14. Fotos

7.4K 498 19
                                    

Wie aus der Ferne hörte ich Morgans Stimme, als ich langsam auf die an der Wand hängenden Fotos zuging, doch ich war unfähig zu antworten.

Meine Mum, als junge Frau mit lässigem Dutt. Meine Mum als kleines Kind auf einer mit Efeu bewachsenen Holzschaukel. Grinsend, mit Zahnlücke, neben einem braunem Wolf. Mit Zopf, mit offenen Haaren. In einer Art ledernen Kampfmontur. Arm in Arm mit meiner Grandma.

Verschiedene Fotos, sorgfältig eingerahmt und an die Wand gehängt.

Ich entdeckte ein Foto, auf dem meine Mum, etwas älter als ich jetzt, ein Mädchen umarmte, das die gleichen kastanienbraunen Haare wie Sky und Morgan hatte.

„Das ist meine Mutter", murmelte Morgan, die leise neben mich getreten war. „Oh, du siehst Marelyn so ähnlich...vor allem deine Augen."

Mein Blick fiel auf das Bild daneben.

Es zeigte drei Mädchen, die zusammen lachten.

„Marelyn, meine Mum Anne und Antonios Mutter, Sofia", erklärte Morgan. „Die drei standen sich sehr nahe."

Wir betrachteten weiter die Fotos. Ich entdeckte eins mit Anne und einem Jungen, wahrscheinlich Morgans Vater. Und ein etwas Neueres mit Sophia und ihrer Familie: Ihr Mann hatte einen Arm um sie gelegt, während sie ein Baby auf dem Arm hielt. Der kleine Antonio grinste frech in die Kamera, seine große Schwester hielt ihn an der Hand. Sie schienen glücklich, sie hatten sich alle eine kleine Welt aufgebaut, die während weniger Momente für immer zusammengebrochen war.

Jetzt verstand ich es.

„Deshalb wollte sie mir nichts sagen...", murmelte ich. „Deshalb wollte sie mich von allem fernhalten!", sagte ich etwas lauter.

„Was jetzt?" Morgan sah mich verdattert an.

„Meine Mum! Sie hat so viele ihrer Freunde verloren. Sophia und ihre Familie. Klar! Auch als Grandma gestorben ist, war es seltsam. Sie hatte nie Probleme mit dem Herz.... Und mein Grandpa..."

Plötzlich ergab alles Sinn. „Ein Werwolf muss sie ermordet haben."

Ich wischte mir eine Träne aus einem Augenwinkel. „Und... mein Dad... Ich wette, das war kein Autounfall. Mum wollte mich von allem fernhalten. Sie wollte mich wirklich schützen.

„Das ergibt Sinn", meinte Morgan und nickte.

Und dann fing sie an, Großputz zu machen.

Sie sperrte alle Fenster weit auf, und fing an, den Staub von den Möbeln zu wischen. Mir befahl sie, bloß nichts Anstrengendes zu tun, und putzen fiel anscheinend in diese Kategorie.

Schließlich entdeckte ich auf dem Küchentisch ein altes Fotoalbum, und beim schnellen Durchschauen fand ich unter anderem ein paar Fotos von Antonios Familie.

Mir kam eine Idee.

„Ich bin gleich wieder da!", rief ich meiner neuen Freundin zu, die die Schränke durchsah.

„Mhmm", meinte sie abwesend, also ging ich mit den Bildern unterm Arm schnurstracks zur Tür, bevor sie es sich noch anders überlegte.

Es war ein heißer Nachmittag im Spätsommer, und überall surrte Mücken.

Ich hasste Mücken.

Schon fast so sehr wie Schwimmunterricht.

Zielstrebig ging ich auf haus Nr. 2 zu. Vor der Tür standen ein paar zierliche, hellgrüne Gummistiefel.

Als ich die drei Stufen zur Haustür hochstapfte, hielt ich erfolglos nach einer Klingel Ausschau. Bevor ich anklopfte, zögerte ich noch kurz. Was war, wenn er mir die Tür wieder vor der Nase zuschlug?

Zaghaft klopfte ich an.

Nach einer Weile hörte ich leise Schrittchen. Die öffnete sich einen Spalt weit und ein kleines Mädchen lugte vorsichtig heraus.

Ich beugte mich hinunter, damit ich auf Augenhöhe war.

„Hallo", sagte ich leise. „Ich bin Thalia, noch neu hier. Du musst Antonios Schwester sein, oder? Wie heißt du denn?"

„Olivia", sagte sie mit dünner Stimme.

„Schöner Name", meinte ich, immer noch leise. „Also, Livia... darf ich dich Livia nennen?"

Sie nickte, und ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen.

„Okay, Livia, ist dein Bruder zu Hause? Ich würde ihm gerne etwas zeigen."

Ich hielt die Fotos hoch.

Livia lehnte sich vorsichtig nach vorne und öffnete die Tür ein bisschen weiter.

„Wenn du mich reinlässt, kann ich dir die Bilder auch zeigen."

Misstrauisch sah mich das Mädchen an. Wahrscheinlich hatte ihr großer Bruder ihr genug Geschichten vom bösen Wolf erzählt.

Sie sah mich ein letztes Mal prüfend an, dann öffnete sie die Tür und ließ mich rein.

„Antonio ist aber noch nicht da", meinte sie dann.

Auch gut.

Dann konnte die Kleine mich wenigstens richtig kennenlernen, bis er ihr erzählte, was für ein böses Monster ich doch war.

„Dann warte ich eben, bis er wiederkommt", meinte ich schulterzuckend. „Und du siehst du Fotos zuerst."

Livia führte mich sichtlich zufrieden zu einem Sofa, das in dem kleinen Wohnzimmer stand.

Sie setzte sich neben mich und sah mich erwartungsvoll an.

Und jetzt wusste ich nicht mehr, wie ich anfangen sollte. Mich überkamen Zweifel, dass es wirklich richtig war, was ich jetzt vorhatte. Wen sie jetzt anfing zu weinen, weil ich Fotos von ihrer Familie zeigte?

„Hat es etwas mit Mum und Dad zu tun?", wollte sie plötzlich wissen.

„Ähmmm... woher hast du...woher weißt du das?", fragte ich erstaunt.

Livia zuckte mit den Schultern. „Du kannst auch heilen."

Als sie meinen verblüfften Blick bemerkte, lief sie rot an. „Ich hab oben auf der Treppe gelauscht", gab sie leise zu.

Ich konnte nicht anders, ich musste lachen.

Dann reichte ich ihr die Fotos.

"Die gehörten meiner Mum", murmelte ich.
 Schweigend betrachtete Olivia die Bilder, ab und zu strich sie mit den Fingern über die Bilder, als könnte sie Personen aus Fleisch und Blut spüren, und kein kaltes Papier.

"Darf ich das behalten?", fragte sie leise und zeigte auf das Foto, das sie gerade in der Hand hielt. Es zeigte ihre Mutter, die junge Frau hatte ihre dunklen Haare zu einem Bauernzopf geflochten, und jemand hatte ihr einen Kranz aus Gänseblümchen aufgesetzt.

"Natürlich. Es gehört dir", sagte ich.

Livia drückte das Blöd an ihre Brust, als wollte sie sich daran festhalten.

"Ich sehe ihr nicht ähnlich, oder?", flüsterte sie. 
Ich betrachtete sie genauer. Im Gegensatz zu Sofias war ihr Haar hellbraun gelockt, nicht glatt und dunkel.

"Du hast ihre Augen", flüsterte ich zurück.

"Danke." Sie lächelte glücklich. 
Dann umarmte sie mich.

Ich war wirklich überrascht. 
Innerhalb weniger Minuten Ding dieses schüchterne Mädchen an, mir zu vertrauen.

Und ich wollte nichts anderes, als sie zu beschützen. 
Als die Tür ins Schloss fiel zuckten wir Beide zusammen. Und kicherten.

"Tony! ", rief Livia aufgeregt und lief aus dem Zimmer. Ich hörte, wie sie sich leise mit Tony - ähh, ich meine Antonio - unterhielt. 
Ich malte mir schon das wütende Gesicht des kleinen Sonnenscheins aus, wenn er mich hier sah.


Sorry Leute, ich merke gerade dass wattpad den Rest des kapitels verschluckt hat. Ich beeile mich und schreibe es nach ^-^


Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt