𝙑 | Vampirische Marshmallows

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,,Und warum hat mir das niemand gesagt?", echauffierte sich Arthur. Victoria hatte seine verpeilte Art vermisst und den Rhythmus, in dem seine Sommersprossen beim Sprechen über seine Wangen hüpften. Jemand, der sich aufregte und dabei trotzdem kaum sauer wirkte, das war definitiv Arthur. Am liebsten wäre sie ihm erneut um den Hals gefallen. Es war eine unbeschreibliche Erleichterung, dass sie wieder vereint waren, auch wenn die Nachricht des getöteten Ghuls ihren pazifistischen Kern hart getroffen hatte. Arthur prahlte nicht damit und sie kannte ihn- es war Notwehr gewesen, gegen den Ghul, als auch gegen den Hexenmeister und seine schmutzigen Tricks. Der Drahtzieher, gegen den sie leider nichts hatten ausrichten können.

Das Schuppenkleid unter ihren Haaren schenkte Victoria ebenfalls Geborgenheit. Jeffrey war kalt und antriebslos gewesen, als Arthur ihn ihr gebracht hatte, aber es hätte schlimmer sein können. Er war gut mit dem Chamäleon umgegangen und nun tankte es Kraft und Wärme. Bei Victoria war Jeffrey immer warm, weshalb sie ihm kein Terrarium kaufen musste. Woran das lag, konnte sie nicht ergründen, aber es machte ihre Freundschaft um einiges leichter. Das Chamäleon hatte sich Vorwürfe dafür gemacht, dass es abgesprungen war, als der Boden Victoria verschluckte. Doch sie versprach ihm, dass er sich deswegen nicht zu ärgern brauchte. Hätte sich Jeffrey bei ihr gehalten, wäre er vielleicht von Victoria zerquetscht worden. Das wäre ein furchtbares Ende dafür gewesen, dass sie es über die Jahre perfektioniert hatte, Jeffrey unbeschädigt unter ihren Klamotten, Haaren oder Taschen überallhin zu schleppen.

„Ich habe auch erst erfahren, dass dieses Mädchen eine unserer Informantinnen ist, als sie weg war", sagte Moore. „Es gibt nicht viele Seher in der Menschenwelt".
Victoria hatte selbst wenig mit dem Mädchen gesprochen, das war von Maris übernommen worden. Beide hatten sich aber zig kreative Verwünschungen für den Ghul anhören dürfen.

„Sie posaunt das nicht so heraus", sagte Maris, der durch sein verschmiertes Make-up und die zerstörten Fishnets wie jemand aussah, der auf dem Schulhof Taschenmesser an Fünftklässler vertickte. Das Labyrinth hatte nicht das Erbarmen gehabt, einen Spiegel bereitzustellen.
„Schauen wir auf das Positive: Du konntest gleich einen Treffpunkt ausmachen", sagte Moore, dessen Geschichte aus dem Labyrinth Victoria am erzählenswertesten fand. Der Mentor hatte versucht, Arthur mit der Magie seines Rings zu beschützen und war dafür vom Ghul aus dem Keller geschleudert worden. Dort war er gegen eine Wand geknallt und bewusstlos gewesen, aber er hatte keine Knochenbrüche. Vampire waren resilient.

Victoria hatte auch darin Erfahrung gesammelt, umhergeworfen zu werden. Als Arthur das Schwert heraufbeschwor, suchte ein Erdbeben das Gemäuer heim und Victoria war überzeugt gewesen, im nächsten Moment unter Millionen Tonnen Schutt begraben zu werden. Stattdessen wachte sie mit Maris in tiefster Nacht in einem dornigen Strauch fernab des Apartments auf. Als Preis für ihren glorreichen Sieg mussten sie sich im Dunkeln zu einer von der Seherin koordinierten Sammelstelle durchschlagen, bereits fix und fertig vom Kampf gegen den Ghul und dem Herumirren in der Kammer. Auf dem Weg hatten sie Moore aufgelesen, der ziemlich wirre Sachen geschwurbelt hatte, bis er wieder geistig bei ihnen gewesen war und laufen konnte.

Nach einer langen Diskussion mit ihren Leuten in Runental hatten sie sich darauf geeinigt, die Mission auf Kreta noch einen Tag fortzuführen: Unter den Bedingungen, dass sie sich auf offenen Straßen hielten, wo die Feuerphönixe sie gut im Blick hatten, und dass sie sich ein Apartment am anderen Ende der Insel suchten, in dem ausschließlich vertrauenswürdige Vermieter zugange waren. Victoria hatte fest damit gerechnet, dass sie nach diesem Vorfall sofort von der Insel abgezogen wurden. Aber Mevoron und Mykai sagten, dass ihnen für solche Umstände andere Anweisungen gegeben worden waren. Sie beschlich das Gefühl, dass die obersten Pläneschmieder hinter ihren Aufträgen sehr risikobereit waren. Aber Victoria hatte kein Mitspracherecht bei der Entscheidung, ob sie trotz der Gefahr weiter für ihre Zwecke arbeiten sollte. Natürlich hatte sie das nicht.

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