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Als es Zeit wurde, mich zu verabschieden, wurde ich mit Danksagungen und Glückwünschen konfrontiert, die gar nicht zu enden schienen. "Es wird schon nichts schiefgehen.", versicherte ich. Immerhin hatte ich Caspian, meinen Gefährten, an meiner Seite. Meine Instinkte wollten die Mundwinkel in die Höhe ziehen, doch meine Ratio formte meine Lippen zu einem dünnen Strich. Was, wenn alles schiefging? Ich brachte nicht nur meinen Gefährten, sondern auch meine Freunde und Familie in Gefahr. Die komische Gang seines Onkels mit dem noch komischeren Namen hatte überall Ohren und Augen, das hatte die Rettung von Melody mir deutlich bewiesen. Ich schluckte, die Tür hinter mir fiel ins Schloss. Meine Augen richteten sich gen Himmel. Ein graues, endloses Meer. Es war Zeit.

Caspian empfing mich wie gewohnt in seinen Gemächern. Ich wagte es nicht, die Räumlichkeiten Zimmer zu nennen, da kam ich mir vor wie ein Esel. Egal. Wir tauschten einen festen Blick, der das innere Kribbeln etwas milderte. Tief durchatmen. "Du verwandelst dich in eine Wissenschaftlerin und ich werde dich mitnehmen. Solange ich an deiner Seite bin, sollten wir auf keine blöden Fragen stoßen, trotzdem sollten wir uns vorsehen. Wenn jemand fragt: Du bist eine Forscherin, die von einem anderen Kontinent eingereist ist und sich auf alte Objekte spezialisiert hat und sich nun mit der Prophezeiung beschäftigen will. Du bist unter meiner Erlaubnis hier. Wir werden nicht viel Zeit haben, aber es wird ausreichen.", ratterte er herab und rieb sich über das Gesicht. Ich legte eine Hand auf seinen Arm. Wärme. "Das ist jetzt blöd aber ich habe noch nie versucht, mich in andere Leute zu verwandeln.", gestand ich und schrumpfte innerlich zu einer Rosine. Mein Gefährte starrte mich zuerst mit offenem Mund an, ehe sein Blick von mir auf etwas im Hintergrund fiel und fixierte.

Mit einem leisen Seufzen trat ich einen Schritt zurück. "Ich kann es ja versuchen.", beschloss ich mit piepsiger Stimme und schloss die Augen. Beim Fliegen stellte ich mir vor, wie ich in die Lüfte schwebte, wieso sollte das nicht bei Verwandlungen ähnlich funktionieren? Ich atmete tief durch und lockerte meine Armmuskeln, ehe ich in meinen Kopf tauchte und begann, ein Bild zu konstruieren. Eine Frau mittleren Alters, ein brauner Lockenkopf, große Brille, ein Klemmbrett unter dem Arm, ach ja, ein weißer Kittel durfte natürlich nicht fehlen, darunter ein schrecklich gemusterter Pullover, den, den man nur im Januar trug und es wegen dem kratzigen Material bereute, Bleistiftrock...

Mit einem Aufatmen öffnete ich die Augen. Mein Blick fiel auf Caspian, der die untere Gesichtshälfte hinter seiner Hand versteckt hatte und dessen Wangen ein Rot zierte. "Was?", fuhr ich ihn an und zuckte zusammen. Meine Stimme! Sie war ja ganz hoch! Probehalber stieß ich weitere Laute aus, mit welchen man wahrscheinlich in der Steinzeit kommuniziert hat, und strich schließlich über den weißen Kittel. "Was?", fragte ich nochmal. "Das ist also das Bild, welches du von Wissenschaftlern hast?", erwiderte er und seine Stimme brach ab. Ich zog am Pullover und bereute das Material. Das war fast schon so, als könnte ich wahrsagen. Am liebsten hätte ich ihn von mir gerissen, aber, nun ja, das ging natürlich nicht in seiner Anwesenheit. "Ist es so schlimm?", antwortete ich stattdessen. Der Sohn des Mächtigsten räusperte sich, seine Miene geglättet wie eh und je. Nur die verblassende Röte wies auf seine Belustigung hin. "Finden wir es heraus.", deklarierte er mit diplomatischer Stimme. Meine Finger krallten sich an mein Klemmbrett, während ich ihm folgte.

꧁soundless snow꧂Where stories live. Discover now