Kapitel 30: Sherlock & Watson

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"Ich komme mit", freute sich Anne und sprang von ihrem Stuhl auf.

"Bist du dir sicher, dass du das tun willst?", wollte Harry von seiner Freundin wissen.

"Ja, auf jeden Fall. Ich muss wissen, was los ist. Anne und ich gehen, ihr könnt ja schonmal den Brief lesen, wir reden dann später darüber, wenn noch Zeit ist. Wenn nicht, treffen wir uns heute Mittag. Keine Widerrede", meinte Amber bestimmt, bevor sie Anne am Arm griff und mit ihr die Mensa verließ.

Mit sicherem Abstand folgten sie Poline. Normalerweise war Amber nicht der Typ für solche unüberlegten Aktionen, doch Poline verhielt sich seltsam und schien ihnen etwas zu verheimlichen, was sie zutiefst verletzte.

Das Verhalten ihrer Freunde in der Mensa hatte Poline jedoch misstrauisch gemacht, weshalb sie in ihre rechte Jackentasche griff. Der Brief war allerdings noch dort, das konnte es also nicht gewesen sein.

War es vielleicht nur, weil sie mit Vincent gesprochen hatte? Ja, das musste es gewesen sein. Anders konnte sie es sich nicht erklären.

Sie war sich der Sache ziemlich sicher, besonders, da sie sich dieses Mal keine Ausrede einfallen lassen hatte, die das Gespräch mit Vince erklärte, doch sie fühlte sich trotzdem beobachtet und drehte sich alle paar Meter um, um sicherzustellen, dass niemand ihr folgte.

Poline war eine gute Beobachterin, aber Anne und Amber waren zwei noch bessere Verfolger. Sie mussten sich öfter hinter Büschen oder Wänden verstecken, doch sie schafften es, unentdeckt zu bleiben und folgten Poline bis zu einer abgelegenen Ecke des Bahnhofes, wo sie sich mit etwas Abstand zu ihr hinter einem parkenden Auto versteckten.

"Das ist ja wie eine richtige Verfolgungsjagd in einem Krimi", meinte Anne aufgeregt.

"Ja", lächelte Amber, "aber jetzt müssen wir leise sein, damit wir vielleicht etwas hören können."

Anne nickte nur und sie warteten eine Weile, doch nichts geschah. Was sie nicht wussten war, dass James einen Platz weiter mit seinem Auto parkte und die beiden längst gesehen hatte.

Er überlegte, ob er Poline direkt darüber informieren sollte, dass zwei ihrer Freundinnen sie verfolgten, entschied sich jedoch zunächst dagegen. Wenn er dies tun würde, dann persönlich.

Also schreib er ihr eine Nachricht, in der stand, dass er "bei der Arbeit aufgehalten wurde" und nicht kommen konnte. Danach fuhr er, darauf achtend, nicht gesehen zu werden, davon.

Poline stand die Enttäuschung mitten ins Gesicht geschrieben, nachdem sie die Nachricht gelesen hatte. Auch Anne und Amber entging das nicht.

Sie warteten, bis Poline zurück in Richtung Schule lief und kamen dann aus ihrem Versteck.

"Ich bin mir sicher, dass sie sich hier mit jemandem treffen wollte, aber versetzt wurde", sagte Amber.

"Stimmt, sah so aus. Aber wer könnte die Person denn sein", überlegte Anne.

"Vermutlich Herr Vega", antwortete Amber.

"Wie sicher bist du dir?"

"So...95 Prozent?!"

"Das ist viel."

"Ich denke, wir sollten ihr morgen nochmal folgen, also falls sie wieder in der Pause rausgeht."

"Ist gut, das ist voll spannend", lächelte Anne.

"Schon, wäre nur toll, wenn es nicht meine beste Freundin wäre, die wir hier verfolgen...Komm, wir sollten gehen. Wenn wir wissen, was in diesem Brief steht wissen wir vermutlich auch, ob sie sich hier wirklich mit Herr Vega treffen wollte."

Die beiden liefen also zurück in die Schule, wo allerdings schon in Kürze der Unterricht beginnen würde, weshalb die Besprechung mit dem Rest der Gruppe auf den Nachmittag verschoben werden musste.

_____

Nach der Schule erzählte Poline ihren Eltern von dem Deal mit Vincent oder besser gesagt log sie an und meinte, dass er ihr von jetzt an Nachhilfe geben würde.

Da er angeblich schon an diesem Nachmittag Zeit hatte, bat sie ihren Vater darum, sie zu ihm zu fahren.

Bereits eine Stunde später war es soweit. Poline nahm ihr Schulsachen mit, damit niemand Verdacht schöpfte.

An einer Ecke einige Straßen von Vincents Elternhaus entfernt, stieg sie aus und vereinbarte mit ihrem Vater dass er sie in zwei Stunden an derselben Stelle abholen würde.

Eigentlich wollte Poline direkt zu James gehen, doch Vincent hatte darauf bestanden, sie wenigstens ein Mal wirklich zu treffen.

Sie hatte wenig, eigentlich sogar gar keine Lust darauf, doch in der Hoffnung, dass es ein einmaliges und kurzes Treffen werden würde, entschied sie sich dazu, es einfach hinter sich zu bringen.

Sie klingelte also an der Tür des riesigen dunkelgrauen Gebäudes vor ihr. Es war ein typischer Neubau in einer kleinen Siedlung; ein Haus, auf das sich die Besitzer sonst was einbildeten, dass sich jedoch in Wahrheit, innen wie außen, kaum von den umliegenden Gebäuden unterschied.

Kurze Zeit später öffnete Vincent auch schon die Tür. "Komm rein", meinte er direkt.

Dieser Aufforderung folgte Poline nur zögerlich. Sie sah sich kurz um, während Vincent hinter ihr die Tür schloss.

"Schön hast du's hier."

"Danke", grinste er. "Das Beste hast du aber noch lange nicht gesehen. Komm mit."

Eigentlich wollte sie wenigstens fragen, ob sie die Schuhe ausziehen sollte, doch Vincents schnelle direkte Art ließ ihr gar keine Möglichkeit dazu und so folgte sie ihm einfach in den ersten Stock, wo sie jedoch nicht blieben.

Sie stiegen eine weitere kleinere Treppe hinauf, die in einen großen, offenen Wohnraum führte. Dort standen ein großes Sofa und mehrere Sessel im linken Bereich des Raumes. Einen Kamin und einen Fernseher gab es auch. Auf der rechten Seite stand ein Esstisch mit vielen Stühlen.

Poline konnte nicht anders als zu Staunen, auch wenn sie Vincents Arroganz nicht bestärken wollte.

"Gehört das echt alles dir?"

Vince nickte. "Ist aber immer noch nicht alles", meinte er und ging auf eine Tür links vom Fernseher zu. Er öffnete diese und ließ Poline den Vortritt.

Sie betrat einen dunklen Raum, in dem sich viele schwarze Sessel befanden. Zwischen diesen konnte man kleine Treppenstufen hinuntergehen. Erst als sie die riesigen Vorhänge an der Wand bemerkte realisierte sie, dass es sich um einen Kinosaal handeln musste.

"Mann, ist das cool", rutschte es ihr heraus.

Sie versuchte wirklich solche Bemerkungen zu vermeiden, um sein Ego nicht noch weiter steigen zu lassen, doch es war schon zu spät und sie musste zugeben, dass sie sehr beeindruckt von seinem Zuhause war.

"Findest du?", fragte er grinsend. "Wir können ja mal einen DVD Abend machen."

Sie verdrehte die Augen. "Träum weiter. Ich gucke ganz bestimmt keinen Film mit dir."

"Wer hat denn was von Film gucken gesagt? Das steht für dusch..."

"Egal was du jetzt sagen willst: lass es lieber bleiben", meinte sie und verließ den Raum.

"Hey, komm schon. Ich hab' dir doch noch gar nicht alles gezeigt."

Poline hatte keine Lust sich weiter mit ihm herumzuschlagen, doch die hatte keine andere Wahl. Wenn sie wollte, dass Vince weiter für sie log, durfte sie sich nicht querstellen. Dieses Risiko konnte sie nicht eingehen, denn sie hatte keine Ahnung was sie ihren Eltern vormachen sollte, wenn Vincent sie nicht mehr deckte.

So zeigte er ihr noch die kleine Küche neben dem Kinosaal und führte sie schließlich an eine letzte Tür im rechten Bereich des Raumes.

"Und das", sagte er, während er sie öffnete, "ist mein Schlafzimmer."

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Yay, Spannungsaufbau. Ist bei meinen regelmäßigen Updates echt von Vorteil...

Forbidden Attraction [Old Version]Where stories live. Discover now