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Früh am nächsten Morgen betrat Helena gut gelaunt zum zweiten Mal die Ställe.
Sogleich griff sie nach einer der Bürsten.
Sie verstand gar nicht, warum alle die Stallarbeit immer so schlimm fanden. IHR machte es sogar fast schon Spaß, die Pferde zu bürsten.
Sie wollte gerade zu einem der jungen Fohlen gehen, um dieses zu striegeln, als ihr ein etwas älterer Stallbursche in von der Arbeit dreckiger Kleidung in den Weg trat.
In seinen Haaren steckten einige Strohhalme, da er gerade mehrere Strohballen vor eine der Boxen gelegt hatte.

„Heute ist eine andere Aufgabe für Euch vorgesehen, Prinzessin Helena."
Er streckte seine Hand aus und Helena legte überrumpelt die Bürste hinein.
Ohne groß hinzusehen, drehte der Bursche sich um und legte den Striegel zurück an seinen Platz.
„Und was soll ich tun, David?"
Der Junge grinste leicht und wies mit dem Daumen hinter sich auf die Box, vor die er die Strohballen gelegt hatte.
„Ihr werdet heute diese Box ausmisten. Das heißt. Alles alte Stroh und allen Dreck bringt ihr nach draußen auf den Misthaufen und dann füllt Ihr den Stall mit neuem Stroh."
Angeekelt verzog Helena das Gesicht. „Muss ich wirklich?"
David zuckte nur die Schultern. „Mir wurde nur gesagt, dass das heute Eure Aufgabe sein wird."
Noch während er sprach drückte er dem Mädchen eine Mistgabel in die Hand.
„Dort hinten im Gang findet Ihr einen Karren, um das alte Stroh auf den Misthaufen zu fahren."
Kurz darauf stand Helena alleine vor der Box. Noch immer verzog sie angeekelt das Gesicht.
Einen Moment lang überlegte sie, ihren Vater aufzusuchen um sich zu beschweren, doch schnell verwarf sie diesen Gedanken wieder.Auch heute Morgen, beim Frühstück, war ihr Vater noch verärgert über ihre Taten gewesen. Da war es besser, ihn nicht noch weiter zu reizen.


Mit einem theatralischen Seufzen öffnete Helena die Box.
Überrascht blickte sie auf, als in der Box ein Pferd stand.
Mit einem Schnauben trat sie hinein und schloss die Tür hinter sich.
„Na dann muss es wohl so gehen...", meinte sie zu sich selbst und begann um das Pferd herum das Stroh aufzusammeln und neben der Tür zu stapeln.
Je länger Helena beschäftigt war, desto unruhiger begann das Tier zu tänzeln.
Auf einmal japste das Mädchen auf, als sie sich zwischen Stallwand und Pferd eingeklemmt wieder fand.
„Hey...lass das.", fuhr sie das Tier an und schob es kraftvoll von sich weg. „Immerhin mache ich hier deine Box sauber. Etwas mehr Dankbarkeit wäre da wohl angebracht."

Erschrocken begann das Pferd auszuschlagen. Helena zuckte zusammen und sprang zur Tür.
Unzufrieden brummte sie. „Dann hole ich eben erst einmal diesen Karren. Vielleicht hast du dich ja dann wieder beruhigt. Ich verstehe sowieso nicht, warum du dich so aufführst..."
Energisch öffnete sie den Schlag und kehrte kurz darauf mit dem kleinen Wagen zurück.
Der Hengst empfing sie mit einem Schnauben, als sie sich an ihm vorbei drängte.
Energisch drückte sie gegen den Hintern des Tieres. „Geh zur Seite, du bist mir im Weg."
Mit einem lauten Wiehern begann das Pferd zu steigen, doch schon im nächsten Moment stürmte es aus dem Stall hinaus.
Zufrieden grinste Helena. „Na bitte...JETZT hast du mir endlich Platz gemacht. So...und jetzt endlich dieses stinkende Zeug weg..."

Ohne sich weiter darum zu kümmern, wo das Pferd hingelaufen war, begann sie, das alte Stroh auf den Karren zu laden, bis dieser schon beinahe umkippte.
„David...!", rief sie laut durch die Gänge. „Der Karren ist aufgeladen, du kannst ihn jetzt wegfahren."
Es dauerte einen Moment, bis sich eine verärgerte Stimme näherte und Helena den Stallburschen sah, der das Pferd am Halfter führte.
Wütend blitzte er Helena an.
„Ihr werdet den Karren schön selbst rausfahren. Ich habe genug damit zu tun, Eure Fehler auszubügeln. Oder wie erklärt Ihr es Euch, dass das Pferd draußen vor der Burg herumgelaufen ist?"

Nun blitzten auch Helenas Augen auf. „SO lasse ich nicht mit mir reden, Knecht. Immerhin hat dieses Biest hier mich schon die ganze Zeit geärgert und stand nur im Weg herum."
Verblüfft blickte David zwischen Helena und Pferd hin und her.
„Ihr habt doch nicht wirklich das Tier in der Box gelassen?"
„Natürlich habe ich das. Was hätte ich denn sonst tun sollen?"
Der Stallbursche schüttelte nur verwundert den Kopf und band das Tier an einem der eisernen Ringe im Stallgang an.
„Es hier festbinden natürlich – so wie Ihr es schon oft genug gesehen habt, wenn Ihr zum Reiten gekommen seid."

Helenas einzige Reaktion war ein genervtes Schnauben. „Das hättest DU ja auch machen können, wenn ich hier schon ausmisten muss."
Genervt seufzte David auf. „Prinzessin Helena. Euer Vater hat klare Anweisung gegeben, dass Ihr die Aufgaben, die Cuno Euch zuteilt, selbst zu erledigen habt. Glaubt mir..."
Noch bevor David weiter sprechen konnte, fiel sein Blick auf den beladenen Karren und er schüttelte den Kopf. „Ihr habt den Karren viel zu hoch beladen, Prinzessin."
Mit funkelnden Augen stemmte Helena die Fäuste in die Seiten.
„Du vergisst, was ich bin. Für dich einfachen Menschen mag der Karren vielleicht zu schwer sein, aber ich bin eine Vampirin."

Die Mundwinkel des Stallknechts zuckten verdächtig. „Ich sprach auch nicht davon, dass der Karren zu schwer für Euch sein könnte. Aber so voll lässt er sich nicht gut fahren und es wird alles runter fallen."
Verärgert verzog die Prinzessin das Gesicht. „Lass das mal meine Sorge sein. Ich weiß schon, was ich tue."
David zuckte leicht die Schultern und trat an die nächste Box, um auch diese auszumisten. Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie Helena nach den Holmen des Karren griff, um diesen vor sich her zu schieben. Einen kurzen Moment zögerte er, seufzte dann aber.
„Es geht besser, wenn Ihr den Karren zieht, Prinzessin Helena."Das Mädchen schnaubte nur. „Ich habe dir gerade schon gesagt: Ich weiß, was ich tue. Also kümmere dich um deine eigenen Sachen."
Kopfschüttelnd holte der Knecht das Pferd aus der Box und band es im Stallgang an.


Unterdessen schob die unfreiwillige Stallhelferin den Karen vor sich her. Kurz bevor es in den Hof hinaus ging, blieb dieser jedoch an einer leichten Stufe hängen.
Helena zog den Wagen wenige Zentimeter zurück, um ihn mit Schwung über die Kante zu fahren.
Der Karren setzte rumpelnd über die Kante, doch im gleichen Augenblick geriet der Berg an Mist ins Wanken und fiel Helena entgegen, die nur entgeistert zusah.
Ein spitzer Schrei ertönte, als das Mädchen erst nach hinten taumelte, dann an der Kante strauchelte und schließlich über und über mit Mist bedeckt auf dem Stallboden landete.
Sofort stand David neben ihr und reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.
„Habt Ihr Euch verletzt, Prinzessin?"
Besorgt blickte er auf Helena hinab, die ihn jedoch nur wütend anfunkelte.
„Jetzt auf einmal interessiert es dich also, wie es mir geht? Dabei ist es doch allein DEINE Schuld."

Überrascht blickte der Mann die junge Prinzessin an. „Wieso meine Schuld? Ich habe Euch gesagt, dass Ihr den Karren zu voll gemacht habt und ihn besser ziehen solltet..."
Hochnäsig blickte Helena zu David auf.
„Hättest du den Mist hinaus gefahren, wie ich es dir gesagt habe, wäre das nicht passiert."
Mit einem beinahe boshaften Funkeln in den Augen griff Helena nach der noch immer dargebotenen Hand.
Doch anstatt sich von dem Stallknecht aufhelfen zu lassen, zog sie ruckartig an, sodass der junge Mann mit dem Gesicht voran im Mist landete.

Fluchend und mit vor Wut blitzenden Augen kam der Stallknecht wieder auf die Beine, spuckte angewidert einen Strohhalm aus und wischte sich mit dem Ärmel über das verschmierte Gesicht.
„Es reicht, Prinzessin", donnerte er los.
„Wir haben alle genug von Euch. Ihr seid nichts anderes als eine verzogene, eingebildete und hochnäsige Göre. Wir haben alle schon lange genug von Euch."
Helenas Augen blitzen rot auf, als sie auf die Beine sprang, um auf David loszugehen.
„Was erlaubst du dir eigentlich, so mit mir zu sprechen?"
Ohne sich einschüchtern zu lassen blickte David der Prinzessin entgegen. „Ich sage nur die Wahrheit. Etwas, das schon längst jemand hätte tun sollen."
Helenas Unterlippe begann zu zittern, als sie sie trotzig vorschob. „Mein Vater wird dich für diese Respektlosigkeit entlassen."

David zog lediglich eine Augenbraue leicht hoch. „Das wird er nicht. Weil ich davor kündige. Ich werde keinen Tag mehr länger hier arbeiten mit Euch auf der Burg", erwiderte er trocken.
Helenas Gesichtszüge schienen regelrecht zu entgleisen, als sie einen Schritt auf den Stallknecht zumachte. Doch noch bevor sie diesen erreichte, erklang eine dunkle Stimme.
„Was ist hier los?"


Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt