Das habe ich mir anders vorgestellt

150 2 0
                                    

Es ist Freitagnachmittag, ich laufe wieder durch die Vorstadt- Siedlung, sehe und höre wieder die Kinder, die in der Sommerhitze spielen und blinzle bei den Reflexionen der Sonne in den frisch gewaschenen Autos. Ich bin wieder auf dem Weg zu Marco.

Obwohl das Büro heute nicht besonders voll war, hat er gemeint, er könne sich nicht konzentrieren und ob wir nicht wieder bei ihm daheim weiterarbeiten wollen, das hätte ja letztes Mal so gut funktioniert. Ich habe meinen Laptop zwar dabei, aber seine Blicke in den letzten Wochen und die Tatsache, wie er seine Stimme gesenkt hat, als er mich gefragt hat, ob wir uns bei ihm treffen, lässt mich ahnen, dass ich ihn nicht brauchen werde. Um das letzte Missverständnis über meine Absichten aus dem Weg zu räumen, trage ich ein relativ lockeres aber kurzes, trägerloses Sommerkleid, welches die letzten Gedanken an die Arbeit verdrängen sollte.

Ich gehe an Marcos Garten vorbei und auf sein Haus zu, als ich seine Stimme höre - laut und genervt. Ich werde langsamer und versuche mehr zu hören, um zu verstehen, um was es geht. Ich höre etwas von Scheidung und diverse Beleidigungen und Flüche. Wahrscheinlich telefoniert er mit seiner Ex. Das war so nicht geplant. Ich bin am Haus angekommen und klingle - in der Hoffnung, dass er das Klingeln zum Anlass nimmt, das Gespräch zu beenden und sich dann angenehmeren Dingen widmen kann.

Er öffnet mit einem Ruck die Türe, so dass ich zusammenzucke und einen Schritt zurücktrete. Seine Augen funkeln dunkel und er braucht einen Moment, um die Situation zu erfassen. "Fuck". Ich schaue ihn verwirrt an. Bin ich zu früh? Hat er es doch nicht ernst gemeint? Ich will schon wieder gehen doch er hält mich am Arm. "Sorry, ich habe nicht gemerkt, wie spät es ist. Vielleicht wäre es besser... "

Plötzlich eine Stimme, gefolgt von einer Frau, die hinter ihm in den Flur tritt "Marco, wir sind noch nicht fertig!" Durch die grelle Sonne draußen und die Dunkelheit im Haus kann ich ihr Gesicht nicht erkennen, aber es scheint seine Ex zu sein. "Ist das deine kleine Schlampe von der Arbeit?!"

Marco schließt kurz die Augen, atmet ein, öffnet die Augen wieder und ich sehe wieder das wütende Funkeln, bevor er sich umdreht, ohne meinen Arm loszulassen. "Die einzige Schlampe hier bist du, Susi." Er zieht mich in den Flur und ich schließe die Türe mit meiner freien Hand hinter mir. Ich bin so überfordert von meiner Situation, dass mein Fluchtreflex vollkommen auszusetzen scheint. So war das absolut nicht gedacht!

Marco zieht mich weiter ins Wohnzimmer, in dem Susi jetzt mit verschränkten Armen über ihrem runden Babybauch steht. Sie mustert mich mit einem angewiderten Blick von oben bis unten, ehe sie mit einem fiesen Lächeln zu Marco meint "Das ist das Niveau, auf das du dich jetzt begibst? Von den Frauen mit Stil und Klasse wollte dich wohl keine mehr?"

Ich schnappe nach Luft, doch bevor ich mich verteidigen kann, entgegnet Marco ihr, jetzt mit vollkommen ruhiger Stimme und einem mindestens genauso fiesen Lächeln. "Woher willst du denn wissen, was eine Frau mit Stil und Klasse ist? Aus eigener Erfahrung ja wohl nicht. Sieht man ja allein schon daran, wie du Menschen behandelst, die du nicht mal kennst."

Sie schaut wütend zu Marco, zu mir und dann wieder zurück doch ihr scheint keine passende Antwort einzufallen. Sie reißt ihre Tasche vom Tisch und stürmt in Richtung Haustür. Doch im Türrahmen bleibt sie nochmal stehen und dreht sich um. Sie schaut mich an und meint "Pass bloß auf, das Arschloch schlägt Frauen". Mit einem letzten triumphierenden Blick zu Marco stürmt sie aus dem Haus und schlägt die Tür hinter sich zu.

Marco lässt sich auf das Sofa fallen, legt seinen Kopf in die Hände. "Fuck". Ich lege meine Tasche auf dem Boden ab und gehe langsam zu ihm - immer noch ziemlich überfordert von der Situation.

Ich setze mich mit etwas Abstand neben ihm auf das Sofa und er hebt den Kopf und schaut mich an. "Es tut mir so leid, dass ich dich da reingezogen habe. Das war scheiße von mir. Wenn du wieder gehen möchtest, verstehe ich das total. Ich würde dich nur darum bitten, dass du - wenn das nicht zu viel verlangt ist - den Kollegen nichts davon erzählst." Er wirkt in dem Moment so verletzlich und müde und tut mir einfach nur leid. Nicht der Grund aus dem ich gekommen bin und definitiv nicht der Grund, aus dem ich bleiben will aber ich kann ihn so auch nicht alleine lassen. Als ich mich gerade etwas näher zu ihm setzen will, steht er plötzlich auf und verlässt wortlos das Zimmer. Ich bleibe irritiert sitzen. Ich höre Glas klirren und vermute ihn in der Küche. Soll ich ihm hinterher? Oder einfach gehen? Ich stehe ebenfalls auf und bleibe unschlüssig neben meiner Tasche stehen, als er wieder ins Zimmer kommt. Er stellt eine Flasche Wodka und zwei Gläser auf den Tisch und schaut mich fragend an.

"Ich brauche jetzt einen Schnaps. Ich freue mich natürlich über Gesellschaft beim Trinken, aber wie gesagt, ich kann total verstehen, wenn du lieber gehen möchtest." Er schaut auf die Tasche zu meinen Füßen.

So unangenehm mir die Situation auch ist, ich kann ihn jetzt nicht alleine lassen. Ich gehe zum Tisch, öffne die Flasche und gieße beide Gläser ein. Dann setze ich mich.

Er setzt sich mir gegenüber und nimmt sein Glas vom Tisch. Ich nehme das andere und stoße mit ihm an. Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte und ihm scheint es ebenso zu gehen. Also leeren wir die Gläser wortlos und er greift, gleich als er seins abgestellt hat, wieder zur Flasche und schenkt uns beiden nach.

Der Wodka brennt leicht aber angenehm in meinem Hals. Marco sitzt wie ein Häufchen Elend vor mir, leert das zweite Glas Wodka und scheint auch nicht so recht zu wissen, wie das hier weitergehen soll, also biete ich ihm an: "Was hältst du davon: Du kotzt dich jetzt mal so richtig aus. Erzähl mir alles, was du loswerden willst, ohne Rücksicht auf mich. Ich kann wohl ganz gut zuhören und schweigen kann ich auch. Und danach sehen wir, ob wir das Thema abhaken können und uns anderen Themen widmen oder ich dich in Ruhe lasse. Okay?"

Marco sieht mich an und ich sehe die Erleichterung in seinem Blick. Er nickt. Dann schaut er auf die Uhr. Es ist halb sieben. "Wollen wir was zu essen bestellen? Das wird hier nicht gut enden, wenn ich nicht bald was esse" Er füllt sein Glas erneut mit Wodka. Ich nicke und er holt zwei Karten von verschiedenen Lieferservices. Wir entscheiden uns spontan für Pizza und er gibt die Bestellung auf.

Er legt das Telefon weg und schaut mich lange an, bis ich ihn auffordere: "Leg los. Erzähl mir alles, was du loswerden willst."

Er atmet durch und fängt an, zu erzählen. Von Susi, ihren Affären, ihrer Eifersucht, ihren Hinterhältigkeiten, der Scheidung, seinen Selbstzweifeln, die von Susi noch befeuert werden und davon, dass er nicht damit klarkommt, dass sie ihn immer noch so sehr provozieren kann. Gerade, als er fertig ist, zu erzählen und innehält, klingelt es an der Türe. Sein Gesicht hellt sich auf. "Pizza" er steht lächelnd auf und geht zur Türe. Ich stehe ebenfalls auf und gehe in die Küche, um nach Wasser zu suchen. Auch wenn ich im Laufe des Gespräches nur einen weiteren Wodka, und damit insgesamt zwei, getrunken habe, merke ich den Alkohol. Marcos Zähler steht bei 5 Gläsern - ihm schadet das Wasser sicher auch nicht. Ich bringe Gläser und eine Flasche Wasser ins Wohnzimmer, als Marco gerade die Pizzaschachteln auf den Tisch stellt.

Als wir unsere Schachteln aufklappen, schließt Marco seine Erzählungen ab. "Danke, Mina. Danke, dass du mir einfach zugehört hast und ich mal jemandem alles erzählen kann. Bei meinen Freunden funktioniert das nicht so, die kennen Susi ja auch und lassen sich auch von ihr manipulieren. Du weißt nicht, wie gut mir das getan hat!"

"Gerne, es ist schön, dass es dir jetzt bessergeht. Lass uns essen, ich brauch jetzt echt was im Magen."

Wir essen die wirklich gute Pizza und unterhalten und über Essen und Italien. Als wir fertig sind und Marco die Schachteln wegstellt, fragt er mich, ob ich mich entschieden habe, ob ich gehen oder bleiben will.

MinaKde žijí příběhy. Začni objevovat