Von Dämonen und Pfefferminz

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Irgendwann dringen leise Stimmen an mein Ohr. Schatten bewegen sich schemenhaft hinter meinen Augenlidern. Aber ich bin so müde, ich kann nicht mehr, ich möchte schlafen.
„Das lief ja wortwörtlich bombastisch", bemerkt jemand sarkastisch. Ein Mann. Irgendwoher kommt mir die Stimme bekannt vor, aber ich kann es nicht zuordnen.
„Ich hab ihr gesagt, sie soll nicht kommen", antwortet eine Frau. Ihre Stimme ist mir nur zu vertraut.
„Da musst du wirklich überzeugend gewesen sein", meint der andere. Dann Stille. „Hast du ihn wenigsten erwischt?"
Die Antwort ist ein Knurren.
Wen erwischt? Was ist passiert? Die Explosion...
Langsam erinnere ich mich wieder und mit der Erinnerung kommen die Kopfschmerzen. Als würde mein Schädel jeden Moment platzen und mein Gehirn an die Wand malen. Ich unterdrücke ein Stöhnen.

"Dann war also alles umsonst?"
"Umsonst?", faucht die Frau zurück. Linnéa. "Nichts ist umsonst, wenn es uns hilft dieses Arsch zu vernichten."
"Nicht?", die andere Stimme ist plötzlich ganz nah. "Bist du dir da immer noch so sicher?"
Keine Antwort.
"Geh die Schlangen melken. Besonders den Pradiesapfel, von dem hab ich nichts mehr", meint Linnéa schließlich. "Und mach eine Bestandsaufnahme der Käfer."
Warum schwimmt alles? Ich kann keinen klaren Gedanken fassen.

Jemand schnaubt und Schritte entfernen sich aus dem Zimmer. Dann sinkt plötzlich die Matratze ein, als sich jemand neben mich setzt. Erst als ich spüre, wie mir jemand ins Gesicht atmet, schlage ich die Augen auf.
Ein Gesicht mit lila gesprenkelter Iris und schlangenhaften Pupillen schwebt nur Zentimeter über mir. Es ist das Gesicht des jungen Mannes, der auch in dem Raum war. Sein Gesicht ruft die Erinnerungen an das Ritual wach. Die brennenden Haare um die Kristalle. Die Schreie. Der Geruch nach verbrannter Haut. Er ist es. Dieselben schwarze Haare, die etwas zu lang und verwahrlost sind. Dasselbe Gesicht, das nur aus Ecken und Kanten zu bestehen scheint. Hübsch ist er nicht, denke ich. Dann schreie ich.

"Ach, Mist", flucht der Dämon mit einer erstaunlich weiblichen Stimme. Linnéas Stimme.
Es ist auch ihre Energiespur, die ich spüre. Und nur ihre. Entgegen aller protestierenden Muskeln und Knochen krabbel ich an das andere Ende des Bettes. Was ist hier los zur Hölle? Warum ist die Haut unterhalb des schwarzen Choker wieder in dem gewohnten Braunton?
"Alles gut", der Dämon hält seine Arme beschwichtigend in die Höhe. "Ich bin's. Linnéa."
Kein Wort. Ich glaube kein Wort, das aus diesem Mund kommt.
Den Fehler mach ich nicht noch einmal.

"Wer bist du?"
Der Dämon seufzt und zieht sich etwas zurück. "Du brauchst keine Angst zu haben. Hätte ich dir was antun wollen, hätte ich es längst tun können."
"Wer bist du?", wiederhole ich, diesmal mit ein bisschen mehr Nachdruck.
Noch ein Seufzer. "Aber nicht schreien. Was sollen denn die Nachbarn denken?"
Das geht mir am Arsch vorbei. Aber die Worte bleiben mir im Hals stecken, als ich sie wieder angucke.

Langsam dreht sich der Kopf des Dämons, bis ich mir sicher bin, dass es nicht mehr natürlich ist. Es knackt ohrenbetäubend laut, als Knochen brechen.
Ich schreie. Es ist mir egal, wer es hört. Das ist zu viel für heute. Ich zittere am ganzen Körper.
Und noch immer dreht sich ihr Kopf, über die hundertachtzig Grad hinaus. Dann ruckt ihr Kopf hin und her, ihre Gesichtszüge verschwimmen, alles dreht sich weiter und als ihre Augen mich wieder von vorne anblicken, sitzt ein ganz anderer Mensch vor mir.

Braune Augen, in denen helle Sprenkel wie Funken sprühen, mustern mich vorsichtig. Das dunkle, ebenmäßige Gesicht wird umrahmt von unzähligen langen, dünnen Zöpfen, in die jemand goldene Perlen eingeflochten hat. Auch wenn ihr Gesicht der Frau ähnelt, die ich bei unserem ersten Treffen gesehen habe, ist jetzt nichts mehr falsch proportioniert. Alles passt.
Um ehrlich zu sein, sieht sie atemberaubend aus.

Mit einer ihrer schlanken Hände greift sie nach dem schwarzen Choker. "Das ist ein magisches Artefakt aus den Haaren eines Gestaltwandlers geflochten. Damit kann man sein Äußeres oberhalb des Chokers verändern." Ich starre sie nur an.
"Sprachlos habe ich dich auch noch nie erlebt", meint sie mit einem Lächeln um die Lippen. Und etwas in mir bricht. Ich sollte wütend sein. Ich bin wütend. Sogar sehr. Aber gerade fällt die gesamte Anspannung von meinem Körper ab und ich falle auf die Kissen. Ich kann nicht mehr. Es geht nicht mehr. Es tut so weh. Entschlossen, nicht zu schreien, presse ich die Zähne fest aufeinander. Krämpfe überrollen mich, während ich hilflos im Bett liege.
"Der Kessel, Shua!", ruft Linnéa. "Beeil dich!"

Eine gefühlte Ewigkeit später betritt ein junger Mann das Zimmer, den größten Kessel in den Händen, den ich je gesehen habe. Obendrauf liegt ein Handtuch. Einen Augenblick später hat Linnéa es heruntergezogen. Mit einem Schlag füllt sich der Raum mit dem starken Geruch nach Pfefferminz.
Meine Augen wandern müde zu dem Kessel. Was das jetzt soll?
"Konzentriere dich", Linnéa hat ihre Hand auf meinen Arm gelegt und sich neben mich gesetzt. Dann beugt sie sich runter, damit ich sie von meinem Blickwinkel aus sehen kann. "Der Kessel ist voll von Pfefferminz und heißem Wasser. Das löst einen Teil der Energie der Blätter und entlässt sie frei in die Luft. Du musst sie dir nur noch nehmen." Wenn das so einfach wäre. Wenn ich könnte, würde ich lachen. Als ob jemand anderes es verstehen würde, wie es ist, wenn der eigene Körper einem nicht mehr gehorcht. Als ob ich nicht zu jedem Zeitpunkt alles geben würde. Als ob es so einfach wäre...

"Konzentriere dich!", der Griff um meinen Arm wird fester.
Ich atme tief ein und stelle mir vor, wie ich die Energie mit meinem Atem einsaugen würde. Aber gerade bin ich zu schwach, um selbst die Energie in diesem Raum zu spüren. Nichts. Absolut nichts passiert.
"Nochmal", fordert Linnéa. Und ich bezweifel zum ersten Mal, ob sie überhaupt die Expertise hat, ein Ritual durchzuführen. Ob es überhaupt funktionieren kann. "Violet!", zischt sie.
Fokus.
Wieder funktioniert es nicht.

"Streng dich an!"
"Glaubst du, das tue ich nicht?", fauche ich zurück.
"Anscheinend nicht genug", erwidert sie. Ich könnte sie erwürgen. Ich will sie erwürgen.
Zumindest hat die Wut etwas Gutes. Plötzlich sehe ich die Energie im Raum hängen. Nichts hält sie fest, keine Pflanze, kein Tier. Ungebunden schwebt sie über mir.
Und ich ziehe.

Die ersten Sekunden spüre ich nichts. Dann fangen meine Arme an zu brennen. Es beginnt in den Fingerspitzen, breitet sich über die Arme aus, über meinen Körper bis zu meinem Herzen. Kurzzeitig kann ich nichts mehr sehen, alles verschwimmt. Und so schnell das Brennen gekommen ist, hört es wieder auf.
Ich liege nicht mehr im Bett. Stattdessen bin ich aufgefahren, meine Hand umklammert krampfhaft mein Oberteil an meinem Herzen. Mein Atem geht schnell.
Aber ich fühle mich besser. Mir tut nicht mehr alles weh. Ich habe nicht mehr das Gefühl, zu sterben.
Zum ersten Mal seit ich aufgewacht bin, bin ich in der Lage, wieder klar zu denken.

Ich blicke mich um. Ich sitze in einem fremden Bett in einem fremden Zimmer. Ganz klar das Zuhause von jemand anderem. Ein gemütliches Sofa schmückt die andere Seite, gleich neben einem riesigen Kleiderschrank, auf deren Türen sich unzählige Kleidungsstücke angesammelt haben. Vor der offenen Tür hängen lange, bunte Perlschnüre, die Fliegen fern halten sollen. Der Boden wird von einem cremefarbenen, flauschigen Teppich verdeckt. Verschiedene Gemälde zieren die Wände, viele porträtieren Frauen oder mystische Landschaften und sind alle im selben grün angehauchten Farbschema gehalten. Holzfiguren zieren die Regale, die überquellen von persönlichen Gegenständen.

Am Türrahmen lehnt ein schlacksiger Mann, der mir noch sehr jung erscheint. Und den ich schon einmal gesehen habe. Allerdings ohne die hölzerne Schlange, die sich um seinen Unterarm windet. "Joshua."
"Hey, Violet", er grinst mich verschmitzt an. "Du siehst fast so bezaubernd aus wie bei unser letzten Begegnung."
"Das war auch, bevor ich wusste, dass deine Arbeitgeberin eine Terroristin ist."
"Ja, sie hat ihre liebenswürdigen Seiten."
"Seid ihr jetzt fertig?" Klingt Linnéa tatsächlich etwas genervt?

"Wie lange war ich hier?" Draußen scheint die Sonne und beleuchtet das Zimmer.
"Vor circa zehn Stunden hat Lin dich über die Türschwelle gezerrt. Ich hatte fast schon gedacht, du wärst tot." Wirklich sehr beruhigend. "Wir haben die letzten Stunden daran gearbeitet, dich wieder in Form zu kriegen."
"Und was habt ihr nicht geschafft?", frage ich. Dem Gefühl nach, dass mir gleich der Arm abfällt und mein Rücken quasi vor Schmerz schreit, würde ich auf etwas dort tippen.
"Auf der Stirn hattest du eine Platzwunde, aber die haben wir genäht. Und du bist relativ böse auf deinen Arm gefallen, aber der ist wahrscheinlich nur geprellt. Am schlimmsten war dein Rücken. Lin hat eine Salbe draufgeschmiert, die unglaublich stinkt, aber mehr konnten wir gegen die Brandblasen nicht tun. Denen musst du ein bisschen mehr Zeit geben."

Na toll.
Und was soll ich jetzt meiner Familie sagen? Wie soll ich ihnen erklären, warum ich mitten in der Macht abgehauen bin? Mit einem Fahrrad?
Und jetzt liege ich hier ans Bett gefesselt. Mal wieder. Unfähig Linnéa den Hals umzudrehen.
Stattdessen funkel ich sie nur an.
"Shua", Linnéa hat anscheinend auch bemerkt, dass zwischen uns ein Sturm unausgesprochener Worte rüttelt. "Bleibst du im Wurm, falls ein Kunde kommt? Du weist doch, dass Linus es nicht mag, wenn wir den Laden unbemannt lassen. Und es ist fast Mittag."
Kurz flackert Joshuas Blick von Linnéa zu mir und wieder zurück mit so etwas wie Sorge im Blick. Dann seufzt er und verlässt ohne ein Wort zu sagen, den Raum.

Fight or DieWhere stories live. Discover now