24. Messer und Klingen

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"Los, nicht schlapp werden!", scheuchte Alexandra mich weiter. Schnaufend setzte ich mich wieder in Bewegung und wich ungeschickt einer dicken Wurzel aus, als ich meiner Mentorin zwischen den Bäumen hindurch folgte. Seit schon einer gefühlten Stunde rannte ich nun durch den Wald, und während meine Beine langsam schwer wurden und das gewohnte Feuer sich bereits in meiner Lunge ausbreitete, schien Alexandra noch in Bestform zu sein. Anscheinend war ein wichtiger Bestandteil meines Trainings, meine Ausdauer zu verbessern.

"Es ist wichtig, dass du dich auch in deiner menschlichen Gestalt zur wehr setzten kannst", erklärte sie, wobei sie ihr Tempo weiter beschleunigte. Ich stöhnte und lief schneller. "Wenn du in der Öffentlichkeit von einem Werwolf angegriffen wirst, wäre es keine gute Idee, sich in einen Wolf zu verwandeln. Es wäre..."

Meine Gedanken schweiften ab und ich hörte ihr nicht weiter zu. Mir war bewusst, dass das unhöflich und respektlos war, doch ich konnte mich nicht auf mein Training konzentrieren.

Nicht jetzt, nicht unter diesen Umständen.

Ich durchlebte immer wieder von neuem meinen Traum von der letzten Nacht. Die kalte Stimme des unbekannten Mannes klang in meinen Ohren nach und jagte mir kalte Schauer über den Rücken. Sein Gesicht hatte sich im Schatten befunden, doch seine Augen hatte ich deutlich sehen können. Dieses eisige Blau, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Der Traum schien so real zu sein, ich konnte den rutschigen Griff meines silbernen Dolches in meiner Hand immer noch spüren, den metallischen Geruch des warmen Blutes an meinen Händen immer noch riechen.

Was hatte das alles nur zu bedeuten?

Als ich heute morgen die Klinge nochmals berührt hatte, war ich abermals von dieser warmen Energie erfasst worden, die sofort wieder versiegte, als ich losließ.

Ich war so sehr in meinen Gedanken versunken gewesen, dass ich nicht gemerkt hatte, dass Alexandra verschwunden war. "Mist!", fluchte ich und sah mich um. Wohin war sie gelaufen?

Auf einmal hörte ich hinter mir einen Zweig knacken und ich wirbelte herum. Vor mir stand ein großer, dunkelbrauner Wolf. Ich wich zurück. Ohne Vorwarnung stürzte sich die Wölfin auf mich und ich stürzte mit ihr zu Boden. Von ihrem Gewicht zu Boden gedrückt lag ich nun da und versuchte verzweifelt, mich zu verwandeln. Ich dachte intensiv daran wie es war, Wolf zu sein, stellte mir das Gefühl des Windes in meinem Fell vor. Zu meiner großen Überraschung spürte ich kurz darauf das Kribbeln in meinem Körper, und im nächsten Moment war ich ein Wolf.

Mit meiner ganzen Kraft stemmte ich mich gegen das Gewicht, und trommelte mit meinen Hinterbeinen gegen den Bauch der Wölfen. Doch sie knurrte nur und hielt mich mit eisernem Griff fest.

Habe ich nun deine volle Aufmerksamkeit?

Ich nickte, im nächsten Augenblick ließ der Druck auf mir nach und ich richtete mich stöhnend auf. Alexandra würdigte mich keines Blickes mehr und sprang zwischen den Bäumen davon. Schnell folgte ich ihr, um sie nicht noch einmal aus den Augen zu verlieren. Bis wir wieder in der Klosteranlage angekommen waren, herrschte zwischen uns peinliche Stille.

Schweigend führte sie mich zu einer großen, sandigen Fläche. Ich staunte, und stand einige Zeit gaffend da. Mehrere Wölfe und Jugendliche waren auf dem Platz, und alle kämpften. Zwei Wölfe umkreisten sich knurrend, bevor sie sich auf einander stürzten, in der Nähe kämpften zwei Jungs mit Schwertern gegeneinander, und ich entdeckte Morgan, wie sie verbissen mit einem Mädchen mit schwarzen Haaren kämpfte. Sie winkte mir kurz zu, dann wandte sie sich wieder ihrer Gegnerin zu, die sich mit einem Messer auf sie stürzte.

Alexandra hatte sich bereits zurückverwandelt und stand mit verschränkten Armen neben mir. Hastig nahm auch ich wieder meine menschliche Gestalt an und schluckte. Sie sah immer noch ein bisschen sauer aus.

"Das hier ist der Trainingsplatz", erklärte sie grimmig. "Hier wirst du jeden Tag mit den anderen trainieren. Sie haben zwar alle mehr Erfahrung als du und haben schon als Kind das Kämpfen gelernt, doch du solltest das schaffen. Es liegt in deinem Blut."

Ich nickte, unsicher, was ich erwidern sollte. Doch das war auch nicht nötig, denn meine Mentorin hatte sich bereits Morgan und ihrer Gegnerin zugewandt. "Autumn! Könntest du bitte herkommen?", rief sie dem dunkelhaarigen Mädchen zu, die sich auf der Stelle elegant aus dem Kampf löste und auf uns zugeschritten kam. Sie war hübsch, mit hohen Wangenknochen, dunklen Lippen und heller Haut, sowie ein paar Sommersprossen auf ihrer zierlichen Nase. "Ja, Alexandra?", fragte sie mit heller Stimme und neigte respektvoll ihren Kopf.

"Thalia, das ist Autumn", stellte Alexandra sie mir vor. Ich schüttelte die Hand, die sie mir hinstreckte, und lächelte ihr unsicher zu. Sie lächelte zurück, doch als ich ihren dunklen Augen begegnete zuckte ich kaum merklich zusammen. Autumn sah mich kalt und abschätzend an, und ich zog schnell meine Hand zurück.

"Also", meinte meine Mentorin währenddessen, "Autumn, ich würde dich bitten, dass mit Thalia den Schwertkampf übst. Das wäre eine gute Übung für dich, du bist die beste in diesem Fach." Autumn lächelte Alexandra süß zu, und ich konnte meinen Ohren nicht trauen. Ich sollte gegen die kämpfen? Wollte meine Mentorin mich umbringen? Ich wusste doch gar nicht, was ich machen sollte, und dieses Mädchen sah mich immer noch berechnend an.

Ich nickte schwach, was anderes blieb mir unter den Blicken nicht übrig.

Mit einem mulmigen Gefühl folgte ich Autumn über den Platz, und bemerkte, wie Morgan mir mitleidig nachsah.

Währenddessen waren wir auf einer freien Stelle etwas abseits der anderen Kämpfe angekommen, und meine Gegnerin reichte mir mit einem abschätzigen Blick ein Schwert. Es lag schwer in meiner Hand, und war kalt, nicht warm und angenehm wie mein Dolch. Knapp erklärte sie mir, wie ich es halten sollte, und dann stand sie auch schon mir gegenüber.

"Mal sehen, was so besonders an dir ist, dass alle über dich reden", zischte sie, und ich schluckte. Was hatte ich ihr getan, dass sie mich zu hassen schien? Sie stürzte sich auf mich und ich hatte kaum Zeit, zu reagieren. Ich stolperte geschockt zurück und riss meinen Arm hoch, durch die Wucht der Klinge, die auf meine prallte, stolperte ich noch weiter zurück. Das schrille Kreischen der Schwerter war Ohrenbetäubend, und ich parierte ungeschickt einen Schlag nach dem anderen, während ich immer weiter zurückwich.

Autumn tänzelte elegant und mit einem triumphierenden Ausdruck in den Augen um mich herum und stach ein Mal nach dem anderen zu.

Es liegt in deinem Blut, hörte ich abermals Alexandras Worte.

Eine Traube Menschen hatte sich um uns versammelt und mir schoss das Blut in den Kopf. Mein Arm wurde schwer und es kostete mich immer mehr Kraft, ihre Angriffe zu parieren. Autumns Gesichtsausdruck wurde immer wütender, und sie zog mir im nächsten Augenblick die Klinge mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit die Klinge über den Unterarm. Ich schrie auf, als mich der brennende Schmerz erfasste und taumelte.

Sie grinste triumphierend und dann spürte ich nur noch, wie etwas hartes auf meinen Hinterkopf niedersauste, bevor alles schwarz wurde und ich in Ohnmacht fiel.

Mal wieder.


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt