20.

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„Judy?"  Während ich noch auf mein Brötchen herum kaute, rief mich Mum zu sich.
„Nimm das bitte mit."  Seufzend nahm ich das Geld, das sie mir hin hielt an.
Auch wenn das nichts besser machen würde, wusste ich, dass sie versuchte die alte Mutter zu sein, die sie früher einmal war.
Die Mutter, die mir immer Geld für das Schulessen gegeben hatte.

„Danke." Mit einem knappen Nicken, schnappte ich mir meinen Rucksack und verließ die Küche.
Ich blickte noch einmal über meine Schulter zu ihr und sah ein trauriges Glommen in ihren Augen.
Aber ich fand, dass sie für ihre Verhältnisse schon viel besser aussah. Sie trug wieder MakeUp und sie wirkte nicht mehr so blass wie gestern, trotzdem wirkte sie noch mitgenommen. Aber das war ihre eigene Schuld.

Deshalb stieg ich ein paar Minuten später in den Bus und fuhr zur Schule.

„Taylor?"  Fragend suchte ich ihren Blick, aber als ich fast stolperte, weil sie mir um den Hals fiel, vergaß ich meinen Satz wieder.  Sie ließ mich endlich los und als ihr Blick über mein verwirrtes Gesicht huschte, kicherte sie.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich dich einmal umarmen würde", sagte sie belustigt und schüttelte sich.
„Und ich habe nie gedacht, dass du mit mir befreundet sein möchtest", murmelte ich im ernsten Tonfall.
Sie löste sich von mir, in ihren Augen lag ein verwirrter Glanz.
„Was soll das, Taylor?", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Warum willst du befreundet sein? Was sollen die ständigen Umarmungen?"
Sie schluckte, Tränen brannten in ihren Augen. Das verblüffte mich so sehr, dass ich blinzeln musste.
Taylor konnte weinen?? „Siehst du es denn nicht?", flüsterte sie erstickt.
„Ich versuche mich zu ändern!" Sie wischte sich über das Gesicht.
„Ich war jahrelang so gemein zu dir und ich habe gemerkt, dass das scheiße war. Als dein Vater mich angerufen hat, wusste ich gar nicht, was ich sagen sollte. Weil... Weil wir nie Freunde waren. Und als er sagte, dass er dich nicht finden konnte, habe ich mir Sorgen gemacht, weil ich dachte, es wäre meine Schuld, dass du weg wärst." Ihre Unterlippe begann zu beben.
„Ich leide auch, Judy", wimmerte sie leise.
„Deswegen habe ich dich gemobbt, weil ich mich selbst gehasst habe..."  Ihre Stimme bestand nur noch aus Schluchzen.
„Ich habe gemerkt, dass Mobbing viel anrichten kann." Sie schüttelte sich, in ihrem Blick lag so viel Verletzlichkeit.
„Es tut mir so leid, Judy", flüsterte sie.
„Das musst du mir glauben. Du musst es mir einfach glauben..."
Zwar fühlte es sich nicht richtig an, aber ich drückte sie trotzdem fest an mich, damit sie endlich aufhörte, sich zu entschuldigen. „Ich glaube dir", murmelte ich.
„Aber Taylor?" Sie hob ihr tränenüberströmtes Gesicht.
„Ja?" Ich atmete aus und sagte: „Ich kann dir nicht versprechen, dass wir gleich beste Freunde werden, nur weil du dich jetzt entschuldigt hast." Taylor zuckte zusammen, aber dann nickte sie schniefend. „Okay."
Für unsere Verhältnisse sind wir weit gekommen, dachte ich zufrieden und setzte noch einen Treffer für unseren Frieden dazu: „Möchtest du vielleicht heute mit zum Mittagessen kommen? Meine Mum ist wieder da und vielleicht..."
„Gerne", unterbrach mich Taylor, ihre Augen glänzten glücklich.
Vielleicht werden wir nie beste Freunde werden, aber wir hassen uns endlich nicht mehr.
Und weil ich gerade schwebte, merkte ich gar nicht, dass Adam den ganzen Tag nicht in der Schule gewesen war.

Später saß ich zusammen mit Taylor an dem kleinen Küchentisch, wo Mum uns gerade Pasta auf die Teller legte.
Als wir nach Hause gekommen waren, hatte es wunderbar nach Pasta gerochen und als ich Mum mit einer weißen Schürze, die ihr Dad geschenkt hatte, in der Küche stehen sah, war ich fast in Tränen ausgebrochen, wäre Taylor nicht neben mir gewesen.
Mein Dad sah sie mit glasigen Augen an und ich wusste, dass er mit den Tränen kämpfte. Dad weinte nie. Selbst als Mum uns verlassen hatte, war er bei mir geblieben und hatte nie seine Trauer gezeigt. Doch jetzt bemerkte ich seinen Blick und ich wusste, dass er sie immer noch liebte. Egal was sie uns angetan hatte, egal, ob sie ihn betrogen hatte. Er liebte sie und das würde immer so bleiben. Leider war unsere Familie viel zu kaputt um sie reparieren zu können. Also wünschte ich Dad vom ganzen Herzen, dass er eine andere Frau fand. Dass er die Frau fand, die ihn glücklich machte. Die gut für ihn war. Die an seiner Seite blieb. Und ich hoffte, dass Mum wusste, dass sie nicht für immer bei uns bleiben konnte. Dass sie begriff, dass kochen keine Lösung für unsere Probleme waren. Schließlich waren Dad und Ich auch so ohne sie zurecht gekommen. Klar, wir konnten beide nicht kochen, trotzdem haben wir es perfekt ohne sie geschafft.

„Wer bist du denn?", wandte sich Mum an Taylor und riss mich damit aus meinen dunkeln Gedanken.
„Taylor", antwortete Taylor, während sie sich gierig die Nudeln in den Mund stopfte.
„Die sind fantaschtisch", nuschelte sie mit vollem Mund und meine Mutter lächelte.
„Wie war es in der Schule, Schatz?", fragte sie und blickte mich jetzt an.
„Gut", murmelte ich und stopfte mir ein Nudelpaket in den Mund, damit ich nicht reden musste. Sie sollte gar nicht denken, dass ich nicht mehr sauer auf sie war. Ich war nur barmherzig gewesen, weil sie gestern ziemlich am Ende gewesen war. Aber jetzt war meine Wut wieder zurück und verstärkte sich nur noch, als ich Dad sah, der mit gesenktem Kopf zu Boden blickte.
Wir aßen schweigend, mein Vater sagte kein Wort. Ich konnte an seinen Gesichtsausdruck ablesen, dass er zu erschüttert dazu war.  Ich versuchte mich auch nicht mit Taylor zu unterhalten, denn die schien sowieso zu beschäftigt zu sein. Als meine Mutter ihr eine zweite Portion Nudeln anbot, zögerte sie kaum eine Sekunde und bevor ich blinzeln konnte, aß sie schon wieder. Meine Mutter lächelte still und ich sah den Triumph in ihren Augen aufblitzen.  Ich schluckte nur und starrte wie hypnotisiert auf meinen Teller, hoffend, dass dieses Essen endlich vorbei gehen konnte.

„Deine Mutter kann fantastisch kochen", grinste Taylor, nachdem wir gefühlt nach Stunden endlich in meinem Zimmer saßen. Ich nickte nur stumm, wollte nichts dazu beitragen. Denn meine Mutter war trotzdem noch eine Verräterin, egal, wie gut sie kochen konnte. „Hey", Taylor sah mich von der Seite aufmerksam an. Wahrscheinlich hat sie sogar meine Gedanken gelesen, so wie sie guckte. „Ich weiß, wie es ist, wenn man keine gute Mutter hat", Sie zuckte mit den Schultern, ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. „Meine Mutter hat sich umgebracht, als ich zwölf war."   Ich wurde blass. „Das tut mir unfassbar leid, Taylor..."  „Nicht doch", Taylor machte eine wegwerfende Handbewegung.  „Mir geht es viel besser ohne sie."
Ich glaubte ihr jedes Wort.  „Also verstehe ich, dass du Probleme mit deiner Mutter hast", Sie grinste und in dem Moment sah ich Taylor an und sah sie richtig. Ich habe sie noch nie vorher gesehen.  Nicht wirklich. Ich konnte nur die Bitch sehen, die ich für solange gehasst habe, aber... Jetzt sah ich sie. Ich sah sie als Taylor an und als sie mich jetzt anlächelte, stiegen mir fast Tränen in die Augen. „Es tut mir leid, dass ich dich nie richtig gesehen habe", flüsterte ich und ihre Augen blitzten schelmisch auf. „Wie? Du hast mich vorher nicht gesehen? Brauchst du eine Brille, Judy?" Ich lachte und sie lachte und es fühlte sich wunderbar befreiend an.
„Wollen wir The Vampire diares gucken?", schlug ich nach einer Weile vor und Taylor nickte begeistert.
„Lass uns die Staffel mit Klaus gucken!"

Kissing the Enemy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt