Prolog I- Der in dem ich ein Engel werde

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LOS ANGELES

RACHEL- JANUAR 2013

Das Flugzeug durchbrach die Wolken und augenblicklich wurde ich nicht mehr von der Sonne geblendet. Ich trauerte ihr fast hinterher. Der Winter dauerte schon zu lange. Und gerade in Boston war er gnadenlos, so dass man sich im Februar immer ein Urlaubsziel mit Sonne aussuchen musste. Ansonsten würde man depressiv werden.

Mein Sitznachbar hatte schon mehrmals durch Räuspern und verzweifelte Blicke zu äußern versucht, ob ich nicht die Klappe runterziehen könnte, um der blendenden Sonne zu entgehen. Aber solange dieser nicht den Mumm aufbringen konnte, würde das Fenster nicht verdeckt werden. Basta. Aufgeregt begann ich mit den Füßen zu wippen. Wir kamen dem Boden näher und die kleinen Spielzeughäuschen wurden immer größer. Ich entdeckte das Hollywoodschild und quietschte kurz auf vor Begeisterung.

Mein Sitznachbar zuckte kurz zusammen, schien jedoch festzustellen, dass es keine Ratte, sondern nur ich gewesen war, die solche Geräusche verursachte und beruhigte sich wieder. Mit einem Ruck erreichten wir die Landebahn und ich begann zu klatschen mit allen anderen Passagieren, die so dem Piloten für einen sicheren Flug dankten. Außer dem Mann neben mir. Er hielt es offenbar nicht für nötig. Ich musterte ihn so unauffällig wie möglich. Teurer Anzug, Rolexuhr, arrogante Miene. War bestimmt entweder ein Film- oder Musikproduzent. Ich musste schmunzeln. Vielleicht würden wir uns eines Tages wieder begegnen. Wenn er versuchen würde mich für einen seiner Filme zu gewinnen. Doch ich würde sagen- Nein, Sir. Sie haben damals im Flugzeug nicht geklatscht. Und wer anderen keinen Respekt zollt, kriegt auch keinen von mir.- und mich dramatisch umdrehen, um mich unverzüglich Jerry Bruckheimer zu verpflichten.

Ich riss mich aus meinen Wunschträumen, um das Flugzeug zu verlassen. So wie es gerade aussah, wurde einem der Erfolg nicht vor die Füße geworfen. Eine kleine Theaterrolle am Boston Shubert Theatre und zehn Absagen auf Videobewerbungen für kleine Fernsehparts konnte ich vorlegen. Dazu gefühlte fünfzig Castings, von denen ich keine Antwort erhalten hatte. Nicht mal eine verdammte Absage. Und natürlich einen exzellenten Abschluss der Schauspielschule in Boston. Aber der brachte einem nicht viel, wenn man keine Erfahrung vorzuweisen hatte. Die meisten Leute begriffen nur nicht, dass man für Erfahrung schon mal irgendwo genommen worden sein musste.

Es war einfach frustrierend. Aber diesmal würde alles anders werden. Auf meine Videobewerbung, hatte ich eine Einladung bekommen für das Casting in der zweiten Runde. In Los Angeles. Ich hatte mich nicht mehr ein bekommen, bis meine Mutter mich ermahnt hatte, ich sollte doch bitte Murpel nicht aufwecken. Murpel war unsere dicke alte Katze. Eigentlich hätte ich beleidigt sein sollen, dass sie sich mehr um Murpel kümmerte als um mich, aber in diesem Moment war mir alles egal. Seitdem versuchte ich meine Erwartungen runterzuschrauben.

Ich wusste weder wie viele Mitstreiterinnen in der zweiten Runde waren, noch welche Art von Typ sie wirklich suchten. Es war sehr wahrscheinlich, dass ich ohne auch nur eine Chance wieder nach Hause geschickt wurde, sobald sie mich und meine 1, 63 Meter sahen. Doch davon wollte ich mich jetzt noch nicht entmutigen lassen. Ich schritt aus der Flugzeugtür auf die Treppe und sofort strömte mir die Luft, die 15 Grad wärmer als in Boston war ins Gesicht. „Hallo Los Angeles!", murmelte ich ehrfürchtig. Ich war in der Stadt, in der ich immer sein wollte. Die Stadt der unendlichen Möglichkeiten. Die Stadt, der so viele Menschen ihre Songs gewidmet hatte. Ich musste mich zusammenreißen nicht schon wieder zu quietschen. Es war wirklich eine furchtbare Angewohnheit.

Als ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich meine Reisetasche vom Gepäckband gehievt hatte trat ich aus dem Flughafen heraus. In meinem Kopf spielten sich unendlich viele Szenen ab, in denen die Protagonistin aus einem Gebäude tritt, bereit ein neues Leben anzufangen voller Enthusiasmus und Stärke. Doch in keinen dieser Momente, wurde sie halb von einem Taxi überfahren. Ich machte einen erschreckten Satz nach hinten. „Pass doch auf, Mädchen!", schrie der Taxifahrer mit einem furchtbaren Schnäuzer, welcher beinahe mein Leben beendet hatte. Ich machte eine entschuldigende Geste und suchte unauffällig die Bushaltestelle.

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