Kapitel 2

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"So, da sind wir in der guten Stube.", meinte Hia und stieg aus dem Auto. Ich tat es ihr nach und warf dann ein Blick auf das Haus, vor dem wir nun standen. Es war ziemlich groß und ich kam mir schon fast so vor, als wenn ich vor dem Haus einer Prinzessin stand. Allerdings konnte ich keine Freude oder gar Staunen empfinden. Ich wusste ja nicht einmal, welche Farben das Haus besaß. Ich blickte einfach emotionslos draufrein und fragte mich, ob das alles wirklich was brachte. 

Ich schmiss mein Rucksack über die Schulter und schlenderte Hia hinterher, die mein Koffer genommen hatte und bereits schon an der Haustür stand und die Tür öffnete. 

Sie wartete, bis ich sie ebenfalls erreicht hatte und lies mich als erstes eintreten. "Fühl dich einfach wie zu Hause, denn das ist ab jetzt auch dein zu Hause.", sagte Hia und lächelte mich herzlich an, doch wieder gab ich keine Reaktion.

"Ich zeig dir erstmal dein Zimmer." Hia ging die Treppen hinauf, ich zögernd hinterher. Viele Türen waren in dieser Etage zu sehen, die wahrscheinlich alle zu irgendwelchen Zimmern führten. Eine davon öffnete Hia und bat mich einzutreten. Ich nahm es an und ging hinein. Es war nicht das Größte, aber hier war es allemal besser, als mit acht kreischenden Mädchen in einem verdreckten Zimmer zu schlafen, die alle nur darauf hofften bei irgendjemanden aufgenommen zu werden.

"Es ist bisher nur etwas schlicht, doch wir können dir auch was kaufen und dann kannst du es dir so einrichten, wie du es gerne hast.", entgegnete Hia. Ich schaute mich weiter im Zimmer um und ging Gedankenverloren herum. "Naja, leb dich erstmal in Ruhe ein. Ich lass dich jetzt auch mal alleine. Wenn du Hunger bekommst oder irgendwie Fragen hast, dann darfst du gerne zu mir kommen. Ich bin eigentlich immer unten." Ich nickte nur ohne sie auch nur anzuschauen und kurz darauf verschwand sie auch schon. Die Tür lies sie allerdings offen, was ich auch gut so fand. Dann brauchte ich nicht das Gefühl zu haben eingesperrt zu sein. 

Ich warf kurz ein Blick nach draußen. Von meinem Fenster aus konnte ich weit weg Berge mit Wäldern und Feldern sehen. Nicht genau, durch die graue Farbe, doch ich man konnte es noch gerade so erkennen. Unten war die Straße der Siedlung sichtbar, wenn man das überhaupt eine Siedlung nennen konnte, denn das einzige Haus, welches ich bisher erblickt hatte, war das schräg gegenüber von uns. Sonst waren hier nur hölzerne Schuppen, Bäume und hinter den Bäumen eine Koppel. Anscheinend würde es hier auch ab und zu mal Tiere geben, die abgesetzt würden. 

Ich seufzte und merkte, wie müde ich war. Also drehte ich mich um und lies mich auf das weiche, große Bett fallen. Mein ganzer Körper entspannte sich aufeinmal, denn so ein Bett hatte ich seit Jahren nicht mehr unter mir gehabt, oder sogar noch nie. Vielleicht hatte ich es auch einfach vergessen, wie ich mich an so vieles von früher nicht mehr erinnerte. An die Zeit, wo alles noch schön zu sein schien.


~


Am nächsten Morgen wachte ich von dem grellen Licht aus dem Fenster auf. Ich hatte wohl vergessen den Vorhang zu schließen. Im Waisenhaus hatten es nun eben immer das Kindermädchen alles für uns gemacht. Sie dachten dort wohl auch alle, wir wären zu unfähig für alles.

Nach ein paar Minuten stand auf. Ich musste jede Tür der Etage aufschließen, um auch das Bad zu finden. Das Haus schien ja ganz gemütlich zu sein, doch wurde mir nicht gezeigt, wo alles war. Naja, sie meinte ja ich solle mich wie zu Hause fühlen. 

Ich ging auf's Klo und wusch mir daraufhin das Gesicht. Als ich aufblickte und mich und die tiefen Narben sah, seufzte ich. Die paar kleinen auf der Wange waren jetzt nicht wirklich das größte Problem, sondern die fette, lange Narbe, die über mein linkes Auge markiert war. Wie lange das wohl her war, seit ich mein wahres Gesicht gesehen hatte. Wie würde ich denn überhaupt ohne aussehen? Wäre ich ein hübsches Mädchen gewesen?

Zum ersten Mal seit langem, floss eine dicke Träne über meine Wange. Ich fühlte mich plötzlich so hässlich wie noch nie und fragte mich, wie ich so vor anderen Menschen treten konnte. 

Zitternd und schwach sank ich auf den Boden. Tränen strömten die Wange hinunter und durchnässten meinen Hoodie. Ich war wütend und traurig zugleich. Ich verstand nicht, wieso es unbedingt mir passieren musste...war es etwa meine Bestimmung so rumzulaufen, auf ewig einsam, ohne Freunde oder irgendeine andere Person, als meine Pflegemutter? Sie war die Einzige, die mich bisher nicht mit diesen mitleidigen oder doch angeekelten Blick musterte, meine Narben anschaute. Und doch verstand ich nicht, warum ich noch hier war. Konnte ich nicht einfach in dieser dunklen Folterkammer, wo mich der Mann eingesperrt hatte, einfach gestorben sein. Warum musste ich nur am Leben noch sein?

Scars // Enhypen Jungwon FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt