23. Silber

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Die Stille war erdrückend. Ich saß auf dem Sofa, starrte auf die tickende Uhr und wartete, dass die Zeit verstrich.

Ich seufzte. Überall standen die unangerührten Umzugskisten rum, die Mum mir mitgebracht hatte, und über einem Stuhl in der Küche hing meine Tasche. Ich stand auf und nahm sie mit nach Oben, wo meine zwei Koffer mit den Klamotten warteten, sowie ein Karton mit meinen Büchern.

Es war höchste Zeit, dass ich den ganzen Kram auspackte.

Das war jetzt mein neues Zuhause.

Und mein neues Leben.

Ich sortierte meine ganzen Kleidungsstücke in den geräumigen Holzschrank ein, der um einiges größer war als der in meinem alten Zimmer, und stellte die Bücher sorgsam in das Regal. Ich bückte mich und holte den letzten Gegenstand aus dem Karton. Es war mein großer Fotorahmen, in den ich alle Bilder von Clarice, Luca und mir geklebt hatte.

Clarice und Luca.

Die Beiden hatte ich ja ganz vergessen. In der letzten Zeit war so viel passiert, ich hatte an so vieles gedacht, nur nicht an meine Freunde. Ausgerechnet die Personen, die mich an meisten unterstützt hatten, egal was für Dummheiten ich gemacht hatte.

Meinen Kumpel hatte ich vergessen anzurufen, und mit meiner besten Freundin war ich immer noch zerstritten.

Schnell lief ich zu meiner Tasche, die ich aufs Bett geworfen hatte und holte mein Handy raus. Etliche Nachrichten und neunzehn verpasste Anrufe. Von beiden.

Schlechtes Gewissen überkam mich. Heute war Sonntag, der Unfall war also schon fünf Tage her, und ich hatte mich noch nicht gemeldet. Mit vor Aufregung zitternden Händen wählte ich die Nummer von Luca, doch bei der letzten Zahl zögerte ich. Sollte ich ihn wirklich anrufen? Was sollte ich ihm denn sagen? Ein letztes Mal zuckten meine Finger über der Taste, dann klickte ich die Nummer weg und schaltete mein Handy aus.

Seufzend lehnte ich mich an die Wand und glitt an ihr hinunter.

Was war nur mit mir passiert, dass ich mich von meinen Freuden abwandte?

Doch es war besser für sie, ich musste sie aus dieser Sache raushalten. Ich musste sie schützen, vor dem, was ich nun war. Selbst wenn das bedeutete, dass ich nicht mehr mit ihnen befreundet sein konnte.

Es war schrecklich. Ich fühlte mich, als würde jemand meine Seele in Stücke reißen, und meinen Körper als leere Hülle zurücklassen.

Ich musste mich ablenken. Aufhören, an mein altes Leben zu denken.

Ruckartig stand ich auf und schmiss dabei meine Tasche vom Bett. Meine Schulsachen vielen raus, die Hefte bedeckten den Boden. Fluchend beugte ich mich hinunter und sammelte alles auf, bis meine Hand nach einem Gegenstand griff, der in ein schmutziges Tuch gewickelt war.

Nachdenklich betrachtete ich ihn. Er lag schwer in meiner Hand, war etwas kleiner als mein Unterarm, und ich war mir sicher, dass er nicht mir gehörte.

Dann erinnerte ich mich, es war der Tag, an dem der Unfall passiert war. Als Lupa mich zurückgeschickt hatte, und mir einen Gegenstand überreichte. Vorsichtig wickelte ich das Tuch ab und hielt einen glänzenden, silbernen Dolch in der Hand. Die Stellen, an denen das Silber meine Haut berührte kribbelten leicht, und mich durchzuckte eine hitzige Woge Energie.

Vor Schreck ließ ich ihn fallen und er landete klirrend auf dem hellbraunen Holzboden, doch während er meiner Hand entglitt, zog die Klinge einen tiefen Schnitt in meine Handfläche.

Der Schmerz kam einige Sekunden verzögert, doch ich nahm ihn nur am Rande war, die Hitze der in mit aufwallenden Energie war wieder verschwunden. Wie gebannt starrte ich auf die Schnittwunde, in der sich langsam das rote Blut sammelte. Ich dachte nicht nach, ich ließ mich nur von meinen inneren Instinkten führen. Mit einer schnellen Bewegung drehte ich meine Hand um, so dass die Handfläche nach unten zeigte und hielt sie über den Dolch. Ich war wie gefesselt, ich starrte nur auf die warmen Tropfen, die das Silber langsam in ihrer dunkelroten Farbe tränkten.

Und einen Moment später war das Blut verschwunden. Als hätte die Klinge es aufgesaugt, wie ein durstiges, wildes Tier.

Die Wunde schloss sich wieder, und ich streckte vorsichtig meine Hand aus. Als ich erneut den Dolch berührte, fühlte er sich so vertraut an, als wäre er ein Teil von mir. Ein Teil von mir, den ich verloren hatte und der nun zu mir zurückgekehrt war.


Den restlichen Abend verbrachte ich in Gedanken, ich starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus, der silberne Dolch lag in Reichweite neben mir. Als ich mich schließlich fertigmachte und müde ins Bett kippte, glitt ich dankbar in meinen Traum.

Ich rannte. Ich rannte durch den Wald, die Zweige peitschten mir ins Gesicht und meine Lunge brannte höllisch. Meinen silbernen Dolch hielt ich fest umklammert, meine Hände waren feucht von dem Blut. 


Keuchend blieb ich stehen und drehte mich um, bereit, meinem Feind in die Augen zu blicken. Der Wolf in mir regte sich, doch ich hielt ihn mit Mühe zurück. 
Das war mein Kampf, und ich würde ihn ausfechten. Es konnte hier nur einen Sieger geben, jetzt hieß es töten oder sterben. Ich zwang mich ruhig zu bleiben, zwang meine Hände, dass sie aufhörten zu zittern.
Ich hörte ihn kommen, und machte mich bereit.
Wenn ich mir jetzt nur einen Fehler erlaubte, war es vorbei.
Dann trat er zwischen den Bäumen hervor, mit einem gefährlichen Lächeln auf den Lippen, mit seinen kalten, berechnenden Augen.
Ich musste gewinnen.
Das war ich den anderen schuldig.

"Na, bist du bereit?", hörte ich seine eisige Stimme. "Bist du bereit...Zu sterben?"





Sorry Leute dass so lange nichts kam, aber ich hatte echt viel zu tun. Außerdem wäre ich fast an einer gewissen Krankheit namens Schreibblockade gestorben...;)
Aber gut, hier ist es endlich, das nächste Kapi! :D

Eure AnSo

PS: Vielen lieben Dank an euch alle, danke für die lieben Kommis und Votes, ihr seid mir echt eine große Hilfe <3 Ohne euch hätte ich es sicher nicht so weit geschafft.
Und natürlich: DANKE FÜR DIE ÜBER 600 reads!!! Ich kann es echt nicht glauben *-*



Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt