fragte ich mich, wie es gekommen wäre, hätte es diesen Geisterfahrer nie gegeben.

Hätte mein Vater rechtzeitig ausweichen können. Hätte ich nie diese ohrenbetäubenden Schreie meiner Eltern gehört. Hätte ich nie diese Todesangst verspürt, die mich heute noch nachts erzittern ließ.

Und in diesem Moment, prasselte alles wie ein Sturzregen auf mich ein.

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„Es soll morgen schneien, Schatz. Es kam eben im Radio. Warte, was ist das da hinten?"

„Scheinwerfer!"

„Wieso kommen sie näher auf uns zu!?"

„Ein Geisterfahrer!"

Ich hörte zu diesem Zeitpunkt Musik und hörte erst wieder richtig zu, als meine Mutter fest an mir rüttelte.

„Lina, halt dich fest!" schrie sie mir fast schon entgegen.

Ihr Kopf schwang herum und plötzlich redete sie mit jemandem neben mir.

Ich sah zur Seite. Dort saß eine Silhouette, die immer sichtbarer wurde.

Und ab da nahm ich keine Geräusche mehr war. Die Musik in meinen Ohren verstummte und ich hörte nur noch das Pumpen meines Herzens.

„Jackson, halt deine Schwester fest! Ich liebe euch beide!" Auch meine Mutter verstummte nun in meinem Kopf.

Ich merkte nur noch, wie mich jemand in seine Arme zog. Ein plötzlicher Ruck riss mich zur Seite und ließ meinen Blick nach vorne schweifen, wo ich gerade noch so Scheinwerfer und die Front eines anderen Autos ausmachen konnte. Ich sah ein Augenpaar aufblitzen, bevor diese ohrenbetäubenden Schreie wieder mein Mark erschütterten.

Die Sicht wurde mir genommen, das einzige was blieb waren die grellen Schreie meiner Eltern und eine unbekannte Stimme, die immer wieder flüsterte: Ich bleibe bei dir, Schwesterherz. Für immer.


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Menschen sterben zu lassen, macht mir Spaß. Ich glaube, ich schreibe jetzt noch einen teil.

elected - rise of elementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt