Großartig...

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„Tatsächlich sind Sie von der jetzigen Hypothese gar nicht so weit entfernt, Blackbone", meint der Professor und klingt auf einmal sehr müde. „Im Moment prüfen wir die These, ob die Stille Seuche nicht ein Produkt unseres eigenen Körpers ist, der nicht mehr so funktioniert, wie er sollte und sich gegen uns und unsere Seele richtet."

Er hätte genauso eine Bombe im Hörsaal platzen lassen. Plötzlich reden alle laut durcheinander. Professor Rotte versucht, die Menge zu beruhigen, aber es ist aussichtslos.

Und ich? Ich bin auf meinem Stuhl zusammengesunken. Gegen jede Krankheit hatte man noch etwas unternehmen können. Es gab Medikamente, wenn man sie sich leisten konnte, provisorische Impfen, im besten Fall halfen einfache Haushaltsmittel.
Aber gegen den eigenen Körper half... nichts.
Nichts, wenn man sich nicht selbst zerstörte.

Und selbst, wenn ich regelmäßig die Energie von anderen Lebewesen aufsog... machte ich mit dieser Energie dann nicht auch die Krankheit in mir stärker?
Kurz habe ich das Gefühl, einen Stein auf der Brust liegen zu haben. Ich kann nicht mehr denken, nicht mehr atmen...

Tief ein. Und aus. Ich schaffe das. Ich werde hier nicht umkippen.
Später. Damit kann ich mich später beschäftigen.

„Warum regelt das das Immunsystem nicht?", ruft jemand laut in die Mitte und langsam kehrt wieder Ruhe ein.
„Wir glauben, dass das Immunsystem nicht in der Lage ist, die betroffenen Zellen zu erkennen."
„Als würden sie sich tarnen?", fragt eine Studentin.
Herr Rotte nickt.
„Heist das, die Stille Seuche hat ein eigenes Gedächtnis?", die Frage aus dem hinteren Teil des Saals kommt nur sehr leise vorne an.
„Nur in dem Sinn, wie deine anderen Körperzellen ein Gedächtnis haben. Es ist kein eigenes Wesen, das sich bei euch eingenistet hat."

„Nein, es zerstört anscheinend nur unserer Seele", meint ein Student trocken von links.
„Was genau ist diese Seele?", frage ich. Jemand hinter mir unterdrückt ein glucksendes Lachen. Anscheinend eine zu einfache Frage.

Professor Rotte blickt mich an. „Sie sind in Ihrem ersten Semester, Blackbone? Ich meine, ich habe Sie in einer meiner Grundvorlesungen gesehen."
„Genau." Ich werde bestimmt nicht aufhören, Fragen zu stellen, nur weil ich noch nicht so viel weis. Sonst lerne ich auch nicht mehr.
„Die Seele, um es allen neuen Studenten zu erklären, ist ein Konstrukt, mit dem man erst am Ende des ersten Diploms konfrontiert wird.
Es kommt aus den Tiefen der Elementarmagie und beschreibt den Ursprung aller Energie im Körper."

„Aber wird Energie nicht von jeder Zelle produziert?", hake ich nach.
„Das ist richtig", bestätigt Herr Rotte.
"Geübte Elementarmagier aber behaupten, dass es einen ehemaligen Ursprung gab. Mehr oder weniger wie ein Geist der ersten Zelle des Körpers, der alles ist und werden kann. Und erst wenn alle Energie den Körper verlassen hat, stirbt diese geisterhafte Zelle und mit ihr unser Bewusstsein.
Aber nagelt mich dort jetzt nicht auf genauere Aussagen fest, sondern fragt Professor Nowen, das ist ihr Spezialgebiet."

Noch immer tief in Gedanken versunken, starre ich auf den Tisch vor mir und versuche, all diese neuen Informationen zu verarbeiten.

"Gibt es sonst noch Fragen?"
Gibt es, aber vieles ist Wiederholung oder teilweise Fragen zu seinem Kurs. Nach und nach leert sich der Hörsaal. Ich kritzel noch ein bisschen auf meinem Notizzettel rum, während ich darüber nachdenke, was ich in meinen nächsten Brief an Harry schreiben werde.

Eines habe ich jetzt verstanden. Blutmagie wird keine langfristige Lösung gegen die Stille Seuche sein.

"Blackbone?", Herr Rotte blickt zu mir herüber, seine Stimme jetzt gesenkt, sodass sie nicht durch den gesamten Hörsaal schallt. "Kommen Sie zurecht?"
Verwirrt blicke ich auf. Klar komme ich zurecht, warum auch nicht?
"Das war recht viel zu verarbeiten in Ihrer Situation." Bevor ich auch nur den Mund aufmachen kann, um zu fragen, redet er auch schon weiter.

"Ich bin ein Professor und such wenn mein Spezialgebiet nicht Elementarkunde ist, erkenne ich es, wenn jemand unter der Stillen Seuche leidet."

Und noch jemand, der es weis.
Wunderbar.
Ich bin schlechter darin, es zu verschleiern, als ich dachte.

"Machen Sie sich keine Sorgen. Mir geht es gut", antworte ich kühl. Hoffentlich hört er auf zu Fragen.

Tut er nicht.

"Darf ich fragen, wann Sie die Diagnose bekommen haben?"
Am liebsten würde ich unfreundlich zurück schnappen, es gehe ihn einen Dreck an. Aber er ist immer noch Professor und könnte mir eines Tages vielleicht einmal helfen.
"Vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren", antworte ich also.

"Dann haben Sie nicht mehr allzu lange ", stellt er nüchtern fest. "Vielleicht noch ein halbes Jahr, auch wenn Sie noch erstaunlich fit aussehen."
"Das stimmt", erstaunt stelle ich fest, dass es so viel angenehmer ist, mit jemandem zu sprechen, der nichts verschleiert oder schönredet oder Angst davor hat, ich würde auf der Stelle tot umfallen.

"Verzeihen Sie die respektlosen Fragen", Professor Rotte packt seine Vorlesungssachen zurück in seine Aktentasche. "Als Professor ist man von Natur aus neugierig und zusätzlich hat meine Tochter vor zwei Wochen dieselbe Diagnose bekommen."

Das erklärt viel. Plötzlich verspüre ich Mitleid für ihn.
"Wie alt ist sie?", frage ich.
"Sechs", antwortet er.
Also noch deutlich jünger als Thea. Auf einmal scheint mir das Sprechen unmöglich, ein großer Klumpen liegt mir im Hals.

"Dann wünsche ich ihr alles Gute", danach fliehe ich aus dem Hörsaal.


Zu Hause angekommen, begleitet mich Oliver aus der Minerva bis auf mein Zimmer. Ich frage mich, ob es an meiner blässlichen Gesichtsfarbe liegt oder daran, dass mein Großvater gerne wissen möchte, was ich den Tag über mache.
Und es war relativ knapp. Ich war nur wenige Minuten vor Absprache an dem Ort, wo mich Oliver mich normalerweise aufsammelte.

"Haben Sie inzwischen die Lösung zu Ihrem Rätsel gefunden?", fragt mich Oliver, während er, die Arme hinter dem langen Anorak, neben mir geht.
"Leider nicht", ich greife nach der Türklinke und öffne die Tür. Mein Blick fällt auf den Rollstuhl, der seit einer Woche optional in meinem Zimmer steht. "Ich dachte für einen Moment, dass ich die Lösung hätte, aber es war nur ein Traum."

"Also keine Therapie mehr für Sie?", fragt er neugierig.
"Herr Kremper!", ich schüttel gespielt fassungslos meinen Kopf. "Wollen Sie mir letztendlich auch das letzte Quäntchen Freude am Leben nehmen?", scherze ich.
"Nichts läge mir ferner", spielt Oliver lächelnd mit. "Obwohl ich bezweifle, dass ich Ihrem Großvater dort Konkurrenz machen könnte."

"Also sind Sie wirklich hier, um mir hinterherzuspionieren!", beschuldige ich ihn. Das Schulterzucken und das entschuldigende Lächeln bestätigen meinen Verdacht. Er leugnet es nicht einmal.
Und ich bin sauer. Auf Tyson.
Blöd, dass Oliver sich gerade als Vermittler anbietet.

"Richten Sie meinem Großvater doch aus, dass er Malva Mandorys Interesse ebenfalls erwecken könnte, wenn er sich nicht nur, ignorant wie er ist, für seinen eigenen Bereich begeistern würde, sondern sich auch in anderen Fachrichtungen bildet. Das Geld dafür sollte er haben."

"Ich werde es ihm sagen", bestätigt Oliver. "Vielleicht ein wenig umformuliert, aber ich werde es ihm berichten. Lassen Sie sich nur nicht von mir bei Dingen sehen, die sie nicht machen. Ich werde immer noch von ihrem Großvater bezahlt."

Und noch jemand, der der Wahrheit zu nahe kommt. Langsam schließen sich nach und nach die Türen, die mir noch offen gestanden haben. Ich muss aufpassen, bevor ich wie ein besiegtes Tier ende, das man in die Ecke gedrängt hat.
Aber Oliver weis glücklicherweise nicht, was ich mache. Also spiele ich unwissend.

"Wie sollen sie mich bei etwas sehen, dass ich nicht mache?", frage ich Oliver und unterstreiche die Frage mit einem unschuldigen Augenklimpern.

"Auch wenn Sie das vielleicht nicht gerne hören, aber Sie haben mehr mit Tyson gemeinsam, als sie zugeben wollen."

Stimmt.
Aber ich bin schlimmer.

Ohne Widerrede schließe ich meine Zimmertür bestimmt vor Olivers Nase.

Fight or DieWhere stories live. Discover now