62. Hölle

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Ich trat mit aller Kraft nach hinten aus und der Werwolf ging stöhnend zu Boden. Um mich herum tobte der Kampf, ich sah mich suchend um. Neben mir kämpfte Morgan verbissen mit einem großen Werwolf, während in der Nähe zwei fast identische, braune Wölfe gleichzeitig einen dunkel gekleideten Mann attackierten.

Erleichtert entdeckte ich Mum, die herumwirbelte und eines der Ungeheuer in die Rippen trat, doch mein Herz sank, als ich die kalt lächelnde Mira sah, die ihr gezacktes Messer durch die Luft schwang. Verzweifelt kämpfte ich mich durch das Schlachtfeld, bei jedem einzelnen Schritt dachte ich nur eins: Schneller.

Dann blieb mir keine Zeit mehr zu reagieren.

Das Blut gefror mir in den Adern, in meinen Ohren klang mein hoher Schrei. Mira hob die Klinge, während Mum sich nicht von der Stelle rührte und ihr mit kalter Entschlossenheit entgegenblickte.

"Nein!" Aus meiner Kehle kam nur ein heiseres Krächzen

Doch es war zu spät. Von der Seite sah ich verschwommen eine Gestalt, die meine Mutter zu rannte und sie zur Seite stieß. Und dann sah ich nur noch das metallische Blitzen von Metall, bevor die Welt wieder in Flammen stand.

***

Rache.

Alles in mir schrie nach Rache, es brannte sin wie Feuer durch meinen Körper.

Wieder spürte ich die in mir pulsierende Wut, doch ich kämpfte nicht weiter dagegen an.

Wie in Zeitlupe sah ich Alexandras schlaffen Körper, der mit einem dumpfen Aufprall auf dem Boden aufkam. Aus der tiefen Wunde in ihrer Brust floss das dunkelrote Blut, ihre Augen waren geschlossen.

Auf ihrem Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck, die fast schwarzen Haare umrahmten ihren Kopf.

"Nein..." Mum's Stimme klang wie aus weiter Ferne, die Schreie des Kampfes wurden überlagert von dem lauten Rauschen in meinen Ohren.

Durch meine Adern floss das Adrenalin, die Bewegungen um mich herum verlangsamten sich. Angetrieben von dem brüllenden Feuer in mir lief ich los, das Brennen in meiner rechten Hand wurde mit jedem Schritt stärker.

War es das Wert, dagegen anzukämpfen?

War der ganze Schmerz, all das Leid es Wert, gegen mich selbst zu kämpfen?

Dir Werwölfin grinste mir zu, das Messer sauste haarscharf an meinem Kopf vorbei. Sie knurrte, meine Lippen verzogen sich zu einem höhnischen Lächeln, als ich meine Dolche aus dem Gürtel zog und ihren nächsten Angriff mühelos abwehrte, dann zog ich ihr blitzschnell eine Klinge über den Oberarm.

"Du kleines Miststück", zischte sie und stach erneut zu. "Gleich wirst du zusehen, wie ich deine Mutter umbringe, und danach wirst du ihr und dieser Wölfin folgen. Und glaub mir: du wirst leiden."

Ich hörte mein eigenes, kaltes Lachen, das mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Mira verengte ihre Augen ärgerlich zu Schlitzen, bei jedem Schlag merkte ich, wie sie immer weiter zurückwich.

Ja, ich wollte Rache.

Rache für das, was sie getan hatte, selbst wenn das bedeutete, dass ich zu einem gefühllosen Monster wurde.

Erneut traf Metall auf Silber, das hohe Kreischen der Messer erfüllte die Luft. Es war wie ein Tanz, dessen Schritte ich blind ausführen konnte.

Ich sah die kleinen, glitzernden Schweißperlen, die auf Miras Stirn traten, als sie meinen Schlag parierte, doch als sie meinen Dolchen ausweichen wollte, blieb sie an einer Wurzel hängen und fiel der Länge nach hin.

Nachdenklich betrachtete ich sie, stöhnend rollte sich die Werwölfin auf den Rücken und sah mich hasserfüllt an. Langsam beugte ich mich zu ihr runter, die Spitzen der silbernen Dolche auf ihre Brust gerichtet.

"Du dreckige Wölfin", zischte Mira wieder. "Du wirst sterben, und niemand wird dich beschützen können, auch nicht deine Göttin. Ihr werdet alle untergehen, jeder einzelne von euch, so wie deine jämmerliche Mentorin."

Ein dünnes Rinnsal Blut floss ihren Hals hinunter, ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich ihr eine Klinge an den Hals drückte. Eine weitere Hitzewelle überkam mich, ich beugte mich noch tiefer zu ihr.

"Hast du noch irgendwelche letzten Worte?", flüsterte ich kalt.

"Stirb", hauchte sie.

Einen Moment lang zögerte ich. Einen kurzen Moment lang sah ich die Angst in ihren Augen, bevor ich zustieß.

Das dunkelrote Blut tränkte den Boden, der Körper unter mir entspannte sich. Die Werwölfin war gegangen, zurück blieb nur die eisige Kälte, die sich von meinem Herz ausgehend in mir ausbreitete.

Elegant erhob ich mich, wischte die Klinge am Saum meines T-Shirts ab.

Um mich herum lief der Kampf weiter, kaum war ich ein paar Schritte gegangen, hörte ich zu meiner rechten ein lautes Knurren, in der nächsten Sekunde war ich schon herumgewirbelt und trat dem Werwolf mit ganzer Kraft gegen die Brust, sodass er mit voller Wucht gegen einen Baum flog.

"Thalia!" Mit gerunzelter Stirn drehte ich mich um und bemerkte dadurch zu spät den zotteligen Wolf, der mit gefletschten Zähnen auf mich zu kam. Mit einem Sprung zur Seite brachte ich mich in Sicherheit, dabei fiel mir einer meiner Dolche aus der Hand.

Hastig bückte ich mich und bemerkte die drei langen, blutigen Kratzspuren, die quer über meinen Unterarm verliefen. Ich biss die Zähne zusammen, doch wenige Augenblicke später schloss sich die Haut und hinterließ nur drei helle Narben. Kalte Energie durchströmt mich, ich hab den Kopf.

"Thalia!" Jemand kam auf mich zu, ich sah in ein paar besorgte, Türkise Augen. "Ist alles in Ordnung?"

Emotionslos sah ich zu, wie sie vorsichtig näher trat. "Hör zu, das mit Alexandra tut mir so leid..."

Mit einer blitzschnellen Bewegung streckte ich meine Hand aus und drehte ihr einen Arm auf den Rücken. Mit einem schmerzerfüllten Aufschrei sank sie auf die Knie und ich hielt ihr die Klinge an die Kehle.

"Thalli... Ich bin doch, Sky." Ihre Stimme klang verzerrt, das Rauschen in meinen Ohren wurde immer lauter. Eine leise Stimme flüsterte mir zu, ich sollte sie loslassen, den Dolch weglegen.

"Komm wieder zu dir", flehte Sky. "Das bist nicht du, du würdest mir nie etwas antun."

Das kalte Feuer in mir loderte weiter, brannte höher und ließ mich erzittern.

Mein Blick fiel auf eine Pfütze neben mir, ich erstarrte. Auf der glatten Wasseroberfläche spiegelten sich die Sterne, und meine eigenen Augen blickten mir entgegen.

Vor Schreck fiel mir mein Dolch klirrend auf den Boden, in meinem inneren tat sich ein riesiges Loch auf.

Wie ein Film spielte sich in meinem Kopf ein weiteres Mal die Vision an, die Lupa mir vor Tagen gezeigt hatte, alles in mir schrie.

Meine Augen waren nicht mehr leuchtend grün.

Sie waren dunkel, fast schwarz.

Die Geräusche der Schlacht um mich herum verstummten, alle Bewegungen verlangsamten und die Zeit blieb stehen. 













Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt