Kapitel 10 - Alles raus?

401 52 21
                                    

"Kann ich bei dir bleiben?", fragte Dexter und sah unsicher zu Adam.
"Awww.", machte Horton verzückt.
"Neee. Ich eigne mich nicht. Das hatten wir schon.", brummte angesprochener aber und Dexter senkte niedergeschlagen den Blick. Offensichtlich bekam er allein ja nichts auf die Kette. Adam war nett. Es wäre besser, wenn er bei ihm bleiben könnte, oder?

"Na, jetzt guck nicht so, Nervensäge. Ich bin zu Vollmond immer allein gewesen.  Die letzten vierzig Jahre schon. Wenn da plötzlich so'n Wicht ankommt: wenns gut läuft, würde ich dich als Partner akzeptieren, wenn es schlecht läuft, sehe ich dich als Eindringling in mein Gebiet. Das wäre nicht sehr gesund für dich."
"Ich könnte doch auch allein sein. Und am nächsten Tag treffen wir uns wieder?", stammelte Dexter.
"Na, jetzt überleg Mal nochmal wie gern du gestern aus der Zelle raus wolltest, hm? Wölfe sind gesellig. Die sind nicht gern allein. Du bist jung. Du brauchst Gesellschaft. Und zwar keinen alten einsamen Wolf."
Dexter traute sich nicht mehr zu wiedersprechen. Es stimmte ja. Gestern hatte er die Einsamkeit gespürt. Den Wunsch nach Gesellschaft. Die Angst vorm Alleinsein.

"Außerdem bin ich viel zu alt für son Welpen. Mit Erziehung habe ich auch nichts am Hut. Nein. Ich bringe dich dorthin, wo sie schon was für dich finden. Und dann gehe ich wieder meiner Wege. Ganz einfach."
Dexter fiepte. In Menschengestalt und merkte es im ersten Moment nicht einmal.

"Es gibt noch mehr nette da draußen, Kleiner. Adam ist nun Mal ein Grummelbär."
"Und wo soll ich dann hin?", fragte Dexter und legte seinen Löffel hin.

"Erstmal holen wir deinen Kram und dann pennen wir ein paar Nächte hier, bis du fit genug bist, damit wir los können."
"Los wohin?"
"Es gibt eine Schule, die sich ohne Förderung hält. Für alle möglichen Anomalien. Es gab in den letzten zwei Jahren vermehrt neue junge Lykanthropen. Dein Alter. Man weiß nicht warum und wer dafür verantwortlich ist. Aber ich hörte, dass sie dort versuchen ein Rudel zu formen. Das ist was für dich."
"Ein neues Rudel?", fragte Dexter.
"Ja. Das ist besser für dich. In Bestehenden den eigenen Platz finden ist hart. Und sie sind dort alle in deinem Alter. Das ist auch nicht verkehrt."
"Sie alle wurden so jung gebissen?"
"Ja. Man ist an der Sache dran, warum und wieso. Aber bisher weiß man nichts."
"Wo ist die Schule?"
"Weit im Norden. Da sind wir ne Weile unterwegs. Du darfst keine öffentlichen Verkehrsmittel nehmen. Man könnte es drauf ankommen lassen, aber die Folgen sind hart. Und du bist nach dem ersten Vollmond. Da würden wir sehr wahrscheinlich auffallen. Wir werden also zu Fuß reisen müssen."
"Oh..", machte Dexter traurig.
"Wieso?", fragte er dann noch niedergeschlagen.
"Weil Menschen nicht so süß fiepen. Keine Sorge. Je mehr Zeit vergeht, desto besser kannst du es kontrollieren."
"Aber... Meine Familie..  ich wollte doch zu ihnen zurück?", fragte Dexter und jetzt merkte er selbst, dass er fiepte. Konnte es aber auch nicht abstellen.

"Willst du das wirklich?", fragte Horton mitleidig
"Viele erzählen gar nicht, dass sie es haben. Die Angst vor Ausgrenzung und die Scham sind viel zu hoch."
"Bei manchen wissen es nicht einmal die Eltern?", fragte Dexter schockiert.
"Nein. Manche sagen es niemanden. Sie leben ihr vorheriges Leben möglichst weiter."
"Wieso kann ich das nicht auch tun?"
"Nun, zum einen wäre da dein Fiepen. Und dann... Fehl mal drei Monate hintereinander zu Vollmond. Schon geht das Gerede los. Und das ist weit aus schlimmer, als die Realität es jemals sein könnte."
"Aber sie sehen es mir nicht an?", fragte Dexter.
"Nein. Erstmal nicht. Aber sobald du zu einem Arzt gehst, wird ein Wirbel drum gemacht. Und wenn es nur ein Podologe ist, der weit weg von den Zähnen ist. Sie haben irrationale Angst, sich anzustecken. Mit dem Stellen der Diagnose verabschiedet sich schonmal ein Großteil des Bekanntenkreises. Und dann gibts eben Gerüchte und Hetze. Jetzt hör auf zu Fiepen. Ist ja ein grässlicher Ton.", brummte Adam.
"Nein, er klingt süß. Du findest ihn nur grässlich, weil er dich nahezu anschreit, dass du dich um ihn kümmern sollst.", schmunzelte Horton.

"Aber meine Eltern... Und ein paar enge Freunde...", stammelte Dexter. Er wusste ja eh nicht, wie er das Fiepen ausmachen sollte.
"Das musst du wissen, ob du es drauf ankommen lassen willst. Aber es geht nicht nur um ihre mögliche Angst, sondern auch um deine. Selbst wenn sie sich verhalten wie vorher, was wohl die Wenigsten so ganz können: Du könntest sie möglicherweise anstecken. Das lässt viele von uns vor zu engem Kontakt zurück schrecken."
"Aber ich kann doch nicht einfach verschwinden.", wimmerte Dexter und Tränen rollten über seine Wangen.

Adam sah ihn etwas ratlos an. Wusste nun offensichtlich nicht so genau, was zu tun war.

"Lass mich Mal.", murmelte Horton ihm zu, wanderte um die Theke und nahm Dexter in den Arm.

"Hör Mal, Schatz. Vielleicht ist es bei dir anders. Vielleicht läuft alles genau so, wie du dir das vorstellst. Aber trotzdem brauchst du zu Vollmond Gesellschaft. Und Rudel... Die würden nicht funktionieren, wenn sie sich nur zu Vollmond sehen. Sie teilen einen Geruch."
"Also muss ich dann da wohnen? Mit anderen?", fragte Dexter schockiert. Er wusste ja nicht, ob er so wirklich WG-tauglich war.
"Das wird sich alles klären. Vielleicht könnt ihr es so machen: Bevor ihr aufbrecht, seht ihr einmal bei denen Eltern vorbei."
"Ich hab echt so gar nicht das Verlangen Menschen zu beißen. Wirklich nicht. Ich fühle mich wie vorher. Ich bin nicht gefährlich.", weinte Dexter nur noch mehr.
"Wow. Das klappt ja super.", brummte Adam.
"Vielleicht muss es einfach raus.", zischte Horton ihm zu und sprach dann zu Dexter: "Ganz ruhig. Das weiß ich doch. Es sind nicht alle gleich. Es gibt welche, die haben den Drang zu beißen. Von denen gibt der Großteil dem Drang aber nicht nach und wieder andere, die haben ihn gar nicht. Die, die wirklich beißen, sind im Grunde nur sehr sehr wenige. Es wird alles gut, Süßer. Glaub mir."
"Wie soll es gut werden? Ich will studieren und verreisen!"
"Ja guuut, das wird nichts.", sprach Adam im Hintergrund.
"Es wird vielleicht anders. Aber deswegen muss es nicht schlechter werden."
"Ich will nicht auf der Grundlage dieser Krankheit betrachtet werden! Sondern als ich! Dass meine Zähne größer sind, sieht man kaum! Ich will nicht beißen! Wieso darf ich so viele Dinge nicht?", schrie Dexter nun fast.

Plötzlich stand ein sehr großer Kerl da und packte Dexter im Nacken. Sofort strömte Ruhe in diesen. Ruhe und Geborgenheit. Auch wenn er den Typen nicht kannte.

"Bevor der hier abdreht, solltet ihr den vielleicht Mal ein bisschen runter kühlen.", brummte der Mann.
"Zuhören: das ist nicht das Ende der Welt. Wenn dir was nicht passt: ändere es. Vom Rumheulen wird nichts besser.", sprach der Mann, ließ los und verließ das Hortons mit einem gemurmelten: "Muss man halt Mal Tacheles reden..."

Verwirrt sahen Horton, Adam und Dexter ihm nach.

Werwolf wider Willen - wird fortgeführt auf StorybanWhere stories live. Discover now