49. Zukunft

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Sky

"Es reicht!", rief unser Anführer irritiert und das Stimmengewirr verstummte. "Niemand wird...irgendwen ausliefern."

Liam grinste mir anerkennend zu und ich errötete leicht. Dann wandte ich mich wieder Nicolas zu, der mich musterte und abwesend weitere Befehle erteilte.

"Keiner verlässt die Anlage mehr ohne Erlaubnis oder klarer Anweisung, in der werden Wachen aufgestellt. Heute übernehmen die erste Schicht...Antonio, TJ, Autumn und" Er suchte die Menge ab "Thalia."

Protestierende Unruhe kam auch, doch er beachtete es nicht. "Die Patrouillen übernehmen Jonathan, Alexandra..."

Er zählte weiter die jeweiligen Leute auf, doch ich schaltete ab. Thalia hinter uns starrte auf den Boden, während Isabelle auf sie einredete. "Die Leute werden wich wieder beruhigen", meinte sie gerade. "Das ist immer so."
Dann sah sie auf und ihr Blick helle sich auf. "Sky, wie geht's Jay? Wird er wieder gesund?"

Ich lächelte dem Mädchen zu. "Im Moment schläft er, dank meinem Schlafmittel. Ich habe seine Wunden gesäubert und verbunden, er sollte es schaffen."

Ich verstummte, als ich Thalias gequälten Gesichtsausdruck sah. "Hmmm...", machte ich und versuchte, vom Thema abzulenken. "Ich glaubte, ihr solltet alle zum Training, ich geh zurück und erledige noch ein paar Sachen. Wie wär's, wenn morgen alle zu mir kommen, ich kann Muffins backen."

"Gute Idee", meldete Liam sich neben mir zu Wort. "Da können TJ und ich von dem genialen Plan erzählen, den wir ausgearbeitet haben."

Echt super gemacht, Liam, dachte ich ärgerlich, doch ich behielt es für mich. Dieser Junge konnte manchmal nervig sein...

Aber auch süß, fügte ihr Unterbewusstsein hinzu.

"Wie auch immer", meinte ich zerstreut und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. "Ich muss gehen, und das solltet ihr auch tun."

Ich drehte mich um und spürte noch die Blicke der anderen, als ich unter der alten Weide durch zu meinem Haus ging.

Lupa, hilf mir, sandte ich ein stummes Gebet zu ihrer Göttin. Was soll ich tun? Wie kann ich Thalia helfen?

Ich überprüfte Jasons Verbände und merkte zufrieden, dass seine Atmung stark und gleichmäßig ging.

Doch ihr Traum von letzter Nacht ging mir einfach nicht aus dem Kopf.

Wie soll ich das alles deuten?

Ich erinnerte mich an die Schreie, das Chaos, die Schatten. Was mich aber am meisten beunruhigte, war meine eigene Sicht. In dem Traum war ich nicht ich selbst gewesen, die Welt wurde von brüllend Flammen verzerrt, die in ihr tobten.

Lupa, ich weiß nicht mehr weiter. Ich bin die Heilerin, ich sollte das Beste für mein Rudel tun. Aber was, wenn ich etwas falsch mache?

Ich nahm abwesend eine Schale mit Kräutern von ihrem Tisch, doch auf einmal wurde ich von einem heftigen Schwindelgefühl übermannt, die Schale landete auf dem Boden und zersprang in tausend Einzelteile.

Der Boden kam immer näher, dann verschwamm alles und ich verlor mein Bewusstsein.

Es herrschte tiefe Dunkelheit, meine Augen gewöhnen sich nur langsam an dir Finsternis.

Wo war ich?

Da ertönten laute Rufe, ich erkannte schemenhaft die Bäume um mich herum. Der Ort kam mir bekannt vor, langsam tastete ich mich vorwärts, bis die Schreie lauter wurden.

Ich beschleunigte meine Schritte, stolperte über Wurzeln, kratzte mir die Finger an der rauen Rinde der Bäume auf.

Auf einmal verstummte alles, um mich herum war es gespenstisch Still.

Ich wagte es kaum zu atmen, und da entdeckte ich eine zusammengekauerte Gestalt zwischen den Bäumen. In der Luft lag der Geruch von Blut, ich trat noch einen Schritt vor. Mein Fuß blieb an etwas hängen, ich fiel auf den kalten, mit Laub bedeckten Waldboden.

Meine Hände waren aufgeschürft, mit Mühe schaffte ich es, mich aufzurichten. Da fiel mein Blick auf den Boden und mir stockte der Atem. Ich war nicht über einen Stein oder eine weitere Wurzel gestolpert, vor mir lag ein Körper.

Panisch stolperte ich rückwärts, als ich die Leiche genauer betrachtete. Es war Steve. Mit klopfenden Herzen sah ich mich um.

Weiter links lag Isabelle, ihre leeren Augen starrte in den Himmel. Daneben lagen weitere Körper, dunkel gekleidet, den Geruch erkannte ich sofort.

Werwölfe.

Und dann blieb mir das Herz stehen.

Ein Schluchzen drang aus meiner Kehle, ich kletterte über die Leichen hinweg und sank neben meiner Schwester in die Knie.

"Morgan", flüsterte ich. "Wer hat dir das nur angetan, Schwesterchen?" Tränen rollten über meine Wange, hinterließen ihre Spuren auf meiner Haut.

Ich stand wieder auf, der Schock saß tief in mir. Ich wollte, konnte es nicht glauben.

Was war hier passiert?

Um mich herum lagen meine Freunde, meine Familie. Liam, TJ, Steve, Joanna, Morgan, Isabelle.

Traurig lief ich weiter, den Blick auf den Boden gerichtet. Wie eingefroren blieb ich stehen, als meine eigenen Augen mir entgegenstarrten.

War das mein Schicksal?

Unser aller Ende?

Und dann sah ich sie. Zusammengesackt, auf dem kalten Boden, der Körper, ihre Hände voller Blut. Thalia.

Entsetzt sah sie sich um, stumm liefen die Tränen ihr das Gesicht hinunter.

Ihre Gefühle stürzten auf mich ein, und gleichzeitig fiel mir etwas auf.

Wo war Antonio?

Ich fühlte alles, ihren Schmerz, die Verzweiflung, die Schuld.Und tief, tief drin die Einsamkeit, ihre gebrochene Seele, ihr gebrochenes Herz.

"Denk daran, mein Kind", ertönte eine sanfte Stimme. "Die Liebe kann allen Hass der Welt bekämpfen. Gleichzeitig kann ihr Ende zu Zerstörung und Leid führen."

Um mich herum wurde alles schwarz, ich fiel.

Schwer atmend wachte ich auf, meine Lippen waren ausgetrocknet, mir war übel.

Was hatte ich da eben gesehen?

Wollte Lupa mich vorwarnen, mir unsere Zukunft zeigen?

Stöhnend zog ich mich an dem Tisch hoch, mit zitternden Händen griff ich nach einem Wasserglas, doch ich war so geschwitzt, dass es meinen Fingern entglitt.

Das Wasser ergoss sich über den Fußboden wie das dunkle Blut, dass die Erde getränkt hatte.



Im Schatten des Mondes (I)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt