Fast wie früher

61 1 0
                                    

Nachdem ich auch die letzten Arbeitsstunden der Woche überstanden habe, mache ich mich am Freitagnachmittag voller Vorfreude auf das Wochenende auf den Heimweg.

"Frau Master of Arts Mina Lehmann" Ben deutet eine Verbeugung an, gibt mir dann einen Kuss auf die Wange und geht dann an mir vorbei ins Wohnzimmer. Er stellt die Papiertüte, die er dabei hat auf den Tisch, wirft seine Jacke über einen Stuhl und gratuliert mir nochmal zu meinem Abschluss. Dann lässt er sich aufs Sofa fallen.

"Willst du was trinken?"

Er grinst: "Natürlich. Du kennst mich doch."

Ich nehme zwei Rotweingläser aus dem Schrank und eine Weinflasche aus dem Regal und nehme alles mit zum Sofa. Ben ist in sein Handy vertieft. Ich öffne den Wein, räume den Korken und den Korkenzieher weg und schenke zwei Gläser ein, ohne dass Ben vom Bildschirm aufschaut. Gerade, als ich mich neben ihn auf das Sofa setze, legt er das Handy mit dem Display nach unten auf den Tisch und wendet sich mir zu. "Mina, wie geht's dir? Was ging bei dir so in den letzten Wochen? Läuft noch was mit dem Arbeitskollegen? Und wie geht's Lilly?"

Ich nehme ein Weinglas vom Tisch und Ben tut es mir gleich. Wir stoßen an und trinken einen Schluck Wein, dann fange ich an, zu erzählen. Ich erzähle von den Treffen mit Marco, den neuen Erfahrungen, von meinem neuen Job und der Kündigung und von Lillys Trennung und ihrem Umgang damit. Ich gehe dabei nicht sonderlich ins Detail, sondern gebe Ben mehr einen Überblick über das, was mich in den letzten Wochen beschäftigt hat.

Als ich fertig bin, frage ich Ben, wie es ihm geht.

"Ganz gut. Bei mir waren die letzten Wochen nicht so spannend."

"Und warum hast du dich dann so rargemacht?"

"Naja, ich war, ehrlich gesagt, ziemlich mit mir selbst beschäftigt."

"Das ist ja ganz was Neues" werfe ich sarkastisch ein. "Nur mit dir, oder auch mit Claire?"

"Ist das so offensichtlich?"

"Naja, wenn du nur mit dir beschäftigt bist, hast du bisher immer trotzdem ein bisschen Zeit für mich gefunden. Da das jetzt anders ist, vermute ich eine Frau dahinter?"

"Eifersüchtig?" Ben grinst, doch seine Augen wirken müde. Er nimmt einen Schluck Wein, stellt das Glas ab und lässt sich in die Sofakissen sinken, dann erzählt er. "Claire hat mich ganz schön vereinnahmt. In jeglicher Hinsicht. Aber sie hat mir so den Kopf verdreht, dass ich das einfach so hingenommen habe und davon überzeugt war, dass das richtig und gut so ist."

"Wow, hätte ich nicht gedacht, dass eine Frau das bei dir schafft. Was ist passiert, dass du die rosarote Brille abgesetzt hast?"

"Ich habe eine Abmahnung bekommen."

"Eine Abmahnung? In der Arbeit? Wie hat sie das gemacht?"

"Das war ich schon selbst. Ich habe echt ein bisschen Scheiße gebaut."

"Ein bisschen?"

"Ich war oft krank und wenn ich nicht krank war, war ich eigentlich ständig müde und unkonzentriert. Und einmal habe ich einen Kunden, der mich genervt hat, einfach stehen lassen und bin heimgegangen."

"Wow, was war denn los mit dir? Warum hast du das gemacht? Nur, weil du zu wenig geschlafen hast?" ich ahne schon, dass das wohl nicht der wahre Grund ist.

"Der wenige Schlaf war wohl nicht das Problem, eher zu viel Speed."

Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bens Lebensstil war noch nie der gesündeste aber er hatte sich bisher immer so weit unter Kontrolle, dass es seinen Job und seine Freundschaften nicht beeinflusst hat.

MinaWhere stories live. Discover now