● tannenbaumeinkaufstag ●

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Wie jedes Jahr ist am 16. Dezember der Tannenbaumeinkaufstag. Das hört sich kompliziert an, ist aber ganz einfach. Seitdem ich klein bin, war ich am 16. Dezember dabei, wie unser Tannenbaum mit Sorgfalt ausgewählt und abgesägt wurde, wie er den weiten Weg bis nach Hause transportiert wurde, dann mit roten und gelben, grünen und blauen Christbaumkugeln geschmückt und letztendlich in unserem gemütlichen Wohnzimmer aufgestellt wurde. Als ich dich kennenlernte, haben wir dieses Ritual zu zweit weitergeführt. Jahr für Jahr führten wir dieselbe belanglose Diskussion über die Länge der Zweige und über die Dicke der Äste, bis hin zu den Farben der Lichterketten und dem Ort der "Ausstellung". Denn du warst die Definition für Perfektion. Der mit Liebe geschmückte Baum sollte jedes Jahr an einer anderen Stelle stehen und der Platz wurde mit der Zeit immer weniger. Auch wenn du es nicht weißt, überlege ich schon seit Wochen, wohin er dieses Mal soll, denn sowohl in Küche und Badezimmer hat er sich in den letzten Jahren nicht wirklich gut gemacht. In meinem Schlafzimmer war es zu unpraktisch und ich bin nachts ständig gegen ihn gestoßen und musste die Luft anhalten und hoffen, dass er nicht zu Boden fällt und die Christbaumkugeln so unseren Parkettboden zieren. Im Flur war es schwer den Durchgang beizubehalten und im Gästezimmer fühlte es sich beinahe so an, als hätte ich nie einen Baum auch nur in die Nähe des Hauses geschafft. Der einzige bisher sinnvolle Ort war tstächlich das Wohnzimmer, doch da war er nun schon zwei Mal. Einmal im rechten und einmal im linken Eck und der Platz wird auch hier knapp. Ihn in die Mitte des Zimmers zu stellen wäre total umständlich, also treffe ich kurzerhand die Entscheidung, mir den Platz eben zu verschaffen und schiebe mühsam das Regal samt Fernseher in eine Ecke. Das Fernsehen könnte mir jetzt zwar Nackenschmerzen bereiten, aber was tue ich nicht alles für dich.
Bunten Christbaumschmuck konntest du noch nie ausstehen, also suche ich mir per Zufallsprinzip einen der vielen Kartons heraus und stelle fest, dass der Tannenbaum dieses Jahr von roten und goldenen Kugeln geziert werden wird.
Jetzt habe ich mich also für Ort und Schmuck entschieden und mache mich auf den Weg zum Tannenbaumverkaufsstand. Wieder ein kompliziertes Wort, das eigentlich ganz einfach zu erklären ist. Ich gehe also zum Tannenbaumverkaufsstand, um mir eine beliebig große, dicke und hohe Tanne auszusuchen und um sie dann mit eigenen Händen durchzusägen und über den Schnee zum Auto zu schleifen.
Da ich nicht der Typ für Selbstgespräche bin, werde ich auch dieses Jahr die Diskussion nur in meinen Gedanken führen. Mir persönlich gefällt die hohe, breite Tanne, die schon von weitem aus erkennbar ist, aber für dich wäre sie wahrscheinlich zu protzig. Du würdeszt sagen, dass nur reiche, egozentrische Menschen eine so riesige Tanne kaufen, um mit ihr anzugeben und um tausende Bilder von der prachtvollen Schönheit ins Internet zu stellen; damit noch berühmter zu werden. Dann denke ich an die kleine, die direkt vor mir steht. Die, mit den moosgrünen Zweigen und den dünnen, filigranen Ästen. Die wäre dir dann aber zu problematisch, denn was würden die anderen denken. Entweder, dass wir in elendiger Armut leben oder dass uns kleine, schlichte Bäume eben gefallen. Und da du dir jedes Jahr sicher warst, dass alle an die erste Variante dachten, kommt der kleine Baum auch nicht in Frage. Ich habe dir immer gesagt, dass du zu viel in diese belanglosen Tannen hineininterpretierst, aber von deiner Meinung konnte ich dich nie abbringen, außer es war eindeutig, dass du unrecht hattest. Aber über Tannen konntest du Stunden um Stunden debattieren und diskutieren, weshalb ich irgendwann die Initiative ergriff und mir irgendeine geschnappt habe, von der ich dachte, dass sie weder dir noch mir gefällt. Jedes Jahr lag ich richtig und jedes Jahr fandest du meine Wahl zum todlachen witzig. Also entscheide ich mich dieses Jahr für eine krumme Tanne, deren fehlgebildete Äste teilweise nur noch einzelnde Nadeln aufweisen und rufe einen der Tannenbaumverkaufsstandmitarbeiter, um mir eine Säge zu besorgen. Fragend schaut er mich an und ich nicke, denn ich überlasse diese Arbeit gerne Menschen, denen ich sie zutrauen und da schließe ich mich definitiv aus. Der Baum liegt nun also in meinen Händen und ich ziehe ihn durch den Schnee bis hin zu meinem geliehenen Pick-up und verfrachte ihn auf seiner Ladefläche, um ihn wenige Zeit später ins Haus zu schleifen und auf dem Tannenbaumständer zu befästigen. Ich schiebe ihn zunächst in die Mitte des Zimmers, um ihn beim Schmücken von allen Seiten betrachten zu können, danach an seinen rechtmäßigen und von mir sorgfältig ausgewählten Tannenbaumplatz, an dem er hervorragend zur Geltung kommt.
Ich weiß, dass du nun stolz auf mich wärst. Darauf, dass ich diese Prozedur ein weiteres Mal durchgestanden habe; ohne dich, ohne meine Familie - ganz allein.
Ich weiß, dass du mir auf Schritt und Tritt gefolgt bist und über meine absurden Entscheidungen geschmunzelt und gelächelt hast. Und ich weiß, dass du mir jetzt tief in die Augen gesehen hättest, um wenig später meine Hände mit deinen zu verschränken und meinen Lippen einen zarten Kuss zu schenken. Ich weiß, dass du das alles getan hättest, weil ich dich über die Jahre in und auswendig kennengelernt habe. Du hättest dich genauso über die Verwandlung vom Wohnzimmer zum Weihnachtstannenbaumwohnzimmer gefreut, wie ich mich im Moment darüber freue.
Nichts, nicht einmal der Gedanke an dich, bereitet mit momentan mehr Freude als unser Weihnachtstannenbaumwohnzimmer.

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weihnachtsträumerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt