Kapitel 25: Allein

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Kurze Zeit später stand Poline mit ihrem Gepäck vor Ambers Haustür, traute sich aber nicht um die Ecke zu gehen.

Die Situation überforderte sie völlig. Man könnte sagen, Poline hatte Angst vor dem, was sie erwarten würde. Was genau das war, wusste sie nicht, aber es machte sie verrückt.

Hinter ihr öffnete Amber plötzlich die Tür wieder.

"Alles klar bei dir? Du stehst da schon ein bisschen lange...", meinte sie.

"Ich weiß, ...mir ist nur etwas runtergefallen und ich...musste es wieder aufheben", log Poline.

"Soll ich dir vielleicht helfen die Tasch..."

"NEIN", rief Poline etwas zu laut.
"Ich meine...Das krieg ich schon hin. Danke trotzdem."

Amber war sichtlich verwirrt. Poline war klar, dass ihre beste Freundin ihr, wenn sie sich weiter so merkwürdig verhalten würde, kein Wort mehr glauben würde.

"Okay...bis dann."

"Bis Montag", sagte Poline und wandte sich zum gehen.

Genau in diesem Moment signalisierte ihr das Brummen ihres Handys, dass sie eine neue Nachricht erhalten hatte.

Sie zog es mit Mühe aus ihrer viel zu engen Hosentasche und öffnete die Nachricht.

Ich warte oben an der Ecke. Von Ambers Haus aus wird man uns nicht sehen.

Poline klemmte ihr Handy genervt zwischen ihre Finger und lief langsam los. Das tat sie nur ungern, doch sie wollte nicht noch länger vor Ambers Haus stehen bleiben.

Amber zweifelte sowieso schon genug an Polines Glaubwürdigkeit und der Auftritt von eben trug nicht besonders zur Verbesserung der Situation bei.

Poline hätte sich nicht gewundert, wenn sie die ganze Zeit über von Amber beobachtet werden würde.

_____

Besagte Ecke lag direkt an der Hauptstraße, die Mitten durch das Dorf führte. Da dieses relativ tief gelegen war, musste Poline einen kleinen Hügel hinaufgehen.

Mit dem Gepäck war das nicht so einfach, aber Poline war trotzdem froh, dass James sein Auto außerhalb von Ambers Blickfeld parkte.
Diese kannte nämlich das Auto von Polines Vater und hätte sofort gewusst, dass jemand anderes sie abgeholt hatte.

Trotz allem musste Poline deshalb zugeben, dass James im Bezug auf Geheimnisse einiges draufhatte.

Er hatte die Gabe jedes noch so kleine Detail zu berücksichtigen und so jedes Vorhaben fehlerfrei zu planen. Und falls ihm dies mal nicht gelang, weil zum Beispiel etwas Unvorhersehbares geschehen war, so hatte er jede Menge Methoden um seine Fehler zu vertuschen oder sie jemandem in die Schuhe zu schieben.

Vieles über James wusste sie nicht, aber das hatte sie selbst in der kurzen Zeit, in der sie ihn kannte, realisiert.

Je näher sie dem Treffpunkt kam, desto nervöser wurde sie. Es war zwar noch nicht lange her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, doch in der kurzen Zeit war viel, besonders in Polines Gefühls- und Gedankenwelt, geschehen.

Zusammen hatten sie eine Vereinbarung getroffen, die sie eigentlich beide unglücklich machte, doch sie wussten, dass es das einzig Richtige gewesen war.

Doch kaum hatte Poline sich nach der Trennung etwas beruhigt, kam Vega wieder um die Ecke und bat um ein Treffen.

Nein, er bat sie nicht darum, er zwang sie dazu.

Sie hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen würde oder was der Anlass für das Treffen sein könnte und das hasste sie über alles. In diesem Moment war Poline einfach nur wütend auf James.

Bevor sie um die letzte Ecke bog, machte sie Halt. Sie versuchte sich zu sammeln, atmete tief durch und traute sich schließlich zum Auto zu laufen.

Schon von Weitem sah sie, dass der Kofferraum geöffnet war. Als sie dann James erblickte, war ihr Kopf leer.

Ihr anfänglicher Plan, ihn direkt zu konfrontieren: weg. Ihre Wut: weg.
Sie fühlte nur eine unglaubliche Leere.

Wie er so da stand, seitlich gegen sein Auto gelehnt, gekleidet in seinem typischen Aufzug mit Anzug und Krawatte, das war zu viel für Poline.

Genau diese gegensätzliche Mischung von Strenge und Lässigkeit war eines der Dinge, die sie an ihm so geliebt hatte.

Sie richtete ihren Blick zu Boden. Sie konnte es nicht ertragen, ihn weiter anzublicken.

Stattdessen versuchte sie sich daran zu erinnern, wie wütend sie gerade auf ihn war. Wie konnte er es nur wagen, sie so zu überrumpeln?

Am Auto angekommen beachtete sie James nicht weiter und lud ihr Gepäck in den Kofferraum.
Er wollte jedoch nicht einfach so tatenlos daneben stehen.

So griff er nach der schweren Tasche, die Poline in dem Moment anhob und sagte: "Komm, lass mich das machen."

Er klang absolut nicht wie er selbst. Er war nervös. Seine Stimme war leise und zitterte leicht.

Poline versuchte dies zu ignorieren und hielt ihre Tasche fest, ohne ihn anzublicken.

"Ich kann das allein", zischte sie und versuchte die Tasche an sich zu reißen, doch James hielt sie fest.

"Ich versuche nur zu helfen."

Poline schnaubte verächtlich und meinte wütend: "Und ich sagte, ich kann das..."

Aus dem Affekt heraus hob sie den Kopf und blickte James direkt in die Augen.

"...Allein."

Polines Stimme war nun nicht mehr, als ein leises Flüstern.

Es war, als würden alle Emotionen, die sie in den letzten Tagen gefühlt hatte, auf einmal in ihr hochkommen und sie merkte instinktiv, dass sie dagegen ankämpfen musste.

Sie zog an der Tasche, sodass James, der selbst wie gefangen in Polines Augen schien, diese losließ.

Daraufhin verstaute sie die Tasche im Kofferraum und setzte sich ohne ein weiteres Wort und ohne James eines weiteren Blickes zu würdigen, auf den Beifahrersitz.

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Forbidden Attraction [Old Version]Where stories live. Discover now