13.

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Ganz vertieft in das Buch in ihren Händen saß Nuri vor dem Kamin.
Schmunzelnd beobachtete Leon das Kind, doch erst, als das Mädchen zu frösteln begann, sprach er sie lächelnd an.
„Willst du vielleicht etwas Holz nachlegen, Nuri? Oder möchtest du lieber frieren?"
Wie so oft errötete die junge Dienerin. Rasch legte sie das Buch zur Seite.
„Entschuldigt, Hoheit. Das Buch ist nur so spannend..."
Leon winkte ab. „ICH friere nicht, wie du weißt. Für mich ist der brennende Kamin einfach nur ... schön."
Nuri nickte eifrig, trat auf den Kamin zu und legte einige Scheite in die stark herunter gebrannte Flamme.
Sofort begann das trockene Holz zu knistern und der harzig-würzige Geruch von brennendem Holz verbreitete sich im Raum. Nuri sog tief die Luft ein. Sie liebte diesen Geruch. Verträumt schaute sie in die Flammen und wärmte ihre klamm gewordenen Finger.


Auf einmal erstarrte sie, als sie das verräterische Knarzen einer sich öffnenden Tür hörte. Nuri wurde blass. Dort, hinter ihr, lag noch das Buch auf dem Teppich. DAS Buch, von dem keiner wissen durfte, dass sie es gelesen hatte.
Doch noch bevor sie sich ruckartig umdrehen konnte, spürte sie einen scharfen Luftzug hinter sich, der sogar die Flammen im Kamin tanzen ließ.
Als sie sich schließlich umgedreht hatte, war das Buch verschwunden.
Leon saß unverändert auf seinem Sessel und sah Nuri an. Lediglich das verräterische Zucken um seine Mundwinkel verriet, dass er wohl doch nicht die ganze Zeit dort gewesen war.
Nur kurz zwinkerte er dem Mädchen zu, bevor er sich gänzlich der inzwischen geöffneten Tür zuwandte.


Nuri beeilte sich aufzustehen und strich ihre Schürze glatt, bevor sie einen gehorsamen Knicks in Richtung der Tür machte.
Dort, im Türrahmen, stand ein junges, streng wirkendes Vampirmädchen. Und obwohl sie nur wenige Jahre älter als Nuri war, blickte sie herablassend auf die junge Dienerin hinab.
Gekleidet war sie in ein schlichtes, schwarzes Kleid mit weißem Kragen. Die langen, schwarzen Haare waren in einem strengen Zopf nach hinten geflochten.
Geschmeidig betrat sie die Bibliothek und umrundete Nuri langsam, die unter dem Blick der Älteren sichtlich zu schrumpfen schien und zu zittern begann.
Schließlich blieb das Mädchen vor Leon stehen und ließ den Blick zwischen ihm und Nuri hin und her wandern.
„Sollte die Dienerin nicht arbeiten, mein lieber Bruder?"
Leons Augen blitzten kurz rot auf, dann hatte er sich jedoch wieder unter Kontrolle.
„Nuri ist heute MIR zugeteilt, Schwesterchen. Welche Aufgaben ich ihr zuteile, liegt also in meinem Ermessen."
Die junge Vampirin entblößte ihre spitzen Zähne und grinste Leon an.
„So wie ich das sehe, arbeitet sie aber gerade gar nicht."
Leon brummte leicht genervt.
„Ich glaube nicht, dass Vater begeistert ist, wenn er hört, dass du die Diener faulenzen lässt."
Dieses Mal konnte Leon sein Knurren nicht unterdrücken.
„Lass uns einfach in Ruhe, Helena. Du bist ja nur neidisch, dass du heute niemanden schikanieren kannst."


Helena schob schmollend die Unterlippe vor. Doch bereits im nächsten Augenblick blitzten ihre Augen rot auf und sie begann zu fluchen.
Fragend blickte Nuri zu Leon, der sie jedoch nur angrinste.
„Helena....", erklang die strenge Stimme einer Frau.
Erneut spürte Nuri nur einen Luftzug. Einen Wimpernschlag später war Helena verschwunden.
Kurz darauf betrat eine Vampirin den Raum. Sie trug ein langes, rotes Kleid, das unten weit ausgestellt war. Die langen, nussbraunen Haare waren zu einem schlichten Zopf gebunden und fielen über die eine Schulter nach vorne. Nuri stockte, bevor sie einen tiefen und respektvollen Knicks machte. „Hoheit..." begrüßte sie Leons Mutter.
Sofort wurde der Blick der Frau sanfter, als sie Nuri freundlich zunickte. „Du weißt doch, dass du mich in privaten Situationen mit meinem Namen ansprechen darfst."
Verlegen machte das Mädchen erneut einen Knicks. „Ja, Hoh... Ja, Königin Indra."
Die Frau lächelte.
„Leg doch bitte noch etwas Holz nach. Du musst ja fürchterlich frieren in dieser zugigen Bibliothek. Und dann lässt mein werter Sohn auch noch das Fenster offen..."
Tadelnd blickte sie zu Leon, während Nuri verblüfft zu dem offenen, bodentiefen Fenster sah.
Leon hob abwehrend die Hände. „Aber Mutter..."
„Nichts da..." schnitt diese ihm das Wort ab, zwinkerte ihm aber leicht zu. „Willst du nicht wenigstens JETZT die Türe zu machen?"
Leon stutzte, dann grinste er leicht. Während Nuri noch weiteres Holz in den Kamin legte, trat Leon an die Balkontür, schloss diese und verriegelte sie.

„Hat einer von euch beiden zufällig Helena gesehen?" hakte die ältere Vampirin nach.
Verlegen senkte Nuri den Kopf.
Sofort stand die Königin neben ihr und hob sanft ihr Kinn an.
„Du hast nichts zu befürchten, Nuri. Ich weiß, dass Helena dich und auch die anderen Diener, gerne schikaniert. Doch werde ich das nicht mehr länger dulden. Also: Hast du sie gesehen?"
Zögerlich nickte Nuri. „Ja, Hoheit. Sie war hier und..."
„...und sie hat sich mal wieder darüber beschwert, wie ich mit Nuri umgehe – und indirekt damit gedroht, Vater davon zu erzählen", ergänzte Leon.
Die Königin seufzte leicht. „Sie wird es auch noch lernen, so wie du, Leon."
Nuri blickte ruckartig zum Balkon als es von außen zaghaft an die Scheibe klopfte.
Indra grinste und lachte leise auf. „Das ging schneller als gedacht. Nuri, öffne bitte die Balkontür."
Das Mädchen lächelte sacht. Sie wappnete sich bereits, von einem wütenden Vampirmädchen umgestoßen zu werden, doch statt dessen wartete Helena geduldig, bis Nuri die Tür komplett geöffnet hatte.
Kurz huschte ihr Blick zu ihrer Mutter, bevor sie dem Mädchen zähneknirschend zunickte.
„Danke, Nuri."
Die Dienerin lächelte verlegen und machte einen leichten Knicks. Kaum, dass Helena die Bibliothek betreten hatte, schloss sie wieder die Balkontür.

Mit einer Geste, die keinen Widerspruch duldete, winkte Indra ihre Tochter zu sich.
„Es muss jetzt wirklich ein Ende haben, dass du die Dienerschaft derart schikanierst. In den letzten Wochen haben bereits mehrere ihren Dienst gekündigt. Sollte noch irgendeiner wegen dir kündigen, wirst DU dessen Aufgabe übernehmen, bis wir einen Ersatz gefunden haben. Haben wir uns verstanden, junge Dame?"
Zähneknirschend nickte Helena.
„Und glaub ja nicht, dass dein Vater dir dann helfen wird. Er hat momentan genug zu tun und muss sich nicht um Fehltritte seiner unreifen Tochter kümmern."
„Ja, Mutter", erwiderte das Mädchen mit gesenktem Blick. Jegliche Arroganz war aus ihrem Blick verschwunden. Sie wusste, dass sie es zu weit getrieben hatte. Und da half ihr auch die Ausrede, dass es so langweilig war, nicht.
Indra lächelte milde und strich ihrer Tochter über den Kopf. „Dann komm jetzt. Dein Hauslehrer wartet bereits auf dich."
Helena stöhnte, ging aber dann gehorsam mit ihrer Mutter mit.
Kaum, dass sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, begann Leon zu grinsen.
„Endlich zieht Mutter andere Saiten bei Helena auf. Ich habe ihr schon lange gesagt, dass sie meine Schwester viel zu sehr verwöhnt und ihr viel zu viel durchgehen lässt."
Verlegen trat Nuri von einem Bein auf das Andere.
„Sollte Helena dich noch einmal ärgern, möchte ich, dass du dich sofort bei mir meldest, Nuri. Verstanden?"
Lächelnd nickte das Mädchen. „Ja, Prinz Leon."
Schmunzelnd griff der Prinz unter sein Hemd und holte ein Buch hervor.
„Hier. Wir haben noch etwas Zeit. Du kannst also noch ein bisschen weiter lesen."
Mit einem Strahlen nahm Nuri das Buch entgegen. „Vielen Dank, Hoheit."

Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungDonde viven las historias. Descúbrelo ahora