● die künstler ●

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Ich lächle meine Freunde warmherzig an und warte gespannt auf ihre neuen Werke. Wie jeden zweiten Adventsonntag des Jahres schließen wir uns alle zusammen. Viele meiner Freunde sind Musiker. Einige schreiben Gedichte. Meine beste Freundin ist Malerin und ihr Cousin auf dem besten Weg, Schauspieler zu werden. Miriam, ein Mädchen, das ich nur flüchtig kenne, hat ein Faible für so gut wie alle Pflanzen, die es auf dieser Erde geben mag. Mein Bruder sammelt Kristalle und besondere Steine, die er aus seinen Reisen mitbringt und allen aufgeregt zeigt. Ich singe für mein Leben gern. Ich spiele verschiedene Instrumente. Ich schreibe meine Texte mit purer Leidenschaft. Wir sind Künstler. Jeder von uns ist ein wahrer Künstler. Wir wollen uns nicht aus den Augen verlieren. Wir treffen uns deshalb einmal jährlich um uns zu unterhalten, Filme anzusehen. Und wir zeigen uns unsere liebsten Werke und Funde des Jahres. Ich liebe die magentafarbene Orchidee des Mädchens und den lila-blauen Ozean meiner besten Freundin, der sich auf einer riesigen Leinwand ausbreitet. Ich lausche neugierig unzähligen melancholischen, fantasiereichen, stimmungsvollen Gedichten und verspüre ein Gefühl der liebenden Nostalgie. Denke an all die Jahre zuvor, an denen dieses wunderbare Treffen stattfand. Ein Treffen unter Freunden und Bekannten im Winter. Ein Treffen unter Künstlern am zweiten Adventsonntag. Eine Person fehlt, doch ich möchte mich nicht unnötig davon ablenken lassen. Horche überrascht einem poetry slam und lache über Henriks Interpretation der Bohnenranke in Hans und die Bohnenranke. Ich bewundere meine Freunde und deren Freunde. Bewundere ihren Mut und die Leidenschaft zu ihren Interessen. Bewundere wie Egon allerlei runde und eckige, schimmernde und glitzernde Steichnen aus einem kleinen Samtsäckchen holt und uns zu jedem Exemplar seine eigene kleine Geschichte erzählt. Er erzählt vom Vulkanstein aus Neapel und vom Rosenquarz aus Namibia. Alle sind gespannt, als ich mich auf einen kleinen Hocker setze und damit beginne, mein Instrument zu stimmen. Behutsam fahre ich über die verschiedenen Seiten meiner Gitarre und lasse leise Töne erklingen. Ich begegne lächelnden und stolzen Gesichtern, den tränenden Augen meines Bruders und letztendlich einem lauten Klatschen der um die zwanzig Personen in meiner Wohnung. Ich halte mir meine Hände vors Gesicht; kann mit Komplimenten nicht umgehen. Ich sage, dass mir ihre Reaktion viel bedeutet. Meine beste Freundin umarmt mich, Egon zwinkert mir zu. Ich bin glücklich. Ich bin zufrieden. Und ich liebe diesen Tag. Ich liebe den zweiten Adventsonntag. Es klingelt. Überrascht richte ich mich auf und laufe auf die Wohnungtür zu, lasse das Gelächter der Künstler und Künsterinnen hinter mir. Die Tür steht nun offen. Und ich bin wie gelähmt. Versteinert in meinem eigenen Körper, ich gehe unter in einem mich verschlingenden Gewässer der Sehnsucht und kann meinen Augen nicht trauen. Du hast mich verlassen. Vor etwa einem Jahr hast du mich verlassen. Ich drehe mich um und schließe die Tür, muss mich kurz zusammenreisen. Egon kommt zu mir und mustert mich verwirrt von oben bis unten. ,,Mir geht es gut", sage ich und somit verschwindet er wieder. Er weiß genau, wenn ich alleine sein möchte. Vorsichtig öffne ich die Tür erneut und du stehst immer noch da. So wie zuvor, doch dieses Mal ist etwas anders. Du lächelst. Ich lächle. Ich verstehe es immer noch nicht. Verstehe nicht was du hier machst und ob ich mich freuen sollte, aber du lächelst. Mir scheint das Unverständnis ins Gesicht geschrieben zu sein, denn du versuchst mich aufzuklären. ,,Es ist der zweite Adventsonntag", sagst du. Jetzt lächle ich noch strahlender. Ich kann es noch immer nicht glauben. Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen. Der Gedanke, dass du wieder gehst und dich wieder erst in einem Jahr hier blicken lässt, trifft mich hart. Du scheinst zu bemerken, dass sich meine Freude in Traurigkeit umwandelt und ziehst mich in eine enge Umarmung. Du riechst wie damals; nach bittersüßem Karamell und frisch gebackenen Zimtplätzchen. ,,Ich werde dich nicht wieder verlassen, Kleines", sagst du, ,,Ich werde dich nie wieder verlassen. Ich hab dich vermisst und das will ich nicht mehr müssen. Ich will dich nicht mehr vermissen müssen. Wenn du mich nicht hierhaben willst, gehe ich. Aber ich bin bereit zu bleiben." Du entfernst dich leicht von mir. Ich muss mich jetzt zusammenreisen. Du hast mich damals verletzt und ich weiß nicht, ob ich dir wieder vertrauen sollte. Mein Kopf weiß es nicht. Mein Herz hat seine Entscheidung schon längst getroffen. Ich ziehe dich wieder zu mir. Möchte dich am liebsten nie wieder loslassen. ,,Du bist wirklich da", wispere ich den Tränen nahe, ,,Willst du reinkommen?" Du nickst und trittst in meine Wohnung ein. Langsam verschränkst du meine Finger mit deinen und wir bewegen uns gemeinsam zu den anderen. Wir bewegen uns wieder gemeinsam. Nicht mehr alleine. Nicht mehr einsam. Gemeinsam. Egons Augen weiten sich verblüfft. Meine beste Freundin schmunzelt glücklich in meine Richtung. ,,Wer ist das?" Höre ich aus vielen Richtungen. ,,Ein Künstler", antworte ich. Du bist ein Künstler. Erschufst die Liebe zwischen uns, begrubst sie unter einem riesigen, erdigen Stein. Erwecktest sie wieder zum Leben. Erwecktest sie zum Leben am zweiten Adventsonntag und versprachst, sie nicht wieder einsam verweilen zu lassen.

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weihnachtsträumerinWhere stories live. Discover now