Kapitel 16

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Am nächsten Tag, als ich in das Klassenzimmer ging, fand ich Niki mal wieder mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen auf dem Stuhl hängen. Auch seine Kopfhörer durfte er natürlich nicht vergessen. War aber auch ein Grund, weshalb er meine Begrüßung nicht wahrnahm. 

Ich machte mir einfach nichts draus und begab mich auf den Platz daneben. War ja nicht das erste Mal, dass er nicht ansprechbar war. Trotzdem würde ich ihn nachher nochmal wegen des gestrigen Geschehens fragen.

Gerade als ich meine Sachen ausgepackt und Niki doch lieber aufwecken wollte, kam auch schon die  Lehrerin herein. Schnell tippte ich meinen Nachbar an, doch er rührte sich nicht, und wollte ich ihn wachrütteln, da fing unsere Lehrerin schon an zu reden. Ich konnte noch seine Kopfhörerkabel ergreifen und die Stöpsel rausziehen. Verwirrt und erschrocken zugleich öffnete er seine Augen und blickte mich erstmal empört an.

Doch unsere Lehrerin hatte das alles natürlich mitbekommen und ich konnte ihr wütendes Gesicht schon erkennen. Man, Niki musste echt mal überlegen, ob es wirklich so schlau war mit Musik vor dem Unterricht einzuschlafen.

"Nishimura Riki!", rief sie ihm in einem festen Ton zu. Er blickte sie verunsichert an. "Ja?" "Hast du nicht etwas zu sagen?" "Ehm...Entschuldigung?" "Ich nehme also mal an, dass du das gar nicht ernst meinst?" "Doch..." "Dann stell es doch nicht in Frage.", sagte sie und blickte ihn ernst an. "Komm bitte mal nach dem Unterricht zu mir. Reicht ja wenn sich andere Lehrer auch schon über dich beschweren." Sie versuchte sich wieder etwas zu beruhigen und begrüßte uns, bevor wir uns alle wieder hinsaßen. 

Besorgt warf ich einen Blick zu Niki. Er schluckte schwer und ich konnte seine Anspannung deutlich erkennen. Er tat mir echt leid und ich wollte gar nicht wissen, wie es sich anfühlte vor der ganzen Klasse so angeschrien zu werden. Hoffentlich würde Jungwon bald mit ihm reden, denn ich wusste nicht wie und außerdem kannten die beiden sich auch schon besser.

Ich wendete meinen Blick wieder nach vorne und bemerkte plötzlich einen Jungen neben meiner Lehrerin stehen. Was alles nur geschah, wenn man nur einmal nicht aufpasste.

"So, Leute! Wie ich ja schon berichtet hatte, bekommen wir einen neuen Mitschüler. Ich bitte euch also ihn gut aufzunehmen und nett zu ihm zu sein. Willst du dich nicht mal vorstellen?" Der Junge räusperte sich. "Ja...ehm...ich bin Luke. Bin eigentlich so alt wie die meisten hier. Mein Vater ist kommt von hier und meine Mutter ist Amerikanerin.", berichtet er kurz und knapp. "Dankeschön, Luke! Du kannst dich gleich hier vorne am Rand setzen.", meinte die Lehrerin und deutete auf den Fensterplatz in der vordersten Reihe. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich dort hin. 

Ich war irgendwie zu neugierig. Ich hatte ja gar nicht mitbekommen, dass wir einen neuen bekommen würde...Da hatte ich wohl mal eine weiteres Stunde verpasst.

Ich hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet. Dunkles, volles Haar hatte er. Er besaß ebenfalls dunkle Augen, bei denen man nicht sagen könnte, ob die mehr vom Amerikanischen oder vom Asiatischen Blut kamen. Er trug eine schwarze Lederjacke über einen dunklen Hoodie und eine ebenfalls schwarze Jeans. Er kam mir irgendwie ein wenig wie ein uninteressierter Mensch rüber. Jemand dem die Meinung anderer egal und seine am wichtigsten war. Der einfach auf alles keine Lust hatte und nur nach seiner Nase ging. Und hatte jemand ein Problem damit, dann gab es Stress. Sein Blick sagte all diese Dinge aus, so kühl und finster er durch die Gegend geschaut hatte. Auch jetzt auf seinem Platz hängte er nur halb drauf, mit überschlengelten Armen und den Blick auf den Tisch gerichtet. 

Kurz schaute ich ihn an, aber dann wendet ich mich wieder zur Lehrerin und versuchte mich dem Unterricht zu widmen. 


~


Nach der Schule ging ich mit Niki Richtung Ausgang, wie normalerweise jeden Tag. Den ganzen Tag über hatte ich mich nicht getraut nachzufragen, was die Lehrer gestern und heute zu ihm gesagt hatten. Er sah einfach viel zu trübselig und wütend zugleich aus, dass ich auch nicht sicher war, ob er jetzt wirklich darüber reden wollte.

Von weitem konnte ich jemanden viel zu Bekannten auf der Bank entdecken. Mit geweiteten Augen schaute ich ihn überrascht an. Er hatte uns ebenfalls bemerkt, stand auf und kam uns mit seinen deutlich erkennbaren Grübchen entgegen. 

"Jungwon, was machst du denn wieder hier?", fragte ich ihn. "Daran wirst du dich jetzt wohl gewöhnen müssen.", meinte er, doch ich blickte ihn nur irritiert an. 

"Na, dann...ich muss dann auch. Viel Spaß euch beiden!", brummte Niki nur vor sich hin und wollte gehen, doch Jungwon hielt ihn noch kurz auf. "Hey, Niki! Hast du vielleicht Lust heute Abend zum Bowlen zu fahren?" Der Jüngere zuckte betrübt mit den Schultern. "Keine Ahnung!" "Ich und Jake holen dich nachher einfach ab, okay?" Nun hellte Nikis Blick doch etwas auf. "Etwa mit seinem neuen Auto?" Jungwon nickte grinsend als Antwort. "Aufkeinenfall fährt ihr ohne mich!" "Na, klar doch! Dann bis nachher!", lachte Jungwon und ließ seinen Freund gehen. Ich schmunzelte beruhigt. Endlich mal etwas Schönes für Niki in dieser Woche. 

"Wollen wir?", fragte Jungwon. Ich nickte. "Hast du dich etwa wieder mit Jake verabredet?" "Wer hat das denn gesagt?" Ich zuckte mit den Achseln. "Ich dachte nur, weil du und Jake später mit Niki wegfahren wolltet." "Ja, wie gesagt, später.", behauptete er und ging ohne weitere Worte raus aus der Schule. Ich folgte ihm schnell und fragte einfach nicht weiter. Seine Antworten verwirrten mich einfach nur noch viel mehr. 

"Ist eigentlich etwas mit Niki heute wieder passiert? Oder war das gestern einfach viel zu heftig?", wollte er wissen. "Naja...er hatte sich eine Predigt von unsere Lehrerin über ihn anhören müssen und das noch vor der ganzen Klasse." "Oh, man...Niki!", meinte Jungwon mitleidig und seufzte. Kurzes Schweigen trat ein. Die frische Luft lies die Bäume in einem weichen Ton rauschen und die ersten Blätter flogen auf den Boden herum. Ich steckte meine Händen tief in meine Jackentaschen und versuchte die unangenehme Gänsehaut zu ignorieren.

"Und, wie war für dich so der Tag?", fragte er. "Ehm...ganz normal eigentlich! Obwohl, wir haben heute einen Neuen in unsere Klasse bekommen. Luke heißt er und ist irgendwie halb Amerikaner und halb Asiate. Irgendwie sowas...", meinte ich. "Aha! Wie ist er denn so?" "Keine Ahnung, ich kenne ihn ja nicht wirklich." Jungwon nickte nur, irgendetwas an seinem Gesichtsausdruck verriet mir allerdings, dass etwas nicht stimmte. Ich fragte jedoch nicht und ging einfach weiter neben ihm her.

Scars // Enhypen Jungwon FFWhere stories live. Discover now