Kapitel 5 "Scherbenhände"

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Hinter mir wurden Geräusche laut. Vermutlich hatte irgendwer versucht, einige Klamotten mitgehen zu lassen. Nichts Besonderes, für eine Großstadt wie LA. Ich warf nicht einmal einen Blick über die Schulter, um mir die Szene anzusehen. Juvia dagegen tat es schon. Sie lehnte sich zur Seite, um an mir vorbeizusehen.

Ich beobachtete, wie sie den Hals reckte, um eine möglichst gute Aussicht auf die Geschehnisse zu bekommen. Man konnte sehen, wie sich der Ausdruck in ihrem Gesicht veränderte. Zuerst war es bloße Neugier, dann war es Verwunderung und ganz zu Letzt unverstellter Unglaube. Die Stimmen wurden noch lauter, eine Horde kreischender Mädchen. So was würde ich auf tausend Meter Entfernung gegen den Wind erkennen.

„Ist das Blut?", murmelte sie leise, wohl mehr zu sich selbst, als für mich bestimmt. Trotzdem drehte nun auch ich mich um. Tatsächlich standen vor dem Laden, nur wenige Meter die Straße hinunter, einige Mädchen. Sie waren dicht zusammengedrängt und eine von ihnen vor über und über von einer roten Flüssigkeit bedeckt. Ich verdrehte die Augen: „Glaub ich nicht. Bestimmt hat sie sich einen Smoothie über den Kopf kippen lassen. Das sieht nur so aus."

Ich wollte mich schon wieder abwenden, also eines der Mädchen aus der Kreisformation ausbrach und umkippte. Panik brach aus. Jede versuchte, den anderen Anweisungen zu geben, dabei hatten sie allesamt keine Ahnung, was in einem solchen Falle zu tun war. Angelockt von dem Tumult eilte eine Frau aus dem Laden. Ihrer Kleidung zu urteilen war sie eine Kassiererin.

Erst als Juvia an mir vorbeilief, bemerkte ich, dass sie aufgestanden war. Ich seufzte, erhob mich allerdings ebenfalls. Nach wie vor glaubte ich nicht, dass es sich bei der roten Flüssigkeit um Blut handelte. Wahrscheinlich war sie ein weiteres Opfer der Hitze geworden. Langsam näherte ich mich dem Pulk, der sich um die Ohnmächtige gebildet hatte.

Die Rufe der Mädchen wurden zu verzweifelten Schluchzern. Es war nicht schwierig, zwischen ihnen hindurch auf das Mädchen am Boden zu blicken. Neben ihr kniete eine ihrer Freundinnen und tätschelte ihre Wange, während ihre Arme unverdeckt bleiben. Schockierte musste ich mir eingestehen, dass es Blut war, das aus offenen Wunden aus ihren mageren Armen floss.

„Stoppt den Blutfluss", kommandierte Juvia. Die fassungslose Kassiererin stand wie eine Salzsäule in der Gegend herum. Ich beschloss, Juvia zu helfen. „Nun machen Sie schon was! Gehen Sie rein und rufen einen Krankenwagen!" Langsam löste sich die Frau aus ihrer Starre und verschwand nach drinnen. Ich bahnte mir meinen Weg zur Mitte des Kreises, wo ich Juvia unsere Klamotten zuwarf, die ich in einer Tüte getragen hatte.

Ohne zu zögern wickelte sie ein Oberteil um die blutenden Arme. Ich ahmte ihre Bewegungen nach, sie schien zu wissen, was sie da tat. Nachdem wir ihre Wunden notdürftig verarztet hatten, legte sie die übriggebliebenen Kleider unter den Kopf der Fremden. Alle Umstehenden starrten uns an. „Noch nie was von einem Erste Hilfe Kurs gehört?", fragte sie zerknirscht in die Runde.

Sie streckte den Arm aus und zeigte auf ein Mädchen, das noch einigermaßen gefasst wirkte: „Du da. Was ist passiert?" Ihr barscher Ton schien Eindruck zu schinden, denn das Mädchen trat vor und begann zu erzählen. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus. Ich hatte Mühe, alles zu verstehen.

„Wir haben nur Klamotten anprobiert. Dann hat sie uns gefragt, ob wir das auch sehen und auf den Spiegel gezeigt. Aber da war gar nichts. Nicht mal unsere eigenen Spiegelbilder. Dann hat sie gesagt, da wäre ein Kind. Total gruselig. Sie hat die Hand ausgestreckt, ist auf den Spiegel zugelaufen. Alles ging so schnell. Es war, als wollte etwas sie in das Glas hineinziehen. Sie hat geschrien wie am Spieß. Für uns sah es so aus, als würde etwas Unsichtbares ihre Arme aufkratzen. Wir haben auch geschrien. Da war plötzlich überall Blut. Wir sind zu ihr hin und haben an ihr gezogen, aber was auch immer sie festgehalten hat, war stärker. Es gezogen und ihre Arme wurden immer blutiger. Ich hatte solche Angst. Dabei war da doch gar nichts. Kein Kind im Spiegel. Es war nichts zu sehen. Plötzlich hat dann nichts mehr an ihr gezogen. Wir sind so schnell wie möglich aus dem Laden raus. Was war das nur da drin? Eigentlich dachten wir, dass wir es vielleicht noch bis ins Krankenhaus schaffen, aber dann ist sie schon hier umgekippt. Oh Gott, hoffentlich ist es nicht so schlimm."

Reflektionen (Ross Lynch/R5)Where stories live. Discover now