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Schweigend gehen Louis und Susanne den Weg entlang, der zur Pension führt. Plötzlich bleibt Louis stehen, greift nach ihrem Handgelenk und dreht Susanne zu sich. Sie will ihn schon anfahren, als er seinen Kopf schüttelt und zwei Finger auf ihre Lippen legt.
"Hör mir zu ... bitte!"
Als sie leicht nickt, nimmt er seine Finger von ihr und fährt sich durch seine Haare.
"Es tut mir leid, Sunny. Ich weiß gar nicht, warum ich dich so runtergemacht habe oder womit das überhaupt angefangen hat oder warum ich nicht damit aufgehört habe. Aber ich bereue das, wirklich! Kein Mensch hat es verdient, so behandelt zu werden" - "Reichlich spät für eine Entschuldigung, findest du nicht?" - "Wie hätte ich mich denn entschuldigen sollen? Ihr seid weggezogen und keiner wusste noch etwas von dir" - " Schon praktisch, gell?" - "Susanne, bitte hör auf damit! Ja, ich hab dich scheiße behandelt ... und glaub mir, ich verachte mich dafür - aber ich kanns nicht mehr ändern. Ich kann dir nur versichern, dass in meinem ... Umfeld so etwas nicht geduldet wird". Nachdenklich sieht Susi ihn an. "Warum? Warum dieser Sinneswandel?" - "Weil ich erwachsen geworden bin und erkenne, wenn etwas falsch läuft. Damals ... ich war der Größte, wollte zeigen, wie sehr ich der King bin und da kam mir ein kleines Mädchen, dass sich nie wehrte, gerade recht" - "Weißt du wirklich nicht mehr, wie alles angefangen hat?"

Flashback
Aufgeregt steht Susi am Rand des Fußballfeldes und schaut der Schulmannschaft beim Training zu. Immer wieder geht ihr Blick zu Louis, dem Kapitän der Mannschaft, ein hübscher junger Mann, gut drei Jahre älter als sie, unnahbar und unerreichbar. Mit ihren 14 Jahren ist Susanne unsichtbar für ihn, zu jung und noch dazu etwas zu dick. "VORSICHT!", hört sie jemanden schreien, kurz bevor sie etwas hart am Kopf trifft. Sie fällt zu Boden und hält sich die schmerzende Stelle. "Scheiße, sorry Kleine! Gehts dir gut? Hier, halt das dran". Thorsten, ein Junge, der in ihrer Klasse ist, kniet bei ihr und drückt ihr einen Kühlakku in die Hand, die Rufe seiner Kameraden ignorierend. Besorgt sieht er Susanne an. "Komm, ich helf dir hoch!" - "Passt schon, geh, die warten auf dich" - "Mensch, jetzt komm endlich!" Wütend stürmt Louis auf sie zu. "Wenn sie zu blöd ist, einem Ball auszuweichen, ist sie selbst schuld. Obwohl ...", abwertend schaut er Susanne an, "wahrscheinlich ist sie einfach zu schwer, um sich zu bewegen. Lass den Fettklops liegen und komm trainieren!" Susi schluckt hart und drängt ihre Tränen zurück, während Thorsten nach einem letzten Blick zu ihr seinem Freund aufs Spielfeld nachläuft.

"Ich hatte dir nie etwas getan. Ab dem Tag hattest du deinen Spaß daran, mich immer wieder zu demütigen, fast ein ganzes Jahr lang, bis wir endlich weggezogen sind. Das war für mich ein Glücksfall, weißt du? Ich war froh, hier weg zu sein ... ich weiß nicht, wie lange ich das noch ausgehalten hätte".
Fassungslos schaut Louis Susanne an. Vor ihm steht eine erwachsene, taffe Frau und doch sieht er das Mädchen, das er verletzt hat. Als ihr eine Träne über die Wange läuft, kann er sich nicht mehr zurückhalten.
"Komm her!", murmelt er und zieht sie in eine feste Umarmung. Susanne wehrt sich kurz, lässt aber bald ihre Arme herunterhängen und es einfach geschehen. "Es tut mir leid, Sunny, so leid", flüstert er ihr immer wieder zu. Irgendwann lässt er zu, dass sie ihn von sich schiebt und weitergeht. Er läuft zu ihr und grübelt darüber nach, wie er jetzt weitermachen soll. Er möchte sie ungern alleine zurück nach Hamburg fahren lassen, aber er selber kann sein Rudel auch nicht für längere Zeit alleine lassen. Susanne reisst ihn aus seinen Gedanken. "Danke fürs Begleiten. Gute Nacht, Louis". Sie stehen vor der Pension und Susi möchte hineingehen, als er sie zurückhält. "Wann fährst du wieder?" - "Übermorgen, ganz früh". Louis lächelt sie an. "Dann hol ich dich morgen zum Mittagessen ab" - "Was? ... Louis, du musst jetzt nicht guter Mann spielen. Ich hatte ganz gut verdrängt, was passiert ist. Du reißt nur alte Wunden auf!" - "Ich will dir zeigen, dass ich mittlerweile ein ganz angenehmer Zeitgenosse bin, Susanne. Und es gibt etwas, das du wissen solltest, bevor du wieder zurückfährst" - "Dann sags doch gleich" - "Nein, das ist kein Thema für die Nacht", lacht Louis leise. "Bitte, Sunshine, ich bin gern in deiner Nähe und ich würde mir wünschen, dass es dir genauso geht. Also ... darf ich dich zum Mittagessen ausführen?" Verdutzt sieht Susanne ihn an. "Du willst ... was? Ein Date? Mit mir?" - "Ein Date, ein Essen - egal. Ich will einfach Zeit mit dir verbringen, Susanne". Nach langer Zeit, in der sie seine Augen bittend anfunkeln, stimmt sie zögernd zu. Sie weiß nicht, warum sie das tut, aber sie spürt, dass es richtig ist. "Danke, Sunshine. Ich hol dich kurz vor zwölf ab!" Louis beugt sich zu Susanne und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn, dann dreht er sich um und läuft hinein in die Dunkelheit, Susanne bleibt aufgewühlt zurück. Sie schläft nicht viel in dieser Nacht, immer wieder geht ihr das seltsame Verhalten von Louis durch den Kopf, außerdem fühlt sie sich beobachtet und doch gleichzeitig geborgen. Sie ahnt nicht, dass Louis keineswegs zu sich nach Hause gelaufen ist sondern in seiner Wolfsform vor ihrem Fenster ausharrt, um in ihrer Nähe zu sein.

Alpha LouisWhere stories live. Discover now