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Kurz vor dem Waldrand hob Baran die Hand und stoppte so die kleine Gruppe.
Mit einem fragenden Blick wandte er sich an Levin.
„Was habt Ihr geplant? Wie wollt Ihr vorgehen?"
Verlegen kratzte sich der Fürst am Kinn.
„Ich dachte, wir folgen einfach der Wegbeschreibung, die ich von König Simon erhalten habe bis zum Dorf."
Baran schmunzelte, schüttelte aber dann den Kopf.
„Ganz so leicht wird das nicht gehen, werter Levin. Wenn ich Euch einen Rat geben darf?"
Bereitwillig nickte der junge Mann. „Sehr gerne, Hauptmann. Ich bin gerne bereit, von Eurer Erfahrung zu lernen."
Baran winkte den Fürsten an seine Seite und deutete auf den dichten Wald.
„Der Wald ist das Gebiet der Wandler. Überall dort, in den Tiefen des Hains, ist mit Kriegern der Werwölfe zu rechnen, die durch ihr Territorium patrouillieren.
Wenn wir blindlings in den Wald rennen, laufen wir Gefahr, ihnen zu begegnen."
Levin nickte. „Was schlagt Ihr also vor?"
„Ihr seid der Einzige, der den Weg kennt. Daher werdet Ihr langsam vorausgehen. Wir anderen sichern unser Umfeld ab und achten auf mögliche Gefahren. Sobald wir uns dem Dorf nähern, gebt Ihr mir Bescheid. Dann werden wir uns aufteilen und das Lager auskundschaften. Seid Ihr damit einverstanden?"
Erneut nickte der junge Mann, wirkte aber leicht beschämt.
„Das hatte ich gar nicht bedacht. Also, dass wir auf Wölfe treffen könnten."
Grinsend klopfte Baran ihm auf die Schulter.
„Deshalb hat mich König Simon Euch auch an die Seite gestellt. Aber macht Euch nichts draus. Ihr seid jung und dadurch unerfahren. Ihr werdet noch lernen, auf solche Dinge zu achten. Unser König hätte Euch nicht mit dieser Aufgabe betraut, wenn er Euch nicht für fähig halten würde."

Langsam schlugen sich die sieben Männer durch den Wald. Ohne Unterlass suchten die Krieger die Umgebung ab.
Je länger sie unterwegs waren, desto mehr legte sich Barans Stirn in Falten und desto aufmerksamer wurde er.
Schließlich hob er die Hand und versammelte die anderen um sich.
„Irgendetwas stimmt hier nicht", erklärte er flüsternd.
Während die Krieger zustimmend nickten, wirkte Levin eher ratlos.
„Was soll nicht stimmen? Es ist doch alles ruhig?"
Sofort traf ihn ein strafender Blick Barans. „Nicht so laut, Fürst."
Levin neigte entschuldigend den Kopf. „Was soll nicht stimmen?", wiederholte er seine Frage, dieses Mal jedoch leiser.
„Laut Eurer Wegbeschreibung: Wie weit ist es noch bis zum Werwolfdorf?"
Levin runzelte die Stirn. „Vielleicht so achthundert Meter?"
Baran nickte, wirkte nun noch sorgenvoller.
„Eben. Und sollten wir da nicht längst auf eine Patrouille gestoßen sein? Oder sie wenigstens wahrgenommen haben?"
Die Augen des Fürsten weiteten sich.
Baran lächelte verhalten. „Ich sehe, Ihr habt die Lage verstanden. Äußerste Vorsicht also. Ab jetzt werde ich vorweg gehen. In welche Richtung müssen wir?"
„Immer weiter geradeaus", wies Levin den Weg.

Hochkonzentriert schlichen die Vampire weiter, bis sie schließlich den Waldrand erreichten.
Mit einem Handzeichen schickte Baran zwei Krieger auf die Lichtung.
Geduckt und jede Deckung ausnutzend, liefen die Männer über diese. Kurz darauf überquerten sie sie erneut, dieses Mal jedoch in die andere Richtung.
Stück für Stück suchten sie die Dorffläche ab.
Dann richteten sie sich jedoch auf und gaben ihrem Kommandanten ein Zeichen.
Mit wenigen Schritten stand Baran neben ihnen.
„Was ist los Kiran und Lorin?
Lorin hob ratlos die Schultern. „Das Dorf scheint verlassen. Hier ist niemand mehr."
Baran runzelte die Stirn. „Seid Ihr euch sicher?"
Kiran nickte bestätigend. „Wir haben alles abgesucht. Man hört nicht mal einen einzigen Herzschlag. Und auch sonst sieht es so aus, als ob hier niemand leben würde."

Der Hauptmann stieß ein unzufriedenes Brummen aus und winkte dann den Rest der Truppe zu sich.
„Allem Anschein nach ist hier niemand. Zur Sicherheit werden wir jedoch jeden Winkel hier absuchen. Ihr werdet an meiner Seite bleiben, Fürst Levin. Wer etwas entdeckt, gibt das übliche Zeichen."
Geduckt liefen die Männer in verschiedene Richtungen los.
„Kommt mit, Levin. Wir untersuchen das Hauptgebäude."
Nervös nickte der Mann und folgte Baran dicht an den Boden gedrängt.
Erst im Gebäude richteten die beiden Vampire sich wieder auf.
Vorsichtig öffnete Baran die Eingangstür und trat in den Gang dahinter. Routiniert wanderte sein Blick durch den verlassenen, leer geräumten Flur und suchte nach verborgenen Gefahren. Erst dann ließ er auch Levin eintreten.
Langsam traten sie auf eine der Türen zu und öffnete diese. Gähnende Leere empfing die beiden. Bis auf ein hohes Regal fand sich nichts mehr in dem Zimmer.
Das gleiche wiederholte sich bei den nächsten Räumen.
Und auch in den anderen Stockwerken sah es nicht anders aus.
Baran knurrte verärgert. „Die Werwölfe haben allem Anschein nach ihr Dorf aufgegeben. Solange wir nicht wissen, wo sie sind, werden wir nichts unternehmen können. Das wird König Simon nicht gefallen. Wir sollten ihn schnellstmöglich informieren. Zurück zum Eingang."
Der Hauptmann nahm die Hände an den Mund und stieß den lauten Ruf einer Eule aus.
Zeitgleich mit den anderen Kriegern kamen Baran und Levin am Eingang an.
„Das Dorf ist verlassen. Alles sieht nach einem geplanten Aufbruch aus. Hier werden wir nichts mehr erreichen. Rückzug", erklärte er knapp.

Nur Minuten später standen die Männer wieder vor der Burg.
Nervös trat Levin von einem Fuß auf den anderen.
„Was habt Ihr?" Fragend sah Baran zu dem jungen Fürsten. Dieser schluckte schwer.
„Als Leiter der Mission muss ich König Simon über den Misserfolg des Auftrags unterrichten. Allerdings fürchte ich seine Reaktion."
„Ich werde Euch begleiten", erklärte Baran schlicht.
„Immerhin war ich es, der den Rückzug angeordnet hat. Und vergesst nicht: Das verlassene Dorf ist nicht Eure Schuld. Jetzt muss nur entschieden werden, wie wir weitermachen."
Levin senkte den Blick und schüttelte leicht den Kopf.
„Ihr kennt nicht die ganze Wahrheit, Hauptmann. Ich habe die Mission nicht ganz freiwillig geleistet."
Baran runzelte die Stirn. „Erklärt Euch."
„Ich habe einen Fehler gemacht. König Simon hat mir diesen zwar verziehen, aber ..." Er zuckte die Schultern.
„Durch die Mission gab er mir die Möglichkeit, meine Treue ihm gegenüber unter Beweis zu stellen."
Baran schmunzelte.
„Wie Ihr gesagt habt: König Simon hat Euch bereits zuvor vergeben. Er scheint große Stücke auf Euch zu halten, wenn er Euch trotz Eures Fehltritts mit einer derart wichtigen Mission betraut."
Levin hob überrascht den Kopf. „So habe ich das noch gar nicht betrachtet."
„Seht Ihr? Ich bezweifle daher, dass der König negativ reagieren wird. Nicht begeistert? Ja, natürlich. Aber sein Ärger wird sich nicht gegen uns richten."
Während Baran bereits mit Levin auf den Eingang zuging, nickte er den Kriegern zu. „Ihr werdet hier warten, falls der König einen weiteren Auftrag für uns hat."

Unruhig ging Simon in seinem Büro auf und ab.
Längst hatte er mitbekommen, dass die kleine Einsatzgruppe zurückgekehrt war. Und das OHNE das Werwolfmädchen. Was war also schief gegangen?
Als sich die Schritte von Hauptmann Baran und Fürst Levin auf dem Gang näherten, atmete er tief durch, straffte sich und nahm hinter dem Schreibtisch statt.
„Ihr könnt eintreten", forderte er die beiden auf, noch bevor Levin anklopfen konnte.
Auf der anderen Seite der Tür schluckte Levin schwer.
Baran nickte ihm zu. „Denkt an das, was ich Euch gesagt habe, Fürst."
Gemeinsam betraten sie das Büro.
Während Baran vor seinem König salutierte, sank Levin auf das Knie und verneigte sich respektvoll.
„Ihr seid schon zurück? Was ist passiert, dass ihr den Einsatz abgebrochen habt?"
Mit einem leichten Wink forderte Simon Levin auf, sich zu erheben, und lud beide Männer ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

„Warum so eingeschüchtert, Fürst Levin?"
Der junge Vampir knetete nervös die Hände.
„Der Auftrag lag in meiner Verantwortung, Hoheit, und ich habe versagt und Euch enttäuscht."
Simon schnalzte missbilligend mit der Zunge.
„Ihr solltet es wirklich MIR überlassen, darüber zu urteilen, ob Ihr mich enttäuscht habt oder nicht."
„Aber Ihr habt mich mit einem Auftrag ausgesandt und ich habe ihn nicht erfüllt", widersprach Levin. „Dabei sollte ich Euch mit diesem Einsatz meine Treue beweisen."
Simon lächelte milde. „Ihr solltet wirklich mehr auf Hauptmann Barans Rat hören. Ich hätte Euch nicht losgeschickt, wenn ich Euch nicht vertrauen würde und mir Eurer Treue nicht sicher wäre. Nichtsdestotrotz wäre es gelogen, wenn ich sage würde, ich wäre begeistert. Allerdings werdet Ihr einen guten Grund haben, ohne das Mädchen zurückgekommen zu sein. Berichtet mir also, was geschehen ist."

Geduldig hörte Simon dem Bericht des Fürsten zu. Immer wieder ergänzte Baran einzelne Details.
Schließlich lehnte Simon sich nachdenklich zurück.
„Irgendwie müssen diese verdammten Werwölfe erfahren haben, dass wir ihr Versteck entdeckt haben. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass sie sich allzu weit entfernt haben, aber wir haben nicht die Zeit, ihren neuen Aufenthaltsort zu suchen. Andererseits ..."
Simon begann, fast schon sardonisch zu lächeln.
Sowohl Baran als auch Levin sahen ihn fragend an.
„Wir müssen nicht wissen, wo das neue Dorf liegt. Es kommt uns sogar gelegen, wenn diese räudigen Hunde nicht in der Nähe sind. Immerhin gibt es nur einen Werwolf, der uns interessiert. Und das ist das Mädchen."
Zufrieden lehnte sich Simon zurück.
„Hauptmann Baran! Kehrt mit Fürst Levin und Euren Männern zum Dorf zurück und wartet ab, ob das Mädchen nicht vielleicht zufällig dort irgendwo auftaucht. Ich bin mir sicher, das wird sie tun."
Baran salutierte. „Zu Befehl, mein König."
Er berührte Levin leicht am Arm, der Simon verblüfft ansah.
„Kommt mit, Levin. Wir haben einen neuen Auftrag."
Auch Levin beeilte sich nun, sich zu verneigen, und folgte dem Hauptmann nach draußen.
Simon wartete ab, bis die Tür sich hinter den beiden geschlossen hatte. Dann trat er an das große Fenster.
Mit einem verschlagenen Grinsen öffnete er es und wandte sich mit geschlossenen Augen in Richtung Wald.


Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt