Kapitel 5

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Ein paar Tage vergingen und in der Schule passierte genau das, was ich auch erwartet hatte. Niemand interessierte sich für mich. Eigentlich existierte ich für sie fast gar nicht. Natürlich, die ersten zwei Tage, da war ich noch ganz interessant und neugierige Blicke verfolgten mich, aber dann merkten sie wie langweilig ich ja anscheinend war und hörten auf mich zu beachten.

Dieser Niki war noch immer nicht aufgetaucht, die ganze Woche lang. Langsam glaubte ich auch mal, dass das alles nur extra war, um mir Sorgen zu bereiten. Vielleicht gab es diesen Niki ja auch gar nicht...

Doch da habe ich einfach zu schnell gedacht und gehofft, denn kaum war ich im Klassenraum angekommen und ging gerade zu meinem Platz, konnte ich zusehen, wie ganz entspannt ein Junge sich auf meinen Stuhl nach hinten fallen ließ und mit geschlossenen Augen seiner Musik lauschte.

Ich atmete tief durch. Es war also doch wahr. Na gut, da musste ich jetzt durch, denn diesen Platz wollte ich aufgarkeinenfall wechseln. Er war einfach viel zu perfekt!

"Ouhhh, jetzt wird's eng!", hörte ich hinter mir einen Jungen rufen und seine Freunde im Hintergrund lachen. Ganz heiß wurde mir plötzlich und ich wagte mich gar nicht umzudrehen. 

Um nicht noch weitere Aufmerksamkeit auf mich zu machen, setzte ich mich erstmal auf den freien Platz daneben. Ich konnte ihn ja noch immer in der Pause ansprechen. Nie und nimmer würde ich aufgeben.

Als die Lehrerin hereintrat und alle aufstanden, um sich zu begrüßen, schreckte Niki auf. Er hatte von all dem nichts mitbekommen, was meiner Meinung nach auch seine eigene Schuld war, als er dann Ärger wegen der Musik bekam.


~


In der Pause suchte ich nach Niki und fand ihn auch auf eine der Zuschauerbänke beim Basketballplatz. Hier waren zwar eine Gruppe Jungs gerade am Spielen, aber was sollte schon passieren. Ich musste mich einfach nur schnell durchmogeln, sodass sie mich nicht erkennen konnten. 

Bei Niki angekommen, setzte ich mich ein Stück weit neben ihn. Er bemerkte mich sofort und drehte sein Blick verwundert zu mir. 

"Hi!", sagte er, was ich nur überrascht erwiderte. "Hi..." "Bist du nicht die Neue?", kam er direkt. Ich war erstaunt, dass er einfach so mit mir reden konnte. War es für ihn nicht komisch mit einer Fremden zu reden? 

Ich nickte stumm. Zu durcheinander waren meine Gedanken, dass ich nicht mehr weiter wusste. Gerade war ich doch noch so fest entschlossen mir meinen Platz zurückzunehmen, doch jetzt kam die Unsicherheit wieder zurück.

Ich wollte aufstehen und gehen, doch Niki hielt mich ab. "Hey, warte doch kurz! Vielleicht magst du ja mit mir nach der Schule mitkommen? Ich treffe mich mit ein paar Freunden zum Basketball spielen." Ich starrte ihn nur an und versuchte meine Gedanken irgendwie zu sortieren. Aber ihm störte das anscheinend nicht, denn er lächelte mich nur an und redete weiter.

"Weißt du, die Nachbarin meines Kumpels ist jetzt auch neu hierhergekommen. Vielleicht könnt ihr euch ja kennenlernen. Ihr scheint euch irgendwie ähnlich, von dem was ich gehört und gesehen habe.", meinte er. Ich wusste nicht genau, wie ich das verstehen sollte, aber etwas konnte ich wenigstens über meine Lippen bringen. "Kann schon sein!" 

Niki schaute mich mit großen Augen an. "Wow, ich dachte schon du kannst nicht reden.", meinte Niki und fasste sich erleichtert, lächelnd auf die Brust. Er war also genauso, wie alle anderen...

Es verletzte mich irgendwie, dass er mich ebenfalls so wahr genommen hatte. Na klar, ich redete auch wirklich nicht, doch wie sollte ich auch, wenn ich nichts zu berichten hatte? Ich konnte ja schlecht sagen, "Hey, übrigens, bin ich hier nur als Pflegekind, weil mein Leben einfach nur ein Haufen Müll ist". Was anderes oder aufregenderes, wie irgendwie fast jeder hier, hatte ich ja nicht zu erzählen. Zu dem wusste ich auch nicht mehr wirklich wie man mit jemandem kommunizierte, wie ich jemanden ansprach, wie ich ein Gespräch begann...

 Ich stand auf und ging ohne ein weiteres Wort. Ich konnte doch pfeifen auf die Menschen hier. Hätte ich nicht einfach als Pflanze geboren sein können? Sie ist ihr ganzes Leben einfach nur so wunderschon und perfekt, hat ein ruhiges Plätzchen und stirbt dann friedvoll. Doch in diesem Körper und mit dieser Seele, war ich alles andere als schön oder gar friedvoll.

Ich lief in die Ecke der Schule, wo ich mich die meiste Zeit aufhielt. Ich rutschte die Wand hinunter, so dass ich hockend daran lehnte. Tränen strömten über meine Wange. Ich wollte hier einfach nur weg. Wohin? Wusste ich auch nicht so richtig. Mein Leben war nichts als ein Haufen Abfall. Keine einzige Stelle war mehr voller Lebensfreude oder ähnlichem. Von vorne bis jetzt. Warum hätte dieser Mann mich nicht einfach töten können?! Aber stattdessen musste er mich mein halbes Leben lang quälen und mir alles nehmen.

Die Schulglocke ertönte, doch ich wollte nicht wieder in den Unterricht. Ich musste Hia anrufen. Sie würde mich dann abholen und ich könnte mich wieder in meinem Zimmer vergraben gehen. 

Nie wieder wollte ich in diese Schule. 


Scars // Enhypen Jungwon FFWhere stories live. Discover now