Kapitel 3

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Unmotiviert trottete ich nach einiger Zeit die Treppe herunter. Im Zimmer verschollen brauchte ich ja auch nicht mein ganzes Leben lang.

Ich konnte Stimmen von irgendwoher wahrnehmen. Meiner Vermutung nach waren es die der Hia und noch einer weiteren Frau.

Leise tapste ich den Stimmen hinterher. Die Tür war sperrweit offen und ich konnte tatsächlich Hia auf einen Sessel sitzen sehen, während sie sich zu jemanden wendete und ihr aufmerksam zuhörte. Ihr Gegenüber konnte ich leider nicht erkenne, dafür war wohl das andere Sofa zu weit im Raum.

Ich überlegte kurz, ob ich mich doch wieder zurück in mein Zimmer schleichen sollte, aber da war es schon zu spät. Hia hatte mich bemerkt und lächelte mich erfreut an. "Ally, guten Morgen! Komm doch herein, mein Kind.", grüßte sie mich und stand auf. Sie streckte mir einen Arm aus, als Zeichen dass ich dazu kommen durfte. Ich ging dem zögerlich nach und stellte mich neben ihr.

Ich konnte sehen, dass die Frau nicht alleine gekommen war, denn neben ihr saß ein Junge, vielleicht etwas älter als ich. Seine Haare waren in einem dunklen Ton und überrascht schaute er mich lächelnd an. Ich konnte jedoch keine Reaktion geben. Wofür denn auch? Dass ich jemanden sah, den ich nicht einmal kannte...

"Ally, das ist Frau Sim und ihr Sohn Jaeyun. Sie sind unsere Nachbarn, direkt gegenüber von uns, also wirst du sie wahrscheinlich noch öfters treffen." Noch immer blickte ich die Gäste emotionslos an. Was machte man denn, wenn Besuch da war?

"Freut mich dich kennenzulernen, Ally! Nenn mich ruhig Silvia und lass ruhig das höfliche Gerede.", sagte die Frau und stellte sich ebenfalls höflich hin. Schien so, als wäre sie genauso wie ich verunsichert, doch trotzdem strahlte sie mich so herzlich an. Ich nickte jedoch nur stumm.

Dann entdeckte ich die Kekse, die auf dem Tisch gestellt waren und merkte wie dolle Hunger ich plötzlich hatte.

Hia hatte mein Blickfeld wohl bemerkt. Sie nahm den Teller mit den Keksen und reichte ihn mir. "Nimm dir ruhig was du möchtest. Ich kann dir auch noch ein Glas Milch bringen, wenn du das möchtest."

Ich hörte schon gar nicht mehr was sie sagte. Schnell schnappte ich mir den Teller und ging ohne ein weiteres Wort wieder hoch in mein Zimmer, bevor mir die Kekse nicht doch noch weggenommen und verboten wurden.

In meinem Zimmer war ich auch wenigstens für mich alleine und musste nicht den starrenden Blick dieses Jaeyuns ertragen. Alle waren so lieb und lächelten mich oft an, aber ich hatte schon ganz vergessen, was es bedeutete zu lächeln.


~


Tatsächlich traf ich immer wieder öfters auf Silvia und Jaeyun. Ich konnte beobachten, wie der Junge im Garten zusammen mit Hia arbeitete oder hörte, wie diese mit der Nachbarin redete. Es war fast schon so, als würde dieses Haus den anderen ebenfalls gehören.

Es gab mir allerdings auch das ungewohnte Gefühl, dass ich hier ganz sicher war. Nie zwang Hia mich zu irgendetwas oder schimpfte mit mir. Auch sagte sie nichts dazu, wenn ich im Zimmer die meiste Zeit war und kaum zum Vorschein kam, um mich nützlich zu machen, so wie ich es vom Heim her kannte. Wenn ich mal riechen konnte, wie Hia was leckeres zubereitete, holte sie mich immer runter zu essen. Und wenn ich dann mit meinem Teller doch lieber nach oben ging, lies sie mich auch.

Ich hatte irgendwie das Gefühl, dass ich am richtigen Platz war und das gab mir Sicherheit.

Ich saß gerade im Zimmer und las ein Buch, welches ich im Schrank gefunden hatte, da klopfte es an der Tür. Als ich allerdings nicht Hia, sondern Jaeyun vor der Tür mit einem runden Ball stehen sah, erschrak ich und rappelte mich schnell auf.

"Keine Sorge, ich tue dir nichts! Ich wollte nur fragen, ob du vielleicht auch mitkommen möchtest. Meine Freunde und ich wollten gerade zum Sportplatz und Volleyball spielen.", meinte er. Ich schaute ihn nur emotionslos an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Er gab nur ein Lächeln und gab zu verstehen: "Ist in Ordnung, vielleicht willst du ja ein anderes Mal mit."

Er wollte gerade gehen, doch da drehte er sich nochmal um. "Übrigens, nenn mich einfach Jake. Ich weiß, meine Mutter hatte mich als Jaeyun vorgestellt, aber meine Freunde nennen mich immer Jake.", meinte er und verschwand dann auch schon mit einem freundlichen Lächeln die Treppe hinunter.

"Jake? Freunde?", murmelte ich leise. Das Gefühl ein Freund zu haben, hatte ich schon ganz vergessen, aber jetzt wo er es gesagt hatte, kam plötzlich ein irgendwie erfreutes Gefühl dabei hoch. Doch so schnell Jake auch verschwunden war, so schnell auch das Gefühl und meine Emotionen sanken wieder auf Null.

Seufzend lies ich mich wieder zurück auf das Bett fallen. Könnte ich doch auch nur so glücklich und frei rumlaufen, wie alle anderen hier...

Scars // Enhypen Jungwon FFWhere stories live. Discover now