36 • the cruelty of life & love

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„Der Zustand ihrer Nichte hat sich drastisch verschlechtert, Mrs Grayson. Wir glauben nicht, dass sie es schaffen wird."

Amelia Grayson schwieg. Sie sah auch den Arzt nicht an, der ihr diese schwere Nachricht überbrachte.

Ihr Blick haftete an ihrer Nichte, die nun schon seit gefühlten Jahren in diesem monotonen Krankenzimmer lag und noch immer keine gesundheitlichen Veränderungen zeigte.

Nun ja, zumindest bis heute.

„Gehen sie bitte." bat Amelia Dr Miles, der Lina jeden Tag untersuchte.

Jener nickte nur und verließ ohne Umschweife das Krankenzimmer.

Die Tür knallte zu und ein unangenehmer Windzug erfasste die Trauernde, welche erzitterte.

Amelia schlurfte zum Bett ihrer geliebten Nichte und ließ sich an ihrer linken Seite nieder.

Vorsichtig griff sie nach der blassen Hand, als wäre sie aus Glas und würde zerbrechen.

„Lina." setzte sie an, doch ihre Stimme brach. Ein Schluchzen durchzog die Stille des Raumes, welche sonst nur von einem konstanten Piepen der Geräte gestört wurde.

„Ich möchte, dass du weißt", versuchte die mittlerweile komplett grauhaarige Frau weiterzusprechen, versagt allerdings erneut.

Sie atmete tief ein und schloss für einen Moment die Augen.

„Ich möchte nur, dass du eins weißt, mein Schatz. Ich liebe dich wie meine eigene Tochter, Lina. Du bist alles, was ich noch habe. Aber.. aber wenn du gehen willst, dann.. dann darfst du gehen."

Mehr Worte brachte die gebrochene Frau nicht übers Herz. Sie liebte Lina wie ihr eigenes Leben und wusste, wie lebensfreudig ihre Nichte immer gewesen war.

Sie in diesem Zustand, mittlerweile schon seit fast anderthalb Jahren zu sehen, machte sie fertig.

Aber sie wusste auch, dass Lina kämpfen würde.

Was heißt schon kämpfen.. Sie kämpfte bereits seit dem ersten Tag.

Irgendetwas sagte Amelia, dass ihre Nichte sie hörte. Aber das war nur ein Gefühl. Eine Eingebung.

Was sie sicher wusste, war das Lina sie niemals allein lassen würde, wenn Amelia nichts anderes sagte.

Nur mittlerweile waren alle an einem Punkt angekommen, an dem sie Lina's Tod akzeptieren würden.

Es machte einfach keine Sinn mehr, weiter zu hoffen.

Und so saß Amelia dort an dem kleinen Bett, hielt die Hand ihrer Nichte und wimmerte leise.

Es tat ihr so leid, dass sie nicht gut genug auf Lina aufgepasst hatte. Sie gab sich die Schuld, dass Lina nun hier lag. Das alles wäre nicht passiert, hätte sie Lina nicht gehen lassen.

Aber Amelia wollte nunmal, dass sie Jackson kennen lernte.

Amelia gab niemandem die Schuld, noch nicht einmal Corin, obwohl dieser von allen am Meisten beschuldigt wurde.

„Es war Lina's Entscheidung, Corin zu beschützen. Er kann nichts dafür." erklärte sie, als sich die Situation langsam zuspitzte. Danach hörten die Anfeindungen dem Jungen gegenüber auf.

Das ist jetzt einen Monat her.

Amelia hatte viel über ihr Leben nachgedacht.

Was sie all die Jahre übersehen hatte. Lina hatte ihr so oft gesagt und gezeigt, wie sehr sie sie liebt, aber Amelia hatte es immer übersehen.

Die Erkenntnis, dass sie bald nie wieder etwas davon zu spüren bekommen wird, ließ sie erneut aufschluchzen.

Sie vergrub ihr Gesicht im Bettlaken und wimmerte leise.

Doch je mehr und länger sie weinte, desto mehr fiel die Last der letzten Monate von ihr ab.

Als würde auf einmal alles wie vom Winde verweht sein.

Ja, Amelia hatte akzeptiert, dass es ein Unfall war.

Es war einfach alles schief gelaufen, was hätte schief laufen können.

Aber der Gedanke, dass wenn Lina wirklich sterben sollte, sie bei ihren Eltern wäre, brachte die ältere Frau zum Lächeln.

Mit diesem Gedanken im Herzen stand sie auf und musterte ein letztes Mal das Gesicht ihrer Tochter.

Sie lehnte sie vor und hauchte einen letzten Kuss auf Lina's Stirn, ehe sie tief einatmete und vom Bett zurück trat.

Noch einmal sah sie zurück, bevor sie die Tür des Krankenzimmers hinter sich schloss.

Mit dem Schritt über die Türschwelle, fiel auch die letzte Last von ihrem Herzen ab.

Sie hatte abgeschlossen.

Nicht mit Lina, aber mit ihrem baldigen Tod.

Andächtig schritt sie den Gang entlang, das erste Mal seit langem wieder mit gehobenem Kopf.

Amelia konnte nicht wissen, dass Lina nicht im Koma lag, sondern schon länger wach war. Ihre Nichte schrie, wandte sich, aber dennoch hörte sie niemand.

Die schwerwiegendste Sache blieb Amelia ebenfalls fern.

Und zwar, was Lina schrie.

Es war kein Unfall, der sie in diesen komaartigen Zustand versetzt hatte.

Sie hatten einen Verräter in den eigenen Reihen.


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*öffnet theatralisch die Arme und schließt Augen* Kommt, und werft mir eure Morddrohungen entgegen!

Oh Gott, ihr müsst mich grade so hassen.

Off and Out,

Gleam.

elected - rise of elementsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt