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"Was hat sie denn bloß?", fragte die erste provokante Stimme.

"Sie hat Angst, glaube ich...", stellte die zweite Stimme Vermutungen an und als die am Boden liegende Sonja ihre Augen öffnete blickte sie in die schönsten grünen Geister-Augen, die sie je gesehen hatte.

"Warum sollte sie denn Bitte Angst haben?", blaffte die Stimme zurück.

"Könnte eventuell daran liegen, dass du hier so herum brüllst und aussiehst wie ein Geist.", merkte eine Stimme an, die Sonja bisher noch nicht aufgefallen war. Sie war leise und sanft aber so klar und unmissverständlich wie der blaue Himmel an einem wunderschönen Sommertag.

"Eure Majestät! Ich wusste ja nicht...bitte verzeiht!", die Panik war der vorhin noch so arroganten Stimme deutlich anzuhören und irgendwie glaubte Sonja, dass wenn sie nicht gerade auf einem harten Steinigen und mit piksenden Asten übersäten Waldboden liegen würde sie die Situation durchaus als Lustig hätte empfinden können. Aber so...in diesem Moment konnte sie nichts anderes tun als sich auf ihr Bauchgefühl zu verlassen und dass sagte ihr, dass diese Geister ihr nichts tun würden. Im Moment zumindest nicht. Also beschloss sie einen Blick zu wagen, wenn sie sie umbringen wollten, würden sie es sicherlich tun, egal, ob sie sich diese Kreaturen vorher angeschaut hatte oder nicht. Langsam, ganz langsam, um ihnen keinen Grund zu geben sie anzugreifen drückte sie ihren Oberkörper vom harten nunmehr feuchten Waldboden ab. Als sie ihre Schmerzenden und geschundenen Glieder gerade so weit erhoben hatte, dass sie nun auf allen vieren vor ihnen kroch, erblickte sie ein Paar Füße vor sich. Sie schienen zart und gepflegt. Die Nägel glänzten in einem wunderschönen pastell-rosa, aha, sie hatten hier also auch Nagellack, und in selbiger Farbe und das fand Sonja jetzt höchst erstaunlich, rankten sich leuchtende Schnörkel, sie wusste es nicht anders zu beschreiben, wie ein Flip-Flop-Sandalette um eben jene zierlichen Füße die Wade hinauf. Von dem Anblick dermaßen erstaunt ließ sie ihr Hinterteil wieder auf den Boden sinken und ihren Blick weiter an dem Körper hoch wandern. Sie erblickte ein weises Kleid, das dem von Amazonen gleich kam, so wie man sie sich früher vorgestellt hatte, nur das diese Person hier, mit ihrer unfassbar schlanken Taille und ihren dafür aber doch recht beachtlichen weiblichen Rundungen noch tausendmal heißer aussah, als es eine der Schauspielerinnen in den Filmen hätte jemals sedin können. Ihre Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und waren so lang, dass ihre blonde Pracht ihr trotzdem bis zu den Ellenbogen reichte.

"Gott! Bist du schön!", rutschte es Sonja raus, ohne das sie etwas dagegen tun konnte. Sofort schlug sie sich selbst die Hand vor den Mund. Herrje, war das peinlich! Sie spürte wie ihr das Blut in die Wangen schoss und wünschte sich, dass der Boden sich auftun und sie verschlucken müsste. Doch nichts davon geschah, wie immer blieben ihre Wunsche im Universum unerhört.

Stattdessen brachen die Geister um sie herum in schallendes Gelächter aus. Wie lange sie lachten vermochte Sonja nicht zu sagen, doch was sie wusste war, dass sie lange und laut lachten. Sie hielten sich nicht zurück, nein, sie lachten. Es war aber kein auslachen, eher ein amüsiertes Lachen, eins das von Herzen kam und nicht gekünstelt war. Und dennoch schämte sich Sonja, auch wenn sie sich jetzt absolut sicher war, dass diese Geister ihr nichts tun würden. Irgendwie erinnerten sie sie an ihre Clique zu Hause. Ein sehr schräg zusammengewürfelter Haufen von Mädchen unterschiedlicher Elternhäuser und Erziehungen. Die eine eher Chick und wohlhabend, die andere locker und um kein Wort verlegen, die nächste gehaltsmäßig ein absoluter Durchschnittstyp, als Mensch aber eine treue Seele. Alle von Grund auf unterschiedlich und doch, oder gerade weil wir so gewesen waren, hatten wir uns so gut verstanden. Diese Geister waren nicht anders. Mit dem kleinen Zusatz, dass sie eben Geister waren. Oder etwa nicht?

Sonjas peinlich berührter Blick fiel auf das paar Füße, dass sich ihr gerade näherte, doch irgendwie...

"Ihr seid ja gar keine Geister!", platzte es aus Sonja raus. Die Peinlichkeiten waren vergessen und es störte sie auch nicht, dass alle Augen nun auf sie gerichtet waren, als sie ihren Blick hob und zum ersten Mal seit Eintritt dieser Situation ihre Umgebung wieder gezielt wahr nahm. Immer noch mit Vorsicht, erhob sie sich nun endgültig von dem ungemütlichen Boden. Aste und Laub sowie Spuren von Moos hatten sich an ihr zerrissenes Kleid geheftet und wäre sie jetzt eine Figur aus einem ihrer Lieblingsbücher, so wäre sie sicherlich eine Elfe in einem wunderschönen abstrakt geschneiderten weißen Kleid. Eine Waldelfe, die einen niemals verwelkenden Blumenkranz auf dem Haupt trug und Armbänder um ihre zierlichen Handgelenke baumelten, die wie Äste oder Wurzeln aussahen, das Kleid mit Blätter bestickt, die die Farben des Herbstes in all seiner Pracht wiederspiegelten. So jedoch, dreckig, verletzt und geschunden, das schöne Kleid so sehr zerrissen, dass ihre Oberschenkel doch mehr als nur zu erahnen waren und sie von Glück reden konnte, dass der spärliche Stoff wenigstens ihren Po und ihren Intimbereich gerade noch so bedeckte, kam sie sich sehr schäbig vor und so überhaupt nicht magisch oder heldenhaft.

"Geister? Wie kommst du denn bitte darauf, dass wir Geister sein könnten?", fragte die quitschige der sonderbaren Amazonen. Sie hatte, wie auch die anderen Geschöpfe eine wahnsinnig weibliche Figur, die durch die Kleidung, es waren keine Kleider, wie Sonja jetzt feststellen konnte, noch mehr zu Geltung kamen, ein schmales Gesicht und zart geschwungene Lippen, die jeder Mann bestimmt gerne mal geküsst hätte. Zu Hause wäre sie eine waschechte Latina gewesen, denn sie hatte Schwarze Haare, zumindest soweit Sonja das bei der langsam einbrechenden Dunkelheit erkennen konnte und einen schokoladigen Hautton. Vollmilchschokolade mit ganz viel weißer Schokolade gemischt, aber sie war braun. Nicht weiß, nicht durchsichtig, nein! Sie stand dort, starrte Sonja an und war wie zur Salzsäule erstarrt.

Sonja spürte wieder diesen Klos im Hals und musste schwer schlucken. Warum konnte sie bloß nie ihre vorlaute Klappe halten?

Dennoch blieb sie stehen als die Frau langsamen Schrittes auf sie zu kam, und wappnete sich gegen dass was jetzt kommen würde. Denn sie war sich sicher, die Frau ging nicht umsonst als wäre sie ein Leopard auf der Jagd.

Von Zeit zu Zeit ist doch die LiebeWhere stories live. Discover now