● eine einzige begegnung●

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Er stellt seinen Wecker zum dritten Mal auf schlummern und dreht sich auf die andere Seite. Er zieht seine Decke wieder wärmend um sich und schließt erneut die Augen. Nur wenige Minuten später wird er von dem nervtötenden Geräusch wieder aus dem Schlaf gerissen und sieht nun ein, dass er aufstehen sollte.

Sie greift mit ihren flinken Fingern an ihr Handy und beendet den Weckerklingelton heute zum ersten Mal. Kurz streckt sie sich und setzt sich auf, um sich im Spiegel ihr gegenüber zu betrachten. Sie sieht nicht wirklich fit aus, denn die letzte Nacht war ein reines Chaos. Ruhig könnte sie noch ein, zwei Minuten schlafen und auf den nächsten Weckerruf warten, aber weiß, dass sie dann nur noch verzweifelter in den Tag starten würde. 

Er schleicht ins Badezimmer, wäscht sich kurz und schlüpft in eine schwarze Anzughose und in ein weißes Hemd. Auf dem Weg zur Küche begegnet er seinem kleinen Bruder, der ihn skeptisch mustert, denn in Anzughose wird er selten gesehen. Er gesellt sich am Küchentisch zu seiner Familie, um zu frühstücken, doch ist zu nervös, um von seinem Brot abzubeißen.
,,Wenn du das heute nicht hinbekommst, dann schmeiß ich dich raus, ja? Das weißt du hoffentlich, denn so kann das nicht weitergehen. Sein Leben nicht auf die Reihe zu bekommen und zu glauben, bei seinen Eltern immer wieder um Geld betteln zu können. Da bist du falsch, Kleiner."
,,Danke, Mama. Dafür, dass du mir Glück wünschst", erwidert er mit müden Augen und macht sich auf den Weg in sein Zimmer.
Wenn er doch bloß etwas mehr Unterstützung von seiner Familie erfahren würde, hätte er vielleicht mehr Motivation.
Alles zu geben, war für ihn noch nie einfach und es scheint so, als würde ihm alles und jeder seinen Weg erschweren wollen.

Sie tappt leise ins Badezimmer, duscht sich und macht sich für den heutigen Tag fertig. Sie schminkt sich dezent und streift sich eine elegante Hose und eine roséfarbene Bluse über. Da sie nicht frühstückt, hat sie noch Zeit, sich die Nägel in einem leichten Rotton zu lackieren, ehe sie Blazer und Mantel kombiniert und dann in ihre schwarzen Stiefeletten schlüpft.
Sie hat Angst, vor dem, was auf sie zu kommt, aber hofft, den Tag mit Bravour zu meistern, denn eine erneute Absage wäre nicht erträglich.

Beide packen ihre Koffer und verlassen ihre Wohnungen. Sie rufen beinahe gleichzeitig ein Taxi und werden zum Flughafen gefahren, an dem sich ihre Blicke kurz begegnen.
Beide steigen in das Flugzeug auf dem Weg zu ihrem Termin und setzen sich auf ihre Plätze, die ganz zufällig nebeneinander liegen.
Obwohl sich die beiden nicht kennen, finden sie schnell in ein Gespräch und verstehen sich auf Anhieb.
Es ist für die meisten Menschen komisch, aber dennoch leichter, sich einem fremden anzuvertrauen und so geht es auch den beiden.
Er erzählt von seinem Vorhaben heute und wie es ihm in den letzten Jahren mit solchen Gesprächen ergangen ist. Dass es ihm leichter gefallen wäre, wenn er mehr Unterstützung bekommen hätte und dass er erleichtert ist, seine Gedanken bei ihr loszuwerden.
Und sie erzählt von ihrem nervenaufreibendem Tag gestern und von dem Termin, den sie für heute hat. Sie erzählt, dass alles nach Plan laufen muss, denn sonst könnte sie ihr Leben vergessen. Sie erzählt auch, dass sie erleichtert ist, ihre Gedanken bei ihm loswerden zu können.
Sie lächeln sich freundlich an und haben endlich einen Menschen gefunden, der ihnen zuhört.
Sie besprechen, sich nach ihren Terminen am Flughafen wieder zu treffen und sich gegenseitig alles zu berichten.
Doch wie es das Schicksal so will, werden sich die beiden nicht wiedertreffen. Andere Pläne haben sich entwickelt und sie verlieren sich in einem einzigen Tag aus den Augen.

Noch heute denkt er oft an sie.
Noch heute denkt sie oft an ihn.

Denn ohne sie, wäre er nicht so locker an dem Termin angekommen und hätte nicht sein Bestes gegeben. Ohne sie hätte er es nicht geschafft, bei seinen Eltern auszuziehen und ein eigenes Leben zu führen.

Ohne ihn, hätte sie den Termin wahrscheinlich wieder nicht wahrgenommen. Ohne ihn, hätte sie keine Zusage bekommen und würde nun kein leichteres Leben führen können. Ohne ihn, hätte sie den Tag nicht überstanden.

Zu gerne würden sie danke sagen, doch mit der Zeit schwindet die Hoffnung nach einem Wiedersehen und die Begegnung gerät in Vergessenheit.

Eine einzige Begegnung, für die beide unendlich danbar sind.

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weihnachtsträumerinМесто, где живут истории. Откройте их для себя