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Stille. Nur Stille. Als ich die Augen öffnete, befand ich mich auf der Straße.
Auf der Straße, wo sie gestorben war. Wo Zoe gestorben war.
Doch ich empfand keine Trauer, keinen Schmerz, der mir den Atem raubte. Nur eine innere Ruhe, die mich schwach vor Erleichterung machte. Wortlos blickte ich geradeaus und sah den Nebel.
Ich hörte ein Geräusch, das mich von der inneren Ruhe in mir losriss.
Schlagartig fuhr ich herum und sah einen schwarzen Van, der auf mich zukam.
Doch ich war immer noch ruhig. Kein Muskel in mir schrie nach Bewegung.
Keine Stimme in meinem Kopf verlangte Rettung.
Das musste Zoe sein. Sie wusste, dass das hier mein Schicksal war.
Es war nur fair, wenn ich auch starb.
Ich verdiente nicht zu leben, weil ich nichts für ihre Rettung getan habe.
Also wartete ich auf meinen Tod, denn ich wusste, dass der Van nicht stoppen würde.
Aber dann ertönte eine Stimme, die mir schmerzhaft vertraut war.
Es war Adams Stimme.
Sie flüsterte mir etwas zu ohne dass ich sie verstehen konnte.
Der Van fuhr mich um und ein entsetzlicher Schrei ertönte.
Es war meiner.


Keuchend schlug ich die Augen auf.  Mein Traum hatte so echt gewirkt, dass ich nur noch unkontrolliert zittern konnte. Hätte ich wirklich auf dieser Straße sterben sollen? Nein. Wie von selbst schüttelte ich den Kopf und versuchte mich zu beruhigen. Die Albträume wurden wieder mehr und ich wusste auch warum. Der 15. Oktober- ihr Todestag, näherte sich und wenn ich daran dachte, bekam ich eine Gänsehaut. Ich wollte nichts mit diesem Tag zutun haben, aber ich konnte ihn auch unmöglich ignorieren. Sollte ich vielleicht Blumen auf ihr Grab legen? Ich war noch nie beim Friedhof gewesen obwohl es langsam Zeit wurde. Denn welche Freundin wäre ich wenn ich sie nicht besuchen kommen würde? Doch mein Herz war egoistisch und wollte diesen traumatischen Tag nur im Bett verbringen. Wahrscheinlich würde ich den ganzen Tag weinen und mich selbst mit Schokolade füttern, weil ich es nicht anders konnte. Mein Vater hat immer gesagt, dass Schokolade die Seele heilen würde, aber ich glaubte schon lange nicht mehr dran. Die Seele wird erst heilen, wenn dein Herz von der Erinnerung befreit wird. Und in dem Fall, würde das bei mir nie passieren.

„Schätzchen?"
„Hm?"
Gedankenverloren starrte ich auf mein Müsli und blickte auf, als mein Vater mich ansprach.
Normalerweise schwieg er beim Frühstück und las die Zeitung, aber jetzt musterte er mich und sah so aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.
„Ich bin stolz auf dich."
Verwundert kniff ich die Augen zusammen, denn er sagte sowas nie zu mir, doch dann fiel mir der Kalender auf, der an der Wand hing und mir ins Gesicht strahlte. 1. Oktober.
Wie viele Monate waren vergangen?? Die Zeit raste und ich konnte mich nicht mehr erinnern.
„Ich weiß." Ich zwang mich zu einem Lächeln und schnappte mir meinen Rucksack. 
Wenn ich mich beeilte, würde ich noch den Bus bekommen.
„Bis heute Nachmittag", rief ich meinem Vater zu, der mir einmal zunickte und sich dann wieder der Zeitung widmete.
Ergriffen von neuer Energie, ließ ich die Tür hinter mir zufallen und eilte zur Bushaltestelle. Aber der Todestag von Zoe geisterte in meinem Gehirn herum.  Wütend drängte ich ihn aus meinem Gehirn.

Du kannst mich mal.



„Na,"
Adam grinste mich verführerisch an und strich sich durch die Haare.
„Sehen wir uns gleich bei den Proben?"
Seitdem Adam Steven meine Nachricht überbracht hatte und ihm einen Schlag ins Gesicht erteilte, kamen wir gut miteinander aus.
Ich wusste nicht genau, was wir jetzt waren. Freunde oder Feinde? Im Herzen blieb er immer mein Feind, aber ich konnte nicht leugnen, dass er sowas wie mein Beschützer geworden war.
Wenn Steven auftauchte, blaffte Adam ihn an und Steven verschwand wie ein kleiner, schüchterner Welpe mit eingezogenem Schwanz.
Zwar warf er mir immer kleine Blicke zu, aber die wusste ich zu ignorieren.
Da er mich emotional fertig gemacht hat und gewalttätig geworden war, würde er niemals mehr mein Freund sein.
Die Person war schon nicht mehr da und würde auch niemals zurückkommen.
Da war ich mir sicher.

Jedoch stand ein sehr attraktiver Typ vor mir und ich spürte einen Hauch von Hoffnung...

Ein Typ, mit hellblauen Augen, die so blau wie das Meer waren.
Der Typ, mit den blonden Haaren und ein Gesicht so makellos wie ein Gott.
Der Typ, der mir ein verführerisches Grinsen schenkte und damit mein Herz zum flattern brachte.
Der Typ...

Was ist falsch mit mir?!

Ich spürte, dass ich rot wurde, doch es war zu spät.
Adam konnte mich wie ein aufgeschlagenes Buch lesen und grinste breit, als wüsste er, was ich gedacht habe.
Seitdem meine Gedanken nicht mehr ganz so unschuldig sind, muss ich noch ein besseres Poker Face aufsetzen.
„Warum ist denn so ein hübscher Hauch von Verlegenheit auf deinen äußerst lieblichen Wangen zu sehen?", säuselte er und Gesichtsausdruck sagte mir, dass er das hier köstlich amüsant fand.

„Halt die Klappe", zischte ich und rammte meinen Ellenbogen in seinen.
Er grinste frech und ich zeigte ihm den Mittelfinger.
Arrogantes Arschloch.
Den Gedanke daran, gefiel mir schon viel besser.
Ich grinste siegessicher.
Adam tat so, als wäre er zutiefst verletzt.
Mit einer theatralischen Miene, sackte er zu Boden und ich schlug mit den Fäusten in die Luft, als hätte ich Boxhandschuhe.

„Judy!"  Ich wirbelte herum und entdeckte Mr. Medina, der uns missbilligend anfunkelte.
„Wenn ihr mit dem Kindergartengezanke fertig seid..."
„Wir kommen schon..." Peinlich berührt, blickte ich zu Adam, der sich jetzt auch aufrappelte.
„Entschuldige", murmelte er, doch als er zu mir blickte, loderten seine Augen voller Schalk.
„Judy und Ich... hatten was zu klären."
Entgeistert starrte ich ihn an und hustete auffällig, als Mr. Medinas Blick nun zu mir huschte.
Er hob nur hilflos die Hände.
„Kommt jetzt. Die anderen warten schon im Raum."

Als Mr. Medina uns wegführte, drehte sich Adam nochmal zu mir um und warf mir einen leidenschaftlichen Blick zu, der mir unter die Haut ging.   

Poker Face, Poker Face, Poker Faceee,...

Kissing the Enemy Where stories live. Discover now