Ehe Zeke ausweichen oder ich ihn davon abhalten könnte, hatte Seth den Arm ausgestreckt, die Hand in Zekes Haaren vergraben und zog daran- and hielt diese daraufhin in der Hand. ,,Eine Perücke", beendete er trocken den Satz. Mein Blick wanderte ungläubig von der Perücke zu Zeke, der nun mit schneeweißen Haaren vor uns stand. Er senkte den Blick und sah aus, als wäre er am liebsten augenblicklich im Boden versunken. Und ich war hochgradig verwirrt. Zeke trug also Perücken, weil er in Wahrheit weiße Haare hatte? Durch die hellen Haare wirkte er vollkommen anders, als wäre er ein komplett anderer Mensch.
,,Du trägst also Perücken", wiederholte ich unnötigerweise.
Zeke sah noch immer nicht auf. Seine Stimme zitterte, als er antwortete. ,,Ich bin ein Albino. Ich hasse diese Haarfarbe. Ich... ich will einfach nur normal sein."

,,Schon mal was von Haarfarbe gehört?", warf Seth, wie immer mit dem Feingefühl eines Toastbrotes, ein.

,,Seth", fauchte ich. Wie konnte man so taktlos sein?

,,Darauf reagiere ich allergisch", murmelte Zeke.

Ich trat einen Schritt zurück und betrachtete ihn genauer. Es war absolut ungewohnt, ihn mit weißen Haaren zu sehen, aber eigentlich sah es gut aus. Ungewohnt, aber nicht schlecht.

,,Du musst ja eigentlich auch gar nicht-"

,,Pflanzenhaarfarbe", unterbrach Seth mich. ,,Die soll gut verträglich sein."

Es war ja schön und gut, dass es Seth wieder besser ging, aber könnte er vielleicht damit aufhören, sich wie das hinterletzte Arschloch zu benehmen?

,,Seth", zischte ich erneut. ,,Geh und such deinen Anstand."

Seth allerdings machte sich nicht auf die Suche nach seinem Anstand, vermutlich weil dies sowieso ein sinnloses Unterfangen war. Stattdessen betrachtete er Zeke, als inspiziere er eine neu entdeckte Schmetterlingsart. ,,Du sagtest, du wärst ein Albino. Aber Menschen mit Albinismus haben meines Wissens nach nicht nur weiße Haare." Sein Blick richtete sich auf den Schal, den Zeke sich umgewickelt hatte. ,,Ah", sagte er. ,,Ich verstehe."

Ich verstand nicht. Allerdings hatte ich noch immer das dringende Bedürfnis, Seth mit meiner Wasserflasche zu erschlagen. Mit zitternden Händen legte Zeke den Schal ab und ich starrte ihn ungläubig an. Seine Haut war so blass, dass sie beinahe durchsichtig wirkte. Bisher hatte ich Seth immer für eine Leiche gehalten, aber das war wirklich blass. Jetzt wusste ich auch, weshalb Zeke immer einen Schal getragen hatte. Irgendwie kam es mir vor, als hätte ich ihn nie wirklich gekannt- wie hatte mir das nie auffallen können?

,,Und das im Gesicht ist Make-up?", erkundigte sich Seth und klang dabei endlich weniger verletzend, eher interessiert.

Zeke nickte und wickelte sich den Schal wieder um den Hals.

,,Das wäre mir nie im Leben aufgefallen", schaltete ich mich ein. ,,Du kannst das jedenfalls besser als die meisten Mädchen. Die sehen aus wie facegeliftete Barbiepuppen."

Seth betrachtete mich mit schief gelegtem Kopf. ,,Du sprichst aus Erfahrung, Püppchen?"

Ich trat näher zu ihm und rammte ihm meinen Ellenbogen in die Seite. ,,Ich schminke mich nicht mal, Blödmann. Und die Barbie-Haarfarbe hast hier ja wohl eindeutig du."

Seth verzog das Gesicht, was mir eine unglaubliche Genugtuung verschaffte. Ich lächelte. Zeke streckte den Arm aus und deutete auf die Perücke, die Seth noch immer in der Hand hielt. ,,Kann ich die wiederhaben?"

,,Gleich. Eine Frage noch. Hast du rote Augen?"

Zeke schüttelte energisch den Kopf. ,,Hellblau."

,,Nochmal Glück gehabt." Seth reichte Zeke die Perücke, die sich dieser daraufhin sofort wieder überzog

Es war wohl unnötig zu erwähnen, dass die Anspielung auf rote Vasanistenaugen gerade absolut unangebracht gewesen war. Zeke räusperte sich. ,,Äh, ich geh dann mal. Haare richten und so."
Bevor ich noch etwas darauf erwidern konnte, hatte er auch schon den Raum verlassen. Ich drehte den Kopf in Seths Richtung und widerstand dem Drang, ihn ein weiteres Mal in die Seite zu boxen. ,,Musste das sein?"

,,Bist du etwas anderes von mir gewohnt?", erwiderte er nur.

War ich das? Bis vor zwei Wochen hatte ich noch das Gefühl gehabt, dass Seth tatsächlich eine Art zaghaft Sozialkompetenz entwickelt hatte und irgendwann zwischen Jahresanfang und jetzt hatte ich begonnen, ihn zu mögen. Aber heute? Heute würde ich ihn am liebsten erstechen. Mit einem stumpfen Gegenstand. Langsam und qualvoll.

,,Anscheinend", murmelte ich.

Darauf erwiderte er nichts mehr. Er lockerte seine Schultern, dann wandte er sich ab. ,,Wir sehen uns, Hexe", verabschiedete er sich, ehe er den Raum verließ.

Nummer 13 - Todessohn IIWhere stories live. Discover now