Kapitel 5 - Unschuldig?

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Dexter hielt es in dem Zimmer nicht lang aus. Außerdem war ihm nicht ganz wohl dabei, dass er zwar seine Kontokarte hatte, aber kaum Bargeld.
Also suchte er den nächstbesten Bankautomaten auf und hob alles Geld ab, abzüglich der Kosten für seine neue Zelle für 2,5 Wochen.
Noch nie hatte er so viel Bargeld auf einem Haufen gesehen. Hoffentlich würde ihn niemand überfallen. Sonst hätte er kaum noch was.
Wohin mit dem Geld? In das Zimmer? Man würde in der Unterkunft wohl nicht so viel Geld erwarten. Würde, warum auch immer, die Polizei sein Zimmer dann durchsuchen, würden die am Ende von sonst was ausgehen... aber immer mit so viel Bargeld herum laufen? Das war auch nicht gut. Er sollte es aufteilen. Die Eier besser auf mehrere Körbe verteilen. Das wäre besser, falls einer herunter fallen würde.

Er kaufte sich noch zwei Brötchen und zwei Flaschen Wasser. Er hatte keine Kühlmöglichkeit für Lebensmittel. Außerdem musste das Geld möglichst lang reichen. Aber irgendwas musste er ja dennoch essen.
Er sollte sich Ziele setzen. Hieß es das nicht immer? Dass einen das vom Durchdrehen abhielt? Er hatte es jetzt zehn Tage. Die Kontaktsperre für seine Familie galt für vier Wochen. Also noch 18 Tage. Danach könnte er zurück. Seine Eltern liebten ihn. Sie würden ihn auch aufnehmen, wenn er den Kopf unter dem Arm tragen würde. Er musste nur ganz sicher ausschließen, dass er eine Gefahr für sie sein könnte. Alles andere könnte er sich niemals verzeihen.

Wie also 18 Tage überstehen und dabei möglichst nicht abdrehen?
Er könnte natürlich ewig in dem Zimmer hocken. Aber dann würde er ganz sicher abdrehen.
War das der Bewegungsdrang an frischer Luft? Nein. Er könnte sich gerade auch vor einen Fernseher legen und zwei Monate seinem Streamingabo fröhnen. Es lag einfach an dem Zimmer, dass er lieber raus wollte.

Als er es wieder betrat, klopfte das Bett noch immer an die Wand. Oder schon wieder? Waren das die ganze Zeit die selben? Man hörte nur das Klopfen des Bettes. Sonst nichts. Vielleicht dachte er auch zu pervers und jemand nutzte ein Rudergerät zu dicht an der Wand.

Er dachte über sich selbst nach. Nächste Woche, also in wenigen Tagen, wäre Vollmond. Sein Körper müsste dann wölfisch werden und das konnte er nicht hier im Zimmer. So ein großes Tier in einem Zimmer von Menschen umgeben und ohne Fluchtmöglichkeit klang gar nicht Mal so gut.
Eine ausgewiesene Fläche war im Prospekt gewesen. Vielleicht sollte er sich die morgen einfach schonmal ansehen? Vielleicht würde er dann dort einen freundlichen Lykanthropen treffen?
Dann wäre er morgen zumindest beschäftigt. Da öffentliche Verkehrsmittel ja, da er sich Menschen nicht nähern durfte, aktuell nicht in Frage kamen würde er vermutlich den ganzen Tag durch die Gegend laufen. Tolle Aussichten.

Das Bett sah aus, als habe bereits die halbe Nordhalbkugel darin geschlafen. Oder sonst was gemacht. Also legte Dexter seine Jacke über das Kopfkissen und schlief komplett bekleidet. Wenn er sich schon Geschlechtskrankheiten einfangen würde, würde er wenigstens vorher gern Sex haben.

Es war eine unruhige Nacht. Die von oben stritten lautstark, er konnte jedes Wort verstehen und es wurde echt hässlich gestritten und das Bett von links hatte sich dem von rechts zeitweilig angeschlossen und klopfte rhythmisch gegen die Wand.

Dexter lag in Embryonalstellung und voll bekleidet auf seinem Bett und hielt sich die Ohren zu.
Seine Tasche, die seine Mutter ihm in die Klinik gebracht und an der Rezeption hatte abgeben müssen, bot nur einen begrenzten Fundus an Kleidung. Er sollte sich Gedanken machen, wie er gedachte, die wenigen Textilien sauber zu halten. Seine Eltern sollten sich nicht zu Tode erschrecken, wenn er zurück kam.

Mit den Händen auf den Ohren gepresst und eng zusammen gekniffenen Augen schlief Dexter irgendwann mit seinen vielen Gedanken ein.

-

Eigentlich hatte sein Plan es vorgesehen, dass er früh am Morgen aufbrechen würde. Allerdings gab es dann, als er gerade so weit war, einen Polizeieinsatz im Haus. Und Polizisten würden ihn doch ganz sicher erkennen. Also wartete er erstmal Ewigkeiten ab. Offensichtlich würden die Streitenden von oben wohl nicht mehr streiten. Es war wohl nur noch einer da. Der andere wurde mit den Füßen vorwärts nach einer Weile über den Hof getragen.

Tatsächlich hatte Dexter einen sehr hohen Bewegungsdrang. Er merkte es erst gar nicht, aber wie ein Raubtier in einem zu kleinen Käfig drehte er unentwegt in seinem kleinen Zimmer enge Kreise.
Was, wenn die Polizei bei ihm klopfen und fragen würde, ob er was gehört hätte? Was, wenn sie ihn finden würden? Er dürfte nicht hier sein. Er verstieß mit seiner Anwesenheit hier gegen Gesetze. Was, wenn sich sein Blutstatus bemerkbar machen würde, wenn er nervös vor der Polizei sitzen würde? Was, wenn er sie, obwohl er das ja nie wollte, angreifen würde?
Wie lange bekam man dafür wohl?
Gab es extra Gefängnisse für Leute wie ihn? Was passierte im Knast bei Vollmond?

Fragen über Fragen strömten durch seinen Kopf, auf die er keine Antworten wusste. Aber es erschien im sinnvoller, wenn die Polizei ihn nicht antreffen würde.
Also schlich er sich irgendwann doch nach draußen und versuchte möglichst unschuldig zu wirken, während er sich ungehindert und wohl auch ungesehen vom Gebäude entfernte.

Was jetzt? Was, wenn die sein Zimmer durchsuchen würden und den dort verbliebenen Teil seines Geldes finden würden? Was wenn die ihm noch viel mehr vorwerfen würden?

Bevor er mehr und mehr in Panik verfallen konnte, lief er schon los. Er war nie gern joggen gegangen. Fand das eher nervig anstrengend und bevorzugte es, auf seinem Mountainbike oder Skateboard herum zu brettern. Aber gerade hatte er ja keine Wahl und irgendwie waren seine Beine gefühlt losgelaufen, noch bevor sein Kopf den Befehl dazu hatte erteilen können.

Für einen Untrainierten hatte er ein beeindruckendes Tempo und eine bemerkenswerte Ausdauer. Er hatte nicht, wie sonst, das Gefühl um die nächste Straßenecke besser mal ein Sauerstoffzelt aufsuchen zu müssen. Er hielt das ganz locker durch. Atmete kaum schneller und seine Gedanken klären sich dennoch.

Statt zu der ausgewiesenen Fläche zu laufen, bewegte er sich mehr um sein Hostel herum. Er wollte wissen, wann Polizei und Spurensicherung und wer immer da noch alles war, abrückte.

Würden die ihm im Zweifelsfall glauben, dass er zwar gegen das Gesetz gehandelt hatte, aber das nicht wollte? Dass ihn die Angst vorm auf der Straße schlafen, dazu getrieben hatte?  Die Angst um seine eigene Sicherheit? Oder war die einfach so viel weniger wert?
Er wusste es nicht. Er wollte es auch Bitte lieber nicht heraus finden.

-

"Na?", brummte der Mann hinter dem schmutzigen Tresen, als Dexter irgendwann zurück kehrte. Der ganze Zirkus war vor zehn Minuten abgerückt.

"Hallo."
"Die Polizei geht von einem leeren Zimmer 82 aus."
"Oh vielen vielen Dank. Danke. Ich-"
"Oh, keine Sorge. Das hab ich nicht aus Nächstenliebe gemacht.", sprach der Mann ernst.

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ