Kapitel 14 - Adam erzählt

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Die Tage vergingen und Dexter versuchte über die meisten Dinge einfach nicht mehr nachzudenken. Er bemerkte selbst, dass er oft fiepte, aber das andere Werwölfe diese Reaktion wesentlich schneller hervorriefen, als Menschen, die keine Lykantrophie hatten.
Er hielt sich komplett an Adam und versuchte sich das, was der teils so von sich gab, nicht zu Herzen zu nehmen. Oder nicht persönlich. Aber das war mitunter gar nicht so leicht. Adam schien viele seiner Probleme auch so gar nicht zu verstehen. Vielleicht lag das daran, dass er über 40 Jahre älter war? Oder daran, dass er schon sehr sehr lang als Werwolf lebte?

Als Dexter erzählte, dass er so gern studieren und vorher ein Auslandsjahr machen wollte, hatte der doof geguckt und gemeint, dass, als er damals die Diagnose bekommen habe, das Virus erst ein paar Jahre hierzulande überhaupt bekannt war. Besonders in den Medien herrschte eine wahre "Lykantrophie-Angst". Eine Art Hysterie brach aus, als scheinbar völlig gesunde Menschen damit zu kämpfen hatten.

"Dabei hatten manche mehr Angst vor der Stigmatisierung und der Diskriminierung der Gesellschaft, als vor dem Virus an sich. Wobei damals war die Wissenschaft auch noch nicht so weit. Nicht, dass sie jetzt weit wäre... Aber naja."
"Kann man daran auch sterben?"
"Natürlich kann man. Bei dem Biss kann eine Menge schief gehen, bei der eigentlichen Infektion auch und die Wandlungen sind auch nicht ohne, wenn man da auf die falschen Leute trifft."
"Oh..."
"Bei manchen hat man gesagt, sie seien selbstverschuldet krank. Krank. Also die Unterscheidung "unschuldige" und "schuldige" Opfer. Es war damals alles wesentlich dramatischer. Gab noch Infektionen durch Bluttransfusionen - das waren die unschuldigen Opfer. Bist du gebissen worden, musst du es ja zwangsweise drauf angelegt haben. Angst wurde direkt geschürt und stigmatisierte Menschen zur Randgruppe erklärt. Das waren üble Zeiten. Du wurdest behandelt wie ein Aussätziger."
Da war Dexter froh um das Glück seiner späten Geburt. Er fand das alles so schon sehr schlimm.

"Die Macht der Medien darf man niemals - hörst du - niemals unterschätzen. Die haben damals Panik verbreitet, als es noch viel zu wenige Fakten gab. Als dann klar wurde, dass es jeden treffen kann, wurde es etwas besser und dann verschwand es medial irgendwo in den Archiven. Und guck dir den Umgang an: Noch immer wirst du angeguckt wie etwas Schmutziges oder Dreckiges. Es gab nie eine Wende in den Köpfen. Ein "oh, auch Betroffene können ein normales Leben führen". Können wir ja auch nicht. Beruflich nicht und gesellschaftlich auch nicht. Die Liste der Verbote ist lang und vor deinem Blut werden alle Schiss haben. Ein Bekannter ist verblutet. Mit Rettungskräften um sich herum, weil keiner sich getraut hat, ihn anzufassen. Das muss man sich Mal vorstellen. Keiner ist belangt worden. Das kann einem auch heute noch passieren. Und da wundern die sich dann, dass man sich lieber nicht registrieren lässt und versucht sein eigenes Ding zu machen - was dann aber wieder als potentiell kriminelles Verhalten gedeutet wird. Du kannst es nicht richtig machen."

Tolle Zukunftsaussichten, dachte Dexter.

"Wirst sehen - auch von deinem Umfeld werden Leute jetzt Angst vor dir haben. Und du vor denen. Weil du Schiss haben wirst vor Ablehnung. Die nehmen deinen Schiss unterbewusst wahr. Und deuten den als Aggressivität. Dann kriegen sie Schiss und du deutest das als Schiss vor dir, was dir dann noch mehr Schiss macht. Läuft bei ganz ganz vielen so. Außer, man deckelt es ab. Erzählt es keinem. Dann wissen sie nicht, wovor sie Schiss haben sollten. Dann kann es klappen. Aber dann lebst du mit dem Geheimnis und der Lüge. Und wenn sie es dann wegen dummen Umständen doch mitbekommen, sind sie entweder stinksauer, glauben, dass du ihnen nicht genug Vertrauen entgegen bringst und fühlen sich abgelehnt oder glotzen dich die ganze Zeit an, als würdest du gleich zum Monster werden oder auf die Seite kippen und sterben. Alles nicht geil."
"Adam?"
"Hm?"
"Ich kann nicht schlafen, wenn du mir sowas direkt vorm Schlafen gehen erzählst..."
"Du bist ein Welpe. Die können selbst schlafen, wenn man die mit den Beinen in einen Baum hängt."
"Wer macht denn sowas?"
"Ich, wenn man zu doll nervt."
Dexter schwieg dann lieber.

"Jedenfalls... Musst du dir gut überlegen, wie du es angehen willst. Morgen darfst du hin. Die Wochen sind dann herum. Willst du einfach klingeln? Willst du sie vorher anrufen und wo Neutrales hin bestellen? Wen willst du morgen überhaupt alles sehen? Und was willst du denen erzählen? Willst du allein gehen? Muss ich wo, wien liegen gelassener Regenschirm warten? Oder soll ich mit?"
"Äh..."
"Denk drüber nach. Nacht."
Wow. Danke für nichts, dachte Dexter. Denn er hatte sich darüber tatsächlich noch keine Gedanken gemacht. Er hatte nur auf den Tag hin gefiebert. Etwas in ihm hatte die ganze Zeit gehofft, einfach in sein altes Leben zurück kehren zu können. Aber das war utopisch. Er bekam Schiss, wenn Adam zu weit weg ging.

"Scheiß Welpenschutz", grummelte der dann immer und ging langsamer. Der Welpenschutz sorgte offenbar dafür, dass ihn keiner wirklich als Konkurrenz wahr nahm und dass er selbst voll drauf geeicht war, sich an den älteren Wolf zu halten. Scheiß egal, wie grummelig der war. Adam hatte irgendwann gesagt, dass selbst, wenn er ihn schlagen würde, würde Dexter weiter mitkommen. Das war nun auch nicht geeignet, um gut einschlafen zu können. Dexter war froh, dass Adam teils böse Dinge sagte, es aber immer bei Worten blieb. Horton wies ihn oft zurecht, aber Adam konnte da merklich nicht aus seiner Haut. Dexter bemerkte auch, dass der das teils nicht böse meinte. Der war einfach sozial irgendwie... Ja, ein einsamer Wolf, der um Dexters Gesellschaft auch nicht wirklich gebeten hatte. Trotzdem beriet er Dexter auf seine Weise und bot ihm indirekt an, ihn morgen zu begleiten, oder auch auf ihn zu warten. Nur was davon wollte Dexter? Klar, Adams Anwesenheit würde nicht gerade für einen entspannten Umgang morgen sprechen. Aber wenn er sich unwohl fühlte, roch Adam das sehr schnell und beruhigte ihn mir der Hand im Nacken. Wenn er ewig fiepen würde, würde das ja auch nicht helfen. Also was tun? Er würde es morgen entscheiden. Jetzt wollte er wirklich dringend schlafen...

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanWhere stories live. Discover now