21.

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Langsam drehte Helena sich um und sah ihrem Vater betreten entgegen.
David wischte sich erneut über das Gesicht bevor er sich respektvoll vor dem König verneigte.
Dieser nickte nur leicht, bevor er erneut das Wort an die beiden – oder eher an seine Tochter – richtete. „Ich habe gefragt, was hier los ist, Helena."
Das Mädchen holte tief Luft und öffnete den Mund, doch noch bevor sie zu sprechen anfing, schloss sie ihn wieder und senkte betreten den Kopf. Erst nach einer längeren Pause setzte sie erneut an zu sprechen. „Es tut mir Leid, Vater."
Simon machte einen Schritt auf die beiden zu und musterte seine Tochter nachdenklich.
„Du gibst also zu, dass du einen Fehler gemacht hast?", hakte er nur etwas versöhnlicher nach.
Helena biss sich auf die Unterlippe, bevor sie zögerlich nickte.
„Gut. Das ist zumindest ein erster Schritt, aber er wird dich dennoch nicht vor dem bewahren, was jetzt auf dich zukommt. Geh dich waschen und zieh dir etwas Sauberes an. Danach kommst du zu mir in mein Büro."
„Ja, Vater."

Mit Tränen in den Augen beeilte sich das Kind, den Stall zu verlassen.
Kaum, dass sie weg war, machte David einen Schritt auf seinen König zu, doch noch bevor er das Wort ergreifen konnte, gebot Simon ihm Einhalt.
„Ich werde deine Kündigung vorerst nicht akzeptieren", erklärte er ruhig. „Zuvor möchte ich mich mit dir unterhalten."
Für einen Moment ließ er seinen Blick skeptisch über den Stallknecht wandern.
„Geh dich auch waschen und komm dann bitte in mein Büro. Ich gehe davon aus, dass du deutlich vor meiner Tochter fertig sein wirst. Und wenn nicht, wird sie eben warten müssen."
David nickte. „Wie Ihr wünscht, Hoheit."

Sich hektisch umsehend, rannte Helena auf die Burg zu. Und auch wenn sie stets versuchte, sich zu verstecken, wenn sie Gefahr lief, jemandem zu begegnen, konnte sie es zu dieser Tageszeit nicht immer vermeiden.
Immer wieder spürte sie, wie sie die Blicke der Diener – aber auch anderer Vampire – trafen.
Doch während sich die Vampire angeekelt von ihr abwandten, sahen die Diener mit Genugtuung auf Helena hinab.
Gerade drehte sie sich im Laufen wieder nach einem jungen, attraktiven, Vampir um, als ihr Lauf von etwas Weichem gestoppt wurde.
Sie hörte noch, wie der Vampir sichtlich amüsiert auflachte, bevor er verschwand.
Im nächsten Augenblick hörte sie jedoch ein leises Stöhnen, das vom Boden kam.
Als sie sich umdrehte, sah sie Nuri, die am Boden saß, und sich das Knie rieb. Vor ihr am Boden lag ein Tablett und ein goldener Kelch.
Über den Boden hatte sich eine glücklicherweise klare Flüssigkeit ergossen.

Als Nuri sich umdrehte, sah sie die Prinzessin verblüfft an.
„Was ist EUCH denn zugestoßen, Hoheit?"
Helenas Lippen bebten und sie kämpfte mit den Tränen. „Lach mich ruhig auch aus wie die anderen."
Verblüfft schüttelte Nuri den Kopf, während sie sich aufrappelte. „Warum sollte ich Euch auslachen?"
Helena brummte unwillig.
„Weil das alle tun."
Nuri seufzte leicht. „Seid ihr in den Misthaufen gefallen, Hoheit?"
„Ich wüsste nicht, was dich das angeht, Nuri. Aber wenn du es genau wissen willst, der Mist ist auf mich gefallen", erwiderte sie gewohnt hochnäsig.
Nuri schüttelte nur den Kopf. „Falls Ihr es nicht bemerkt habt, Hoheit. Ich versuche gerade Euch zu helfen, aber Ihr könnt gerne weiter so durch die Gänge laufen.
Noch während die junge Dienerin sich abwenden wollte, wurde sie von Helena am Arm festgehalten. „Warum solltest du mir helfen wollen? Du kannst mich ja noch nicht einmal leiden ..."„Das liegt ja wohl kaum an mir...", brummte Nuri leise vor sich hin, wandte sich aber dann Helena zu. „Weil es keiner verdient hat, so durch die Gänge laufen zu müssen und von jedem ausgelacht zu werden."
Ungläubig weiteten sich Helenas Augen. „Ich habe dich so oft geärgert und trotzdem willst du mir helfen?"
Mit einem Schulterzucken hob Nuri das Tablett und den Kelch auf.
„Nur weil Ihr gemein zu mir seid, muss ich nicht gemein zu Euch sein. Und jetzt kommt mit mir mit oder geht Euren eigenen Weg. Mir ist es egal."


Ohne sich noch einmal umzudrehen trat Nuri hinter eine Säule und öffnete eine verborgene Tür in der Wand. Kühle Luft schlug ihr entgegen, als sie einen der Versorgungsgänge betrat und sich nach Helena umsah.
Verblüfft war das Mädchen ihr gefolgt und blickte nun in den fast dunklen Gang hinein.
„Ich wusste zwar, dass es diese Gänge hier überall gibt, aber ich habe noch nie einen der Zugänge entdeckt."
Nuri zuckte erneut die Schultern. „Weil es Euch nicht interessiert, wie wir unseren Aufgaben nachkommen. Euch ist nur wichtig, dass alle Eure Wünsche schnell erfüllt werden. Und jetzt kommt und schließt die Tür hinter Euch."
Betreten senkte Helena den Kopf. Auch wenn sie es nur zu gerne wollte ... DEM konnte sie nichts entgegen setzen, denn es war die Wahrheit.
Sobald Helena die Tür geschlossen hatte, wurde es finster in dem Gang. Blind griff Nuri in eine Nische neben der Tür und entzündete eine Kerze.
Schweigend führte sie Helena die Gänge entlang und Treppen hinauf. Schließlich blieb sie vor einer weiteren Tür stehen.
„Wartet hier. Ich sehe nach, ob der Gang frei ist."
Nuri löschte die Kerze und legte sie in die Nische, bevor sie auf den Gang trat und nach rechts und links blickte.
Erst dann trat sie zur Seite und gab Helena ein Zeichen.
Die Prinzessin trat neben Nuri und sah sich orientierungslos um.
Nuri schüttelte nur den Kopf. „Dort drüben ist Euer Zimmer. Neben dem Portrait Eurer Großmutter."
Helena schien mit sich zu kämpfen. Schließlich brachte sie ein leises, eher schon gemurmeltes „Danke" hervor.
Nuri grinste leicht. „War das jetzt so schwer?"
Kommentarlos rannte Helena auf ihr Zimmer zu. Sie wollte gerade die Tür hinter sich schließen, als sie sich nochmal zu Nuri umwandte.
Helena räusperte sich schwer, bevor sie zögerlich zu Nuri blickte.
„Könntest....könntest du mir nochmal helfen? Ich muss mich waschen und weiß nicht, wie ich das Bad richten muss. ...Bitte."
Nuri lächelte sacht und ging auf das andere Mädchen zu. „Das ist nicht schwer. Ich kann es dir zeigen."

Frisch gewaschen und mit sauberer Kleidung trat David nur etwas später vor das Büro seines Dienstherren.
Leicht zögerlich klopfte er an und betrat auf das sogleich erklingende „Herein" den Raum.
Nur kurz blickte er sich orientierend um, bevor er sich respektvoll verneigte. „Hoheit. Da bin ich. Ihr wolltet mit mir reden?"
Leicht angespannt knetete David seine Finger.
Simon nickte ihm freundlich zu und wies in einer ausladenden Geste auf den Stuhl ihm gegenüber. „Setz dich bitte. Und dann erzähl mir, was passiert ist."
Für einen Moment schloss David die Augen, wie um sich zu sammeln. Dann begann er zu erzählen. Weder beschönigte er, noch übertrieb er etwas.
Eine halbe Stunde später nickte Simon ihm freundlich zu. „Das war ein sehr objektiver Bericht. Ich danke Euch. Lasst uns nun über Deine Idee, zu kündigen, reden."

Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt