Deal

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„Das hat aber auch reichlich lange gedauert", bemerkt die blonde Frau, als ich den Laden betrete. „Ich hatte schon Angst, dass du auf der Stelle versteinert bist."
Ohne auf sie einzugehen, blicke ich mich im Laden um. Das Schaufenster bildete einen ganz guten Eindruck auf die Einrichtung drinnen. In den Regalen an den Wänden und auf dem Tisch in der Ladenmitte stapelt sich ungeordnet jegliches Gerümpel. Dort sitzt eine dämonische Statue, der jemand einen Blumenhaarreif übergelegt hat, daneben findet man eine alte Kaffeemühle, direkt daneben Gesteck, das teilweise schon angebrochen ist, und Schmuck. Eine Ordnung scheint es hier nicht zu geben.

Und überall sind Schlangen. Sie schlängeln sich Tassengriffe entlang, rahmen Spiegel ein, eine liegt sogar zusammengeringelt in einem samtigen Hundekorb. Entgeistert starre ich sie an, warte nur darauf, dass sie sich bewegt, aber das Ungetüm aus Holz regt sich nicht. Als wäre es aus ... Holz.

„Kann ich dir helfen?", die Frau ist näher an mich herangetreten und im Schein des verstaubten Kronleuchters, von dem allerlei Zeug baumelt, kann ich sie zum ersten Mal richtig sehen. Sie scheint nur etwas älter zu sein als ich. Ihre blonden Korkenzieherlocken heben sich in starken Kontrast von ihrer dunklen Haut ab. Ihre verwirrend grünen Augen blitzen mich amüsiert an. Generell scheint nichts an ihrer Erscheinung zu passen. Ihre Beine sind etwas zu lang für ihren Oberkörper, die Nase zu flach, die Augen zu schmal. Und zusammen lässt sie all das nur noch mysteriöser erscheinen. „Kannst du auch sprechen?"

„Nein", antworte ich ihr. Sie grinst über meine Antwort.
„Du hast mich im Laden also belauscht", Angriff ist immer besser als Verteidigung. „Und mich hierher gelockt." Wie auch immer sie das mitbekommen hat. Anscheinend war ich im Laden mit der Verkäuferin nicht so allein gewesen, wie ich gedacht hatte.
„Ich dachte, vielleicht findest du hier, was du suchst", sie stürzt die rot geschminkten Lippen. Ihre Aussage lässt meinen Blick wieder zu den Verkaufsgegenständen wandern.
„Was ist das hier für ein Laden?", frage ich.
„Darf ich vorstellen?", mit einem breiten Grinsen im Gesicht wirbelt sie herum. „Willkommen im Antiquitätengeschäft von Linus, meinem Arbeitgeber. Wir haben alles, was dein Herz verlangt."

„Das bezweifle ich stark", murmel ich. Gesundheit oder Glück kann man selten kaufen. Inzwischen bin ich zutiefst verwirrt. Ich verstehe nicht, warum sie ihren Arbeitsplatz verlassen hat, um mich hierhin zu locken. Egal wie ich es drehe und wende, es macht keinen Sinn, dass sie mir etwas verkaufen möchte.
„Ihr habt also Muscheln."
„Welche möchtest du?", fragt sie, während sie schon durch den Laden huscht. Erst kramt sie in einem der Körbe, die wahllos verteilt auf dem Boden stehen, dann in dem anderen. „Wir haben gewöhnliche Nuculida", sie hält eine weiße, relativ runde, reich strukturierte Muschel hoch. „Mytilida", eine Miesmuschel, „Pectinida", eine orangefarbene Muschel, mit der Form einer Jakobsmuschel.
„Was ist mit der da?", frage ich und deute auf ein besonders großes, pink angehauchts Exemplar, das in einem der Schränke steht. Die Frau grinst mich mitleidig an.
„Das, meine Liebe, ist keine Muschel. Das ist das Schneckenhaus einer Algier gigas, einer Fechterschnecke. Du siehst hier ein außergewöhnlich gut erhaltenes, großes Exemplar."

„Wie viel?", frage ich. Dass sie mich für unterbelichtet hält, ist jetzt zweitrangig. Sie platziert die Muschel zwischen uns auf dem Tisch.
„Fünf Silberlinge."
„Das ist viel zu viel", protestiere ich. Andererseits hatte ich mich auf so etwas gefasst gemacht. „Drei."
„Linus hängt wirklich sehr an dem Schneckenhaus. Ich werde nicht bezahlt, wenn ich das für nur drei Silberlinge abgebe. Vier und neun Kleine."
Da hätte sie auch gar nicht im Preis runtergehen müssen. Auf einen Kupferling kam es nun auch nicht an.
„Drei", halte ich wieder dagegen.
Die Frau blickt mich vernichtend an. „So funktioniert Handeln nicht."

„Wer hat je behauptet, dass ich Handeln wollen würde?", halte ich dagegen.
„Was willst du dann?", fragt sie und lehnt sich vor.
„Zu viel", bemerke ich. „Für den Anfang das Schneckenhaus und einige der Miesmuscheln. Und du wirst sie mir verkaufen."
„Und was macht sich da so sicher?", fragt sie und zieht die Muschel langsam zu sich. Ich lege meine eigene Hand auf ihre und stoppe die Bewegung. Ich beuge mich in ihre Richtung und senke meine Stimme.
„Niemand würde für fünf Silberlinge seinen Arbeitsplatz verlassen um einer unauffälligen Person zu folgen und sich anschließend die Mühe machen, sie in die Tiefen von Modr Berg locken. Niemand", ich ziehe mich langsam wieder zurück, sodass ich nicht mehr nur in ihre Augen blicke, sondern ihre ganze Reaktion abschätzen kann. „Es sei denn, man will etwas. Was also willst du?"

Ihre Nasenflügel beben, ein deutliches Zeichen unterdrückter Wut.
„Ich brauche ein Buch", meint sie schließlich. „Und du kannst es unauffällig stehlen." Jetzt fällt bei mir der Groschen.
„Ich weis nicht, wovon du sprichst", ich bemühe mich um ein möglichst überzeugendes Pokerface.
„Ach bitte", spottet sie. „Es gibt nicht so viele junge Frauen, die ihre Krücke einen Häuserblock vor der Bibliothek im tiefsten Gebüsch verstecken und
Zugang zur privaten Abteilung haben."

Was zur Hölle? Ich versuche mir meinen Schock nicht anmerken zu lassen. Nicht nur, dass sie mich anscheinend schon länger ausspioniert, sie ist darin auch noch so gut, dass ich nicht einmal auf die Idee gekommen bin, mir könnte jemand folgen. Oder ich bin einfach schlecht darin, es zu merken. Vielleicht auch beides.
Zumindest leugnen bringt nichts mehr.
„Ich werde bestimmt kein Buch aus der privaten Bibliothek klauen", stelle ich klar. Wenn ich auffliegen würde, würde jegliche Hoffnung auf mein weiteres Überleben in Scherben liegen. Und ich wahrscheinlich im Gefängnis.
Auf keinen Fall!
„Tja, Pech für dich. Und jetzt hätte ich gerne die fünf Silberlinge", blafft sie und streckt fordernd ihre Hand aus.

Ich ignoriere sie gekonnt.
„Du brauchst mich", rate ich und hoffe, dass es ihr wichtig genug ist. Warum sonst sollte sie zu jemandem gehen, der offensichtlich eigene Geheimnisse hatte, wenn sie die nicht brauchte, um darauf zu vertrauen, dass ihre nicht an die Oberfläche kamen? „Du brauchst das Buch."
„Und du brauchst die Muscheln und das Schneckenhaus", hält sie diesmal dagegen.
Kurz herrscht Grabesstille. Keiner von uns guckt den anderen an. Wir beide brüten über unserem Stolz und unserer Wut. Schließlich seufze ich.

„Ich bringe dir das Buch", gebe ich nach. „Aber unter meinen Bedingungen und nur auf kurze Zeit." Sie sieht mich misstrauisch aus den katzengrünen Augen an. „Und ich gehe nicht über drei fünf."
„Vier", sie hält mir ihre Hand hin. „Und solltest du mich zum Narren halten, bringe ich dich um." Sie meint es ernst. Todesernst.
„Einverstanden", ich schlage ein. „Morgen Mittag bringe ich dir das Buch."
Noch einmal drückt sie fest meine Hand und schaut mir direkt in die Augen, wie im mir zu zeigen, dass sie ihr Versprechen halten wird. „Dann bis morgen, Violet."

Auch beim Abendessen bin ich nicht richtig bei der Sache. Mama ist mal wieder nicht da. Im Moment ist sie auffallend häufig beim abendlichen Dinner abwesend. Doch noch viel verstörender ist der Fakt, dass es Großvater anscheinend nicht im Geringsten stört. Stattdessen unterhält er sich mit Thea, fragt sie wie die Schule war und betrachtet mich währenddessen mit herausfordernden Blicken.
Aber ich halte meine Augen auf mein Essen vor mir gerichtet und schaufel Mengen an Pasta mit Gemüse in mich hinein.

„War dein Ausflug in die Stadt erfolgreich, Flora?", fragt er auf einmal geradeaus. Überrascht hebe ich den Blick. „Du bist seit Neustem auffällig oft außerhalb des Hauses." Dass Tyson meine Streifzüge so genau unter Beobachtung hält, hatte ich nicht erwartet. Das macht es mir nicht gerade leichter.
„Ich habe zufällig Freunde gefunden", antworte ich ausweichend. Es ist keine wirkliche Lüge, aber auch weit entfernt von der Wahrheit.

Zu meiner Überraschung sieht Tyson nicht einmal so unzufrieden aus. „In Modr Berg." Höre ich da Anerkennung? „Viele meiner Fabrikarbeiter kommen aus dem Stadtteil." Was ich jetzt aus dieser Aussage lesen soll, ist mir schleierhaft. Ist er stolz darauf, dass er eine Firma auf dem Rücken der Arbeiterklasse aufgebaut hat? Glaubt er, es ist sein Verdienst, dass ich ausgerechnet dort Freunde gefunden habe.
Berichtigung. Dass ich dort mit jemandem gehandelt habe, deren Namen ich nicht einmal kenne?
Also nicke ich nur in mein Essen.

„Willst du uns deine Freunde nicht mal vorstellen?" Die Frage kommt so unerwartet, dass ich mich prompt an meinem Essen verschlucke. Aber das kann ich auch.
„Willst du uns nicht mal unseren zukünftigen Stiefvater vorstellen?"

Tysons Gabel fällt klappernd auf den Teller, als er mich niederstarrt. Theas Kinnlade ist runtergeklappt und sie starrt ihn ungläubig an. „Mama hat einen Freund?", fragt sie und schon tut es mir leid, dass ich die Bombe beim Abendessen habe platzen lassen. Und Opas Blick nach sollte es mir auch leidtun. Er greift nach Theas Hand und beginnt, es ihr sanft zu erklären und lullt sie mit seinen Versprechungen ein.
Niemanden interessiert es, dass ich den Raum verlasse.

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