Kapitel 23 "Gefängnistod"

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Alles wurde leer. Ich sah sie fallen, ich sah das Blut und im nächsten Moment war ich neben ihr. Sie sah mich nicht an. Verzweifelt suchte ich nach einem Puls, aber ich fand keinen. Er hatte nicht direkt ihr Herz getroffen, aber der Schuss war nur knapp danebengegangen.

Wo kam nur das Blut her? Da war der Puls, endlich hatte ich ihn gefunden. Ich spürte ihn unter meinen Fingern und hielt mich daran fest, als wäre es alles, das mir noch blieb. „Nicht sterben", sagte ich leise. „Hörst du? Nicht sterben." Als ich die Wunde fand, presste ich die Hände darauf. Das sollte doch angeblich immer helfen. Aber ich merkte, wie es eben nicht half.

Ihre Lippen verloren ihre Farbe, ihre Handflächen wurden allmählich weiß. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, als ihr Körper versuchte, sich gegen den Tod zu wehren. „Komm schon", flüsterte ich, „nicht sterben." Aber natürlich halfen die Worte nicht, sie brachten rein gar nichts. Und sie sagte auch nichts.

Keine berühmten letzten Worte, an die sich die Welt für immer erinnern konnte. Einfach nichts. Sie starb mir unter den Fingern weg, während ich vergeblich versuchte, sie am Leben zu halten. Ich hätte gerne geweint, ihr zu Ehren, aber daran verschwendete ich in diesem Moment keinen Gedanken. Selbst Dwight, der den Abzug betätigt hatte, vergaß ich völlig.

Er hatte seine Bedeutung verloren. Juvia lag da, auf dem dreckigen Boden und starrte nach oben in den Nachthimmel, der voller Sterne war. „Du kommst in den Himmel", flüsterte ich, „ganz bestimmt." Die Hoffnung, dass sie nicht sterben würde, schwand mit jeder Minute. Und dann hörte ihr Brustkorb auf, sich zu heben.

Sie sah nicht aus, wie jemand der tot war, vielmehr wie jemand, der gleich aufstehen würde, um mir zu sagen, dass er einen Spaß gemacht hatte. Ich starrte Juvia an. Sie hatte eine Heldin sein wollen und jetzt war sie tot. Wofür war sie gestorben? Jetzt stiegen doch Tränen in meinen Augen auf. Alles verschwamm, wurde wieder klar und löste sich wieder auf.

„Nicht sterben", sagte ich ein letztes Mal. Ich holte tief Luft und drehte mich um. Wieder sah ich in den Lauf einer Pistole. „Sie haben sie getötet", stellte ich fest. Er widersprach nicht, stattdessen fügte er hinzu: „Sie hat mich angegriffen." „Und Sie haben geschossen." „Deine Freundin war dumm. Ich hätte euch beide vielleicht verschont. Jetzt muss ich dich mitnehmen."

Ich widersprach nicht, weil er immer noch die Pistole in den Händen hielt. Mit dem Kopf deutete er auf den Hubschrauber und ich setzte mich zögerlich in Bewegung. Juvia hatte ein Begräbnis verdient. Mit Blumen und einem Grab, das ihr würdig war.

Aber die bekam sie nicht. Als ich auf dem Ledersitz des Hubschraubers saß und aus dem Fenster blickte, war ich versucht, ihr zu winken. Natürlich könnte sie es nicht sehen. Also ließ ich es. Menschenleben waren so einfach zu beenden. Viel zu einfach.

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Als der Hubschrauber wieder landete, war es bereits morgen. Mein Kopf dröhnte, weil ich ihn gegen die Scheibe gelehnt hatte und so jede noch so kleine Erschütterung gespürt hatte, aber es hatte den Schmerz betäubt. Es war ein niederschmetterndes Gefühl, sie tot zu wissen. Leute in meinem Alter sollten nicht sterben.

Sie sollten auf Partys gehen, ihre Zukunft planen und glücklich sein. Ich wusste, dass nicht jeder so sein konnte. Nicht jeder konnte sich das leisten. Aber niemand hatte ein Recht darauf, ein anderes Leben zu beenden. Juvia war unschuldig gewesen. Sie hatte sich in Sachen eingemischt, die sie nichts angingen, aber sie hatte niemandem etwas Böses getan. Im Gegenteil, sie hatte eine Heldin sein wollen.

„Wohin bringen Sie mich eigentlich?", hatte ich während des Fluges gefragt. Am Anfang war es mir noch egal gewesen, was jetzt mit mir geschah, aber langsam gewann wieder mein Überlebenswillen die Oberhand. Ich bekam keine Antwort. Nochmal fragte ich nicht.

Reflektionen (Ross Lynch/R5)Where stories live. Discover now