Kapitel 15 - Eltern

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Selten war Dexter so nervös gewesen wie in diesem Moment. Alles sah aus wie immer. Als hätten die letzten fünf Wochen gar nicht statt gefunden. Sein Vater hatte den Zaun noch immer nicht gestrichen. Vermutlich lag seine Mutter ihm damit nach wie vor jeden Abend in den Ohren. Oder hatte sie es inzwischen aufgegeben? Dexter wusste es nicht.

Er stand seit zehn Minuten vor der Haustür.
Adam hatte eben schon auffordernd gebrummt. Nur dank seiner empfindlichen Ohren hatte er es hören können, denn der stand auf der anderen Straßenseite. Er hatte Dexter entscheiden lassen und der war zu dem Schluss gekommen, dass er erstmal versuchen wollte, allein mit allen zu sprechen. Aber dass Adam in der Nähe sein sollte. Denn ohne den anderen Werwolf fühlte er sich einfach schrecklich und hatte den extremen Drang, wieder zu dem anderen zu kommen. Ein vernünftiges Gespräch könnte er unter solchen Voraussetzungen schwer führen. Trotzdem wollte er allein klingeln. Also theoretisch. Denn bisher hatte er sich dazu ja nicht überwinden können.

Was, wenn seine Eltern nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen würden? Was, wenn es so werden würde, wie Adam erzählt hatte? Was, wenn sie ihn zwar weiter bei sich haben wollten, aber totale Angst hätten, sich anzustecken? Sein Leben war vor knapp fünf Wochen gefühlt in sich zusammengefallen, wie ein Haus, dass mit einer Abrissbirne gekuschelt hatte. Nun würde sich heute klären, was mit dem Fundament passieren würde. Seiner Familie und seinen Freunden.

Er hörte das Fiepen und erst danach wurde ihm klar, dass er das machte.
Er blickte zu Adam, der fragend zurück blickte.

Dexter lief nochmal rüber.

"Ist ne schöne Straße. Aber wenns noch länger dauert, würde ich mir kurz was zum Lesen kaufen...", brummte der und griff ihm in den Nacken.

"Ich hab Angst...", stammelte Dexter.
"Ja. Du musst das nicht machen. Manche gehen einfach."
"Das kann ich nicht."
"Dann drück auf die Klingel. Ich warte hier und wenn was ist... Ach was, dann kommst du ja eh an."
Dexter nickte, drückte sich noch einmal sehr eng an den Mann und lief wieder zu seinem Elternhaus.

Hätte das jemand gesehen, würde er sie wohl für ein Paar mit großem Altersunterschied halten. Die Gesten wirkten sehr intim. Aber Dexter hatte gelernt, dass das nichts sexuelles war oder im eigentlichen Sinne intimes. Im menschlichen Sinne war es das nicht. Im wölfischen Sinne war es einfach Trösten, Nähe und Beistand. Adam kümmerte sich um ihn. Wie ein Papa vielleicht. Nur würde sich ein menschlicher Papa so hoffentlich nicht um seine Kinder kümmern. Denn Adam war eben teils auch sehr ruppig und grob. Wenn er seine Zähne an Dexters Hals legte, um ihm klar zu machen, dass er zu weit gegangen war oder sowas. Das war keineswegs sanft. Nachts schliefen sie nackt. Auch das hatte nichts Sexuelles. Wenn einer hart wurde, dann wurde das einfach ignoriert und fertig. Haut an Haut war Nähe, Trost und Kuscheln. Mehr nicht. Aber das würden Außenstehende niemals verstehen. 

Er betätigte den Klingelknopf, bevor er es sich anders überlegen konnte. Für einen Moment überlegte er, wie bescheuert es wäre, wenn jetzt einfach keiner da wäre.

Aber kurz darauf würde die Tür geöffnet und er stand seiner Mutter gegenüber.

"H... Hi...", stammelte er vollkommen verunsichert und in seinem Kopf summte er die Melodie von Tetris, damit sein Hirn hoffentlich zu beschäftigt zum Fiepen war.

"Hallo Dexter.", schluchzte seine Mutter und presste sich die Hände gegen ihr Gesicht.
Sie umarmte ihn nicht. Da half auch keine Tetris Melodie mehr. Selbst in seinen Ohren klang das Fiepen absolut jämmerlich.

Traurig wandte er den Blick ab.

"Hallo Dexter. Komm rein.", sprach sein Vater wesentlich gefasster und blickte dann über seine Schulter.

"Gehört... Chrm..  gehört der Mann zu dir?", fragte er dann und man hörte so unendlich viel Unwillen und ja... Doch.. das war Ekel heraus, dass Dexter am liebsten weglaufen wollte.

Er nickte nur knapp. Wahrscheinlich verstanden seine Eltern das falsch. Aber er hatte auch keine Ahnung, wie er das erklären sollte, was Adam war. Er fror ohne die Umarmungen. Ihm war entsetzlich kalt.

"Bitte ihn doch bitte auf der Terrasse..  zu warten.. die Nachbarn müssen ja auch nicht alles mitkriegen."
Sie schämen sich, schoss es ihm durch den Kopf.

"Wir können auch gehen.", hörte er Adam flüstern. Seine Eltern hatten nie im Leben was mitbekommen.

"Ich brauche zumindest kurz meine Sachen... Ich... Ich..."
"Schon gut. Halt die Ohren steif. Ich warte auf der Terrasse und tue so, als wäre ich eine Blume, wenn ein Nachbar guckt.", flüsterte Adam und stapfte mitten durch den Vorgarten.

Seine Eltern glotzten nun ziemlich doof aus der Wäsche, hatten sie doch von der Kommunikation nichts mitbekommen.

-

Er saß am Küchentisch. Vor sich hatte er ein Glas Wasser und er wusste: Adam hatte Recht. Die diffuse Angst seiner Eltern machte ihn nervös. Er wollte hier weg. Wollte zu Adam, der zwar nicht immer sehr nett war, aber ihm doch zumindest Sicherheit vermittelte. Und ihn nicht so ansah, wie seine Eltern das gerade taten. Sie wollten freundlich gucken. Er sah es. Aber es wirkte angeekelt und ängstlich. Auch wenn sie es nicht wollten. Sie wollten ihr einziges Kind lieben. Aber... Sie berührten ihn nicht. Guckten schrecklich vorsichtig, als könne er gleich einen Satz über den Tisch machen und ihnen in die Waden beißen.
Nichts lag ihm ferner. Er fühlte sich schrecklich klein und ekelig und schämte sich. Die Blicke waren fürchterlich. Von Fremden. Aber von den eigenen Eltern... Da zerrissen sie ihn.

"Ich... Ich schätze..  ich schätze, ich sollte dann Mal ein paar Sachen packen...", murmelte er niedergeschlagen, nachdem sie fünf Minuten gar nicht mehr gesprochen hatten.

Haltet mich auf. Oh bitte bitte, haltet mich auf., schrie die Stimme in seinem Kopf. Aber es roch nach Erleichterung. Autsch...

"Ja.. mach das ruhig...", stammelte seine Mutter.
Dexter drehte sich um und ging die Treppe hinauf. Weinend. Aber das sahen sie nicht.

Adam hörte es. Ein schräg gestelltes Fenster reichte ihm. Er seufzte schwer. Genau deshalb hatte er dem Kleinen das so schonungslos gesagt. Damit er sofort wusste: ich bin damit nicht allein. Es liegt nicht an mir. Aber was half das schon? Nichts.

-

"Wir... Wir werden dich weiter finanziell unterstützen. Bist doch unser Junge... Wir erhöhen das Geld sogar." Haspelte sein Vater, als sie vorm Haus standen. Adam war wieder auf der anderen Straßenseite.

Dexter hatte kaum etwas dabei. Einige wenige Kleidung. Er konnte schlecht fünf Koffer mitschleppen. Nur die Kleidung, sein Sparschwein und sein Kuscheltierschaf hatte er mitgenommen.

"Danke.", sprach er und wandte sich um.
"Und meld dich Mal."
"Ja."

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanWhere stories live. Discover now