● bester freund ●

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Wenn du die Möglichkeit hättest, deinen eindeutig nicht schwulen besten Freund, auf den du schon mehr als zwei Jahre stehst, zu küssen, ohne dass er es bemerkt, würdest du es dann tun? Ich glaube mir bietet sich in diesem Moment genau diese Möglichkeit und ich ringe mit mir selbst. Einerseits will ich es tun, aber andererseits wäre es mehr als nur falsch. Er war heute feiern. Ursprünglich war es geplant, dass wir zu zweit auf der Party erscheinen, doch dann wurde ich kurzfrüstig krank. Etwa um vier Uhr in der früh kam dann der Anruf. Ich sollte ihn abholen. Er war sturzbetrunken. Also habe ich mich direkt in mein Auto gesetzt und bin losgefahren, um ihn abzuholen. Und so sind wir also gemeinsam in meinem Bett gelandet, weil ich wirklich nicht die Kraft hatte, ihn zu seiner Wohnung zu fahren. Ich wollte zuerst auf der Couch schlafen, aber er meinte, dass es absolut kein Problem wäre, wenn wir in einem Bett schlafen würden, da wir das früher ja auch immer gemacht hätten. Also habe ich mich neben ihn gelegt und bin erstaunlicherweise, trotz seiner Gegenwart, die mich in den Wahnsinn treibt, eingeschlafen. Doch jetzt bin ich wach. Es ist elf Uhr und die Sonne scheint schon hinter den senfgelben Vorhängen in mein Zimmer und erleuchtet es. Ich liege unruhig neben meinem besten Freund und er sieht so friedlich aus. Er liegt auf der Seite, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt und er atmet immer noch gleichmäßig ein uns aus, was mir versichert, dass er noch tief und fest schläft. Seine Anwesenheit zieht mich förmlich näher an ihn heran und ich kann einfach nicht anders, als meine Hand nach seinem Gesicht auszustrecken und ihm eine dunkelbraune Locke behutsam aus dem Gesicht zu streichen. Plötzlich gibt er ein murrendes Geräusch von sich und abrupt ziehe ich meine Hand weg und drehe mich auf die andere Seite. So war das nicht geplant. Ich verstehe das einfach nicht. Ich bin doch kein 15-jähriger pubertierender Junge mehr, der seine Hormone nicht im Griff hat. Aber jedes Mal, wenn ich ihn sehe, drehe ich fast durch. Ich weiß, dass er definitiv nicht schwul ist und mache mir deshalb auch keine Hoffnungen, aber das macht es nicht einfacher. Ich bin tagtäglich gefangen in einem sich endlos drehenden Gedankenkarussell mit Bildern, auf denen er abgebildet ist. Er alleine. Er mit seinen Schwestern. Er auf Reisen. Er als kleiner Junge. Er mit mir. Diese Bilder gefallen mir am besten, weil sie meiner Traumvorstellung mit ihm am nähesten kommen. Ich spüre eine zögerliche Berührung auf meinem Rücken und dann eine Hand, die vorsichtig nach oben wandert und an meinen Schultern angekommen, mich auf den Rücken zieht. Ich starre schockiert auf die Decke. Jetzt denke ich nicht mehr an das Karussell. Ich denke an nichts mehr. Und ich halte den Atem an; möchte mich am liebsten verschwinden lassen. Ich ertrage diese Nähe nicht. Schwer schlucke ich den Kloß in meinem Hals nach unten und senke meinen Blick. Er wird meine Berührung gespürt haben. Und es ist mir so peinlich. Wahrscheinlich ahnt er jetzt, dass ich mehr als nur einen besten Freund in ihm sehe und möchte nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich weiß, dass er nichts gegen Schwule hat, aber ich habe ihm nie gesagt, dass ich es bin, weil ich nicht wollte, dass er erfährt, dass ich ihn mag. Langsam und laut atmet er aus. Er räuspert sich und bittet mich mit seiner tiefen und etwas heiseren Morgenstimme, mich zu ihm zu drehen. Diese Stimme. Sie macht mich noch schwächer und ich versuche mein zittriges Atmen mit meiner Drehung zu kaschieren. Jetzt liegen wir wieder Gesicht an Gesicht zueinander und er kommt noch etwas näher. Wieso macht er das? Ich verstehe die Welt nicht mehr. Wieso macht er jetzt diese Anzeichen, wenn er sie nie geäußert hat. Wieso sollte er auf einmal-. Ich kann nicht einmal zu ende denken, denn er berührt mich an derselben Stelle, an der ich ihn berührt habe. Immer wieder wandern seine Augen von meinem Mund zu meinen Augen, als sie schließlich bei meinem Mund hängen bleiben. Langsam kommt er immer näher und ich sehe ihn ungläubig an. Er hält einige Millimeter vor mir inne und sieht mir ein letztes Mal in die Augen, als ich es nicht mehr aushalte und meine Lippen auf seine lege. Lange verharren wir in dieser Position, ehe er seine Hände in meine Haare schiebt und leise an meinen Lippen seufzt. Diesen Moment habe ich mir schon so oft vorgestellt, doch ich dachte nie, dass es jemals wirklich passieren könnte. Ein Kuss mit ihm war bisher nur eine Traumvorstellung und jetzt ist sie wahr geworden. Mein Gedankenkarussell setzt wieder ein und scheint sich so schnell zu drehen, wie noch nie. Auf meinen Armen bildet sich eine aufregende Gänsehaut. Er bewegt nun seine Lippen leicht auf meinen und ich spüre seine Zungenspitze an meinen Lippen, ehe ich sie öffne und er meine Zunge behutsam umspielt. Ich lächle in den Kuss hinein und würde am liebsten nie wieder damit aufhören. Zu sehr plagt mich die Angst, dass das unser erster und gleichzeitig letzter Kuss bleibt, weil es ihm nicht gefällt oder er diese Situation doch noch einmal überdenkt. Kurz entfernen wir uns voneinander, um Luft zu holen, doch auch er scheint nicht genug davon zu bekommen, denn er zieht mich noch näher zu sich und vereint uns wieder.

Einige Zeit später ruht sein Kopf völlig außer Atem auf meiner Brust, die sich schnell auf und ab bewegt. Ich schließe meine Arme eng um seinen Körper und will ihn nie wieder loslassen. Wir haben kein Wort gesprochen, denn die Situation ist gerade perfekt so, wie sie ist. Unser Kuss hat gesprochen. Vielleicht habe ich mich immer in ihm getäuscht und es ging ihm gleich wie mir. Oder er ist immer noch betrunken und hat im Affekt gehandelt. Aber auch das wäre mir egal. Ich habe die Berührungen bekommen, die ich mir so lange gewünscht habe. Und dabei ist mir bewusst geworden, wie sehr ich ihn eigentlich mag; dass ich ihn liebe.

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weihnachtsträumerinWhere stories live. Discover now