Kapitel 6 - Wohin nur?

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"Wa- Was wollen Sie?", fragte Dexter ängstlich.
"Doppelte Miete ab jetzt.", sprach der Mann, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.
"Was? Das Zimmer ist nicht Mal die Hälfte des jetzigen Preises wert. Weder Kühlschrank noch Fernseher funktionieren.", platzte es aus Dexter heraus.
"Tja. Egal, was du treibst, die Polizei soll es nicht erfahren. Ich weiß es. Ein Anruf und du fliegst auf. Du hast keine Wahl, Junge."
"Sie verdienen doch so schon vie-"
"Ich gehe hier ein Risiko für mich ein, wenn du da Scheiße machst. Das zusätzliche Geld lässt mich ruhig schlafen. Wenn's dir nicht passt - da ist die Tür."

Dexter zitterte vor Wut und Scham. Er spürte dass seine Augen verdächtig glitzerten, weil er das so unfair fand und gleichzeit wusste, dass er nichts tun konnnte. Könnte sich noch freuen, dass der Typ nicht noch mehr verlangte.

Abgehackt und mit geballten Fäusten nickte er. Was blieb ihm auch anderes?
"Dann wünsche ich weiterhin einen angenehmen Aufenthalt.", grinste der Typ boshaft, als Dexter unterschrieben hatte.

Dexter ging in sein Zimmer, obwohl er dem Mann gern seinen blöden Taschenrechner um die Ohren hauen würde.

Toll. Und jetzt? Was sollte er denn jetzt machen? Sich ein anderes Hostel suchen? Vielleicht wären die da noch schlimmer drauf. Bis zur Aufhebung der Kontaktsperre würde er das hier wohl aushalten müssen. Auch wenn ihn allein der Gedanke, dass dieses Individuum sich sein Geld unter den Nagel riss, wirklich wirklich doll aufregte. Wäre er von imposanterer Gestalt, hätte der sich das bestimmt nicht getraut. Oder hätte er imposante Freunde. Und was hatte er? Drei Schlüppis, zwei Hosen, drei Pullover, eine Jacke, einen Rucksack, drei Kaugummis und sein Handy. Ohne Akku. Das war es. Klang nicht sehr beeindruckend. Gut, das Geld hatte er noch. Aber das war nun auch kein Koffer voll Gold, wie Pippi Langstrumpf ihn hatte. Für Dexter war das sehr sehr viel Geld. Aber er war eben bisher auch Schüler gewesen. Alles war für ihn viel.

Ein wenig saß er herum und war einfach traurig und steigerte sich noch ein bisschen weiter in seine Trauer hinein. Er schämte sich einfach fürchterlich, dass der Typ das mit ihm machen konnte. Unter normalen Umständen hätte er dieses Hostel nicht Mal beim Vorbeifahren eines Blickes gewürdigt. Und nun war er gezwungen sich für ein kaputtes Zimmer so ausnehmen zu lassen.
Aber als das erste Bett wieder begann zu klopfen, ging er doch wieder nach draußen. Diesesmal über die Feuerleiter. Wenn der Typ ihn nicht sah, konnte er nicht noch mehr verlangen, dachte er sich nur.

-

Ein Baukran, Betonmischer, Bagger, Muldenkipper und eine Planierraupe. Eine Baustelle wie im Kinderbuch. Dicke Rohre, erste Andeutungen von Mauern, schlammiger Boden. Alles war da. Und machte damit Dexters Hoffnung, dass mal etwas leicht sein würde, zunichte. Hier. Genau hier war, laut Flyer, eine staatlich subventionierte ausgewiesene Fläche für Lykanthropen in der Vollmondnacht. Stattdessen ein riesiges Schild: Wir bauen für Sie! Entscheiden Sie sich noch heute für einen unserer Haustypen und profitieren sie von attraktiven Prämien!

Frustriert seufzte Dexter auf. Toll. Was nun? Irgendwo musste er doch hin. Er war jetzt fünf Stunden unterwegs gewesen für nichts. Bald war Vollmond. Wenn er jemanden verletzen würde, wäre er dran und er hatte keine Ahnung, wo er hin sollte. Hätte es das Gespräch mit Horton nicht gegeben, wäre er sich längst registrieren lassen gegangen. Allein schon, um mal ein paar Infos zu bekommen und eine Perspektive, wie es weitergehen sollte. Aber das Wissen um die Folgen für ihn, die nicht im Hochglanzflyer abgedruckt waren, hielt ihn sehr effektiv davon ab. Und doch: ohne das Gespräch, wäre es ihm vermutlich inzwischen scheißegal. Es klappte so ja doch nichts.

Er wanderte einmal um die Baustelle herum. Sie war komplett von Straßen umzogen. Keine Möglichkeit also, dass er die Fläche für Lykanthropen einfach übersah.
Kurz war er gewillt, sich einfach ein neues Ladekabel zu kaufen. Aber er hatte im Krankenhaus seine Nummer angegeben. Das wirkte also nicht allzu sicher. Er sollte sich ein Prepaid-Handy zulegen. Wie ein richtiger Schwerverbrecher. Tolle Aussichten. Aber vielleicht würde er online eine verfügbare Fläche finden? Auf der anderen Seite könnte er kaum der Verlockung wiederstehen, gegen das Kontaktverbot zu verstoßen, wenn er so leicht die Möglichkeit dazu hätte. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass es von staatlicher Seite aus genau darauf ausgelegt war. Und er wollte denen den Gefallen nicht tun. Deshalb hielt er sich selbst davon ab, ein Handy zu kaufen.

-

In den nächsten Tagen durchstreifte er die Stadt. Auf der Suche nach einer Fläche, die irgendwie den Eindruck erweckte, sie könne eine sein, an der andere vor ihm bei Vollmond sicher wären. Er fand einige Parkanlagen, die umzäunt waren. Sie waren von unterschiedlicher Größe und Ausstattung. Und sie alle einte eins: bei den Öffnungszeiten stand explizit, dass die jeweilige Fläche zu Vollmondnächten nicht geöffnet habe. Dexter war so etwas noch nie aufgefallen. Dass es so etwas überhaupt gab. Aber vorher hatte er auch nie auf solche Öffnungszeiten geguckt. Wieso auch?

Er hatte überlegt, ob er nicht ein leerstehendes Haus beziehen könnte. Den alten Boxclub neben dem Hostel vielleicht. In einem leeren Gebäude, könnte er schließlich auch niemanden verletzen. Aber was, wenn ihn jemand hören würde? Was, wenn jemand zu ihm käme? Und was, wenn er dann jemanden verletzen oder töten würde? Angst. Alles was Dexter hatte, war Angst vor dem Tag haben, der unbarmherzig immer näher rückte.

Morgen wäre Vollmond. Er war auf dem Weg zurück zu seinem Zimmer. Es war schon fast dunkel. Morgen würde er sich das erste Mal verwandeln und er hatte keine Ahnung, wo er hin sollte. In seiner Verzweiflung hatte er schon überlegt, sich einfach irgendwie selbst auszuschalten. Aber sein Überlebenswille und seine Angst vor Schmerzen oder den Folgen eines Fehlversuchs hielten ihn zurück.

Er ging gerade an einem Pub vorbei, als plötzlich ein Mann einen Arm um ihn legte, der da wohl gerade heraus kam.

"Na, Kleiner. Ich weiß was du bist."
Wie festgefroren blieb Dexter stehen. Scheiße!

"Du bist echt nen Süßer. Ich war bei Hortons und hab dich seither beobachtet. Weißt wohl nicht wohin morgen, was?"
"Äh... Ja... Ich..."
"Mitkommen.", brummte der Mann und zog Dexter in einen schmutzigen Hinterhof.

"Was-"
"Schnauze, Puppe. Ich pack dich nicht an und es geht schnell. Zeig mir deinen Arsch."
"Wa-"
"Sofort!", knurrte der Mann.

Wieder war da der Drang zu gehorchen und eine Stimme, die ihm sagte, dass er niemals eine Chance gegen den Mann hätte. Dass er nicht in der Position war, sich zu wehren.

Dexter drehte sich um. Stumme Tränen liefen über sein Gesicht, als er seine Hose öffnete und seinen Po entblößte. Es war kalt. Aber gezittert hatte er schon vorher.

"Oh ja... Das wird geil...", stöhnte der Mann hinter ihm.

Er fasste ihn nicht an und Dexter war froh, dass er sich nicht angucken musste, was der da tat. Als das Stöhnen abebbte und seine Hose einige Spritzer abbekommen hatte, zog er sich schnell wieder an. Er war nicht berührt worden und doch war es ihm, als haben viele Hände ihn beschmutzt.

"Komm morgen zu dieser Adresse. Wir sehen uns.", sprach der Mann und verschwand, nachdem er eine Serviette in seinen eigenen Dreck geworfen hatte.

Immerhin hatte er eine Adresse, dachte Dexter, wischte sich die Rotze aus dem Gesicht und hob die Serviette auf. Alles hatte im Leben wohl einen Preis...

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt