𝘼 | Heilung der Vergangenheit

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Noch nie hatte Arthur die Sonne so geschätzt wie an diesem Tag. Als die Schwärze der Teleportation sich lichtete, hätte er am liebsten den Boden abgeknutscht.
Steine und verdorrte Gräser traktierten seinen Rücken und die Sonne wühlte in seinen tauben Knochen. Die warme, staubige Luft war so gegensätzlich zu der des Himalayas, dass Arthur sich erst einmal daran erinnern musste, wie man atmete. Er verrenkte seine steifen Glieder und richtete sich auf.
Nell seufzte und pustete Schmutz von ihren Brillengläsern, der aufgequollen war, als der Zauber sie hier abgeliefert hatte. Sie streifte ihre zerfledderte Bluse ab, unter der Nell ein Top trug, das haufenweise Geister mit Glubschaugen abbildete. Tapfer verband sie mit den Ärmeln der Bluse ihre Arme, die von Schrammen gezeichnet waren, und stemmte diese aufbruchbereit in ihre Hüfte.

,,Elfen sind ziemlich kälte- und hitzeresistent, aber der Himalaya im Kleid war echt nicht zuzumuten", sagte Victoria blasiert und lächelte Gwen an. Deren prächtige Lehenga war leider hinüber, ihr ausladender Rock sah aus wie ein gerupfter Pfau und den Schmuck hatte sie verloren. Sie half Estelle, auf Samiel zu klettern. Wegen ihrer Fleischwunde konnte diese schlecht laufen.
Maris, der sich aufgrund seiner Verletzungen ebenfalls auf dem Phönix geparkt hatte, schirmte mit der Hand seine Stirn ab. ,,Das wird angenehm für uns Vampire".
,,Ist Hautkrebs besser, als zu erfrieren?", frotzelte Estelle von hinten.
,,Ich werde es für euch testen".
Sie waren auf einem kargen Abhang gelandet. Rechts und links flankierten Berge die Böschung, deren Kronen von Schotter und niedrigen Büschen getüpfelt waren. Ein grüner Olivenbaumhain führte ins Tal und zu einer schmalen Straße, doch Autos, Menschen oder ein Dorf gab es nicht, so weit die Sicht reichte. Der Himmel war blau und wolkenlos wie in einem Bilderbuch und wachte über die Hügellandschaft.

,,Keine Feuerphönixe", sagte Arthur. Bei ihrem letzten Besuch auf Kreta waren die Vögel im Feuergewand unter der Sonne entlang gesegelt und hatten geprüft, ob alles beim Rechten war, doch der Himmel heute war wie ausgestorben.
,,Wahrscheinlich sind sie zu den Kriegsvorbereitungen eingezogen worden", sagte Moore und wollte sich an den Zylinder tippen, bis er merkte, dass er keinen mehr hatte.
,,Warum konnte uns der Zauber nicht direkt zur Läuterhöhle bringen?", erkundigte sich Arthur.
,,Das war die maximale Entfernung, die er schaffen kann", antwortete Estelle. ,,Uns ein drittes Mal zu teleportieren, würde mich zu viel Energie kosten. Es dürfte aber nicht mehr weit sein, also werden wir auf den Marsch wechseln, meine Lieben".
,,Und wohin geht es zur Läuterhöhle?", fragte er.

Wenn jemand ihnen etwas über das Artefakt verraten konnte, dann der ehemalige Basispunkt des Widerstands. Es war vielleicht ihre einzige Chance.

,,Das bekommen wir schnell heraus", sagte Victoria, die Jeffrey auf seinem Stammplatz, ihrer Schulter, streichelte. Sie und Gwen schlossen die Augen und bewegten ihre Hände, als würden sie stricken oder häkeln.
Ihre Lider flatterten gespenstisch, und als sie sie wieder aufschlugen, flog ein winziger Vogel herbei und landete vor Gwen. Er war sehr niedlich, hatte einen bräunlichen Rumpf, einen weißen Bauch und schlanke Stelzenbeine. Ein schwarzer Strich ging von seinem Schnabel, über dem neugierige Murmeln funkelten, in das Gefieder ab.
,,Ein Seeregenpfeifer!", rief Victoria stolz. ,,Die brüten an Küsten. Er weiß, wo die Läuterhöhle ist".
Er hüpfte auf Gwens ausgestrecktes Handgelenk, dirigierte ihr etwas und erhob sich daraufhin in die Luft. ,,Wir müssen den Olivenhain runter und den Berg dort hinauf", gebärdete Gwen.
,,Worauf warten wir?", sagte Maris.

Der Regenpfeifer flatterte voraus. Geröll knirschte unter Arthurs Sneakern, Zikaden zirpten lauthals und die Olivenbäume spendeten Schatten. Ein Netz aus Wasserrohren mit Tropftechnik verlief in dem Hain. Samiel war geflogen und wartete mit seinen Passagieren bereits an der Straße, weil der Phönix die Plantage umgemäht hätte bei dem Versuch, sich da durch zu zwängen. Gutherzig, tollpatschig und treu, und obendrein Arthurs Halbbruder. Wie ähnlich sie sich waren. Arthur konnte es immer noch nicht fassen, dabei war es von dem Massaker am Widerstand bis hin zu Lumis tickenden Zeitbomben der Teil der Wahrheit, welcher die geringsten negativen Konsequenzen hatte. Ihr Vater war ein Mann mit zwei Namen gewesen und Arthur und Samiel seine Erben.

HIMMELSPFORTENWhere stories live. Discover now