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Mit dem Vogel auf der Hand kehrte Simon an die Tafel zurück.
„Wo waren wir stehen geblieben?", griff er die Diskussion wieder auf.
Erneut strich er dem Raben zärtlich über das Gefieder.
„Bei dem Punkt der Prophezeiung, wer mit den beiden Wesen gemeint sein könnte", beantwortete Levin die Frage.
„Richtig. Und dass wohl zwei bestimmte Vertreter aus den beiden Völkern gemeint sein müssen", fuhr Simon selber fort. „Was das betrifft, wird Cora hier uns vielleicht sogar des Rätsels Lösung näher bringen. Aber zuvor: Was sagt uns die Nachricht von König Julius noch?"
Ein weiterer Vampir meldete sich Wort. „Ich würde das ganze folgendermaßen deuten:

Ein Vampir und ein Werwolf wurden von den Göttern dazu bestimmt, den Frieden in das Land zu bringen. Allerdings wird nur ein Volk siegreich aus diesem Konflikt hervorgehen. Dieses Volk wird große Macht erlangen, während das Andere verlieren wird. Für das andere Volk gibt es kein Entrinnen – was auch immer das heißen mag. Doch das muss uns nicht interessieren. Immerhin sind WIR es, die diese Prophezeiung in Händen halten und somit werden auch wir die Sieger sein."
Lauter Jubel ertönte, als alle im Saal seinen Worten zustimmten.
Lediglich Simon schien etwas zu zögern. War es wirklich das, was Urgroßvater Julius ihm mit seiner seltsamen Nachricht sagen wollte? Konnte es so einfach sein?

Nachdenklich blickte er auf den Raben, in deren Augen sich das spiegelte, was das Tier noch vor kurzem gesehen hatte.
Ruckartig wandte er den Blick seinem Sohn zu, bevor er wieder zu dem Raben sah.
„...wir sind uns also einig, was diese Prophezeiung zu bedeuten hat.", wandte sich Simon an seine Vertrauten und brachte sie auf diese Weise sofort zum Schweigen.
„Dann müssen wir also nur noch den richtigen Werwolf finden und ihn hier zu uns auf die Burg holen."
Ein paar Fürsten lachten verhalten. „Die Werwölfe werden bestimmt nicht freiwillig einen der Ihren zu uns schicken..."
Simon blickte sie scharf an und sofort schienen die Männer unter seinem Blick regelrecht zu schrumpfen.
„Davon ist auch keiner ausgegangen", erwiderte der König trocken.
„Zuerst einmal müssen wir den RICHTIGEN Werwolf finden."
Ratlos blickten die Vampire sich an, bis Simon auf einmal zu lächeln begann.
„Nur gut, dass meine Raben nicht so ratlos sind wie Ihr es seid. Ich denke, dass die gute Cora hier bereits den richtigen Werwolf für uns ausfindig gemacht hat."
Fragend richteten sich aller Augen auf den König, der jedoch lediglich konzentriert die Augen schloss.

„Ein junges Mädchen, noch nie gewandelt..." begann er zu erzählen, was er in Coras Augen gesehen hatte.
„Die Haare lang und fast weiß, leuchtend wie der Mondschein", fuhr Simon fort.
Langsam öffnete er die Augen und sah sofort, wie alle Anwesenden sprachlos den Blick auf seinen Sohn gerichtet hatten.
Zufrieden nickte er. „Richtig. Das komplette Gegenteil zu meinem Sohn, Eurem Prinzen."
„Cora hat zudem ein Gespräch hören können. Das Mädchen ist die Tochter des Alphas und wird sich um die Zeit des blauen Mondes das erste Mal verwandeln – oder auch nicht, wenn wir es verhindern können."
Erneut wanderte ein Raunen durch die Reihen der Vampire.
„Das gilt es auf jeden Fall zu verhindern", erklärte ein älterer Vampir. „Wir wissen alle, dass die Werwölfe besonders stark und mächtig sind, die sich zum blauen Mond das erste Mal verwandeln."

Mit einer energischen Geste brachte Simon seine Untergebenen zum Schweigen.
„Darum geht es jetzt erst einmal nicht. Wichtiger ist die Frage: Sind wir uns darin einig, dass dies das Mädchen aus der Prophezeiung ist?"
Während manche der Vampire noch zu überlegen schienen, waren sich andere bereits sicher.
„Sie ist das komplette Gegenteil zu unserem Prinzen. Und dazu ist sie die Tochter des Alphas. Sie muss es sein."
Simon lächelte milde. „Dann wird es unser Ziel sein, dem Mädchen habhaft zu werden und sie hier auf der Burg einzusperren. Damit sollte der Prophezeiung Genüge getan sein."
„Mein Sohn und des Alphas Tochter werden gemeinsam unter einem Dach sein. Wir werden zu großer Macht gelangen und der Krieg wird endgültig ein Ende haben. Den Werwölfen hingegen wird nichts anderes übrig bleiben, als sich uns zu unterwerfen."
Ein weiteres Mal brandete Jubel durch den Saal.
Der Rabe auf der Hand des Königs schlug unruhig mit den Flügeln, bevor er sich von der Faust abstieß und durch das noch immer geöffnete Fenster hinaus flog.

Schließlich erhob sich der Prinz und brachte die Menge zum Schweigen.
„Es gilt einiges vorzubereiten, Vater."
Simon neigte zustimmend den Kopf.
„Ich brauche einen Freiwilligen, der mit ein paar anderen Kriegern auszieht, um die Alphatochter zu entführen."
Ohne zu zögern erhob sich Levin. „Ich melde mich freiwillig, Hoheit."
Lächelnd neigte der König den Kopf. „Nichts anderes habe ich erwartet."
Respektvoll verneigte sich Levin.
„Desweiteren muss eine werwolfsichere Zelle vorbereitet werden. Und wir sollten bereits jetzt unseren Vorrat an Wolfswurz aufstocken."
Ein älterer Vampir meldete sich. „Darum werde ich mich kümmern, Hoheit."
Zufrieden neigte Simon den Kopf.
„Dann gibt es vorerst nichts weiter zu besprechen. Ihr könnt gehen."
Als alle Fürsten sich erhoben, richtete Simon das Wort an Levin.
„Du wirst noch hierbleiben, Levin, damit wir das weitere Vorgehen besprechen können."Während die anderen Vampire den Saal verließen, trat der junge Vampir auf seinen König und den Prinzen zu.
Mit einem Wink lud Simon ihn ein, neben ihm Platz zu nehmen.


„Die Alphatochter, Tia ihr Name, scheint recht rebellisch zu sein. Immer wieder widersetzt sie sich den Anweisungen ihres Vaters und versucht, heimlich ihr Dorf zu verlassen.
Es sollte somit ein leichtes sein, ihr aufzulauern und sie zu entführen – zumal wir jetzt wissen, wo das Dorf liegt.
Dennoch wirst du bis zum Neumond warten. Zu dieser Zeit sind die Werwölfe am schwächsten. Es wird dann umso leichter sein, unseren Plan in die Tat umzusetzen."
Respektvoll neigte Levin den Kopf.
„Achja...diese Tia ist meist in Begleitung eines anderen Wandlers. Allerdings hat auch dieser sich bisher noch nicht verwandelt.
Nachdem sich die Werwölfe uns ohnehin unterwerfen müssen, wünsche ich keine unnötige Gewalt. Wenn nötig, schaltet Tias Kameraden aus, doch lasst ihn am Leben. Wir wollen uns unseren neuen Untergebenen gegenüber gütig zeigen.
Unter keinen Umständen werden ihr den Jungen hierher bringen. Ein Werwolf auf der Burg ist mehr als genug."

Erneut verneigte sich Levin.
„Was Tia betrifft: Ich möchte sie möglichst unversehrt haben. Die Prophezeiung sagt dazu zwar nichts, doch ich will kein Risiko eingehen. Stell sie notfalls mit Wolfswurz ruhig, aber füge ihr – soweit möglich – keine Verletzungen zu."
Levin zuckte leicht die Schultern. „Es sollte ein leichtes sein, dem Mädchen eine Falle zu stellen und sie dann zu überwältigen. Was hat sie uns schon entgegen zu setzen..."
Simon schmunzelte. „Richtig. Sie ist nicht viel wehrhafter als ein Mensch und wir werden dafür sorgen, dass es so bleibt."
Zufrieden grinsend lehnte sich Leon zurück.
„Wer hätte gedacht, dass sich der Krieg so einfach beenden lässt. Ein Glück, dass du die Nachricht unseres Urahnen gefunden hast."

Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungDove le storie prendono vita. Scoprilo ora