Kapitel 8

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„Das . . . das hat Gideon immer zu mir gesagt", schluchzte ich schließlich, sobald ich wieder in der Lage war zu reden.

„Oh, das wusste ich nicht. Tut mir leid, Gwenny", murmelte Lucy und strich mir über den Rücken.

„Schon okay", krächzte ich und wischte mir die Tränen von den Wangen. Geschockt stellte ich fest, dass ich mich fast benahm, als wäre Gideon gestorben. Und dabei hatte ich mich noch nicht einmal selbst von seinem angeblichen Wandel, beziehungsweise Nicht-Wandel überzeugen können. Ich benahm mich vollkommen erbärmlich.

Entschieden machte ich mich von Lucy los und trat auf den Chronografen zu.

„Auf geht's. Äh . . . sollte ich die Augen zu machen?", fragte ich, da mir ihre Verlegenheit von gestern, als sie mir hiervon erzählt hatte, wieder einfiel. Ich wollte lieber nicht sehen, was die beiden angestellt hatten.

Lucy nickte, wurde rot wie eine Tomate, was ich ziemlich niedlich fand, und machte sich geschäftig am Chronografen zu schaffen.

„Weißt du, das ist der einzige Zeitpunkt am Tag, an dem Paul und ich für eine Weile ungestört sind und . . ."

„Ist gut", unterbrach ich sie hastig und streckte warnend die Hand aus. „Hab's notiert."

Kurz darauf fand ich mich mit fest zusammengepressten Augen in der Vergangenheit wieder. Ein überraschter Aufschrei von Lucy und ein Grummeln von Paul ließen mich zusammenzucken, doch ich behielt die Augen geschlossen. Statt auf das deutlich hörbare Kleiderrascheln zu achten, flötete ich lautstark „Everybody" von den Backstreet Boys in meinem Kopf.

Schließlich räusperte Paul sich. „Gwendolyn?"

Peinlich berührt öffnete ich die Augen und sah meine Eltern vor mir, inklusive zerzauster Haare auf Lucys und geröteter Wangen auf Pauls Seite. Sie saßen auf Cousine Sofa.

„Ist alles okay? Was machst du hier, Süße?", fragte Lucy und rückte ein paar Zentimeter von Paul ab.

Damit konnte sie jetzt auch nichts mehr vertuschen. Doch so sehr ich mich bemühte, es verstörend zu finden, meine Eltern beim Rummachen ertappt zu haben - es gelang mir nicht. Irgendwie fand ich es total niedlich, dass sie schon so lange zusammen waren und trotzdem noch übereinander herfielen wie zwei Teenager. Aber zurück zum Thema.

Ich bemühte mich, mich auf das Wichtigste zu konzentrieren und berichtete ihnen, was sie wissen mussten. Natürlich übermannten mich die Ereignisse zwischendurch mal wieder und ich verdrückte noch ein paar Tränen, doch insgesamt schlug ich mich wie ich fand ganz wacker.

Als ich geendet hatte, starrten die beiden mich mehrere Augenblicke lang ungläubig an. Dann murmelte Paul leise: „Ich hab eben schon gedacht, dass du irgendwie anders aussiehst."

Wenn mir jetzt noch jemand sagte, dass ich abgenommen hatte, bekam ich einen Schreikrampf. Glücklicherweise sparte er sich das aber. Stattdessen stellten die beiden mir noch ein paar vorsichtige Fragen, die ich genauso vorsichtig beantwortete. Viel zu schnell machte sich auch schon das Kribbeln in meiner Magengegend wieder bemerkbar und sicherheitshalber wiederholte ich noch einmal die Uhrzeit, zu der der Krankenwagen bei Temple warten sollte. Dann verabschiedete ich mich von den beiden.

Zurück in der heutigen Zeit erwartete mich die ein paar Tage ältere Lucy und zu meiner Überraschung auch meine Mom. Grace. Ihr Anblick löste eine spontane Freude in mir aus und ohne groß darüber nachzudenken, fiel ich ihr in die Arme. Dieses Mal reagierte sie nicht so perplex wie gestern, sondern drückte mich leicht. Inzwischen kannte sie schließlich die ganze Geschichte.

MondsteingrauWhere stories live. Discover now