Kapitel 23: Völlige Kontrolle

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James trank also seinen Kaffee aus, zog sich um und versuchte sich mental auf jede mögliche Situation vorzubereiten, die in wenigen Minuten eintreffen könnte.

Er fand seine Autoschlüssel im Gefrierfach des Kühlschranks - wie sie dorthingekommen waren, war ihm, wie auch der Rest des Abends, ein einziges Rätsel.

Das immer noch quer über den Parkplatz geparkte Auto schien auch bei näherer Betrachtung unversehrt.

Glück gehabt, dachte er.
In seiner momentanen Lage sah es mit dem Geld für eine Fahrzeugreparatur nämlich schlecht aus.

Während der Fahrt überlegte James, was er tun oder sagen sollte, wenn er auf Wallace treffen würde.

Sollte er sich entschuldigen, oder wirkte das lächerlich? Wäre es vielleicht besser, einfach nichts zu sagen und seine ermahnenden Worte über sich ergehen zu lassen?

Vermutlich war das auch nicht die richtige Herangehensweise. Im schlimmsten Fall würde das noch als respektlos angesehen werden und seine Situation nur verschlimmern.

Am besten wäre es wohl, seine Schuld einzugestehen und Reue zu zeigen.

Nicht so viel, dass es bettelnd oder verzweifelt wirkt und somit ins Lächerliche gezogen wird, aber gerade genug damit Wallace wissen würde, wie ernst James es meinte. Ja, so würde er es angehen.

Kaum an der Bar angekommen lief ein Mann auf James zu und streckte ihm seine Hand entgegen.

"Anordnung vom Boss. Ich kriege deine Schlüssel."

James wusste, dass er lieber nicht widersprechen sollte und reichte dem Mann seinen Schlüsselbund.

Er sah seinem Wagen hinterher, welcher kurz darauf in die Richtung, aus der er eigentlich kam, zurückfuhr.

Dann lief James zur Tür des Clubs. Er wurde wie üblich durchsucht, doch es wurde nichts auffälliges gefunden - ausnahmsweise war er unbewaffnet.

Als er schließlich den großen Raum betrat sah er Wallace an seinem üblichen Platz an einem der hintersten Tische sitzen.

Außer ihm waren nur Sicherheitskräfte und Jules anwesend. Dieser stand hinter der Bar und mixte sich einen Drink.

Nichtmal 'n Barkeeper. Kein gutes Zeichen, dachte James, als er Jules kurz betrachtete.

"Vega", nickte dieser ihm zu.

"Jules", antwortete James kühl.

Nach dieser überaus netten Begrüßung begab er sich in den hinteren Bereich des Raumes, bis er schließlich vor Wallace stand.

Dieser tat so, als würde er ihn gar nicht bemerken. Er saß seelenruhig auf seinem Platz. Ab und zu trank er aus seinem Glas.

James wusste nicht, ob von ihm eine Begrüßung erwartet wurde, oder ob er lieber still sein sollte.

Er entschied sich für Letzteres und so verblieben sie in einer unangenehmen Stille, bis Wallace sich plötzlich mit der rechten Hand über das Kinn fuhr und James zum ersten Mal an diesem Tag in die Augen blickte.

"Weißt du, James, du hast mich wirklich enttäuscht", kam er gleich auf den Punkt.
"Du weißt, wie sehr ich an dich und deine Fähigkeiten glaube, aber langsam geht meine Geduld zu Ende. Zuerst gehst du selbst von der Schule und gibst mir nicht mal einen vernünftigen Grund dafür. 'Dort gibt es keine nützlichen Mädchen' ist keine akzeptable Ausrede, das ist dir klar?! Ich habe es dir nur durchgehen lassen, weil du ein guter Mann bist. Aber dann treibst du es so weit, dass du bei deinem zweiten Versuch an der Schule rausgeschmissen wirst, obwohl du mir versprochen hast, dass es sich lohnen wird...
Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll. Du bist wie ein Sohn für mich, deshalb tue ich das nur ungern, aber ich habe dir in der Vergangenheit einfach schon zu viele Freifahrtscheine gegeben und damit ist ab jetzt Schluss."

Wallace legte zum ersten Mal in seiner Rede eine kurze Pause ein. Ganz so, als würde die folgende Aufforderung ihm wirklich schwer fallen. James stand weiterhin am Tisch und blickte zu Wallace hinab.

"Ein Mann steht zu seinem Wort, also wirst du deine Mission beenden."

James ahnte, was folgen würde. Er biss die Zähne zusammen und versuchte angestrengt alle seine Emotionen zu verstecken.

"Du bringst mir die Kleine. Wie heißt sie noch gleich..?"

"Poline", flüsterte James.

"Ja, genau die. Wie du das anstellst ist deine Sache, aber bis Freitag Abend ist sie hier. Den genauen Treffpunkt erfährst du noch."

James blieb wie angewurzelt stehen.

Eine Woche Zeit.

Sein Gesicht wurde immer bleicher und er hatte das Gefühl, in Tausend Stücke zerrissen zu werden.

"Das ist alles, du kannst gehen."

Erst als Wallace ihm dies sagte, erwachte er aus seiner Schockstarre.

"Wird erledigt. Kannst dich auf mich verlassen", sagte er schweren Herzens, bevor er sich umdrehte und in Richtung Ausgang lief.

"Ach und James", rief Wallace ihn doch noch einmal zurück, "Ich bin nicht blind. Ich weiß, dass sie dir mehr bedeutet, als du zugeben willst, sonst hättest du nicht so viel riskiert.
Also: keine Spielchen. Wir sehen alles."

James nickte nur und verließ kurz darauf die Bar. Der Mann von vorher war bereits zurück und gab ihm seine Schlüssel wieder.

Ihm war bewusst, dass nun überall Kameras und Mikrophone in seiner Wohnung und wahrscheinlich auch in seinem Auto installiert waren und er spätestens seit diesem Gespräch, wenn nicht, dann sogar schon vorher, observiert wurde.

Völlige Kontrolle.

Wallace würde nun alles erfahren, was James tat. Zu jedem Zeitpunkt, an jedem beliebigen Ort der Stadt, oder vielleicht sogar des Landes.

Am meisten störte es ihn im Moment jedoch, dass er seine Frustration und seinen Ärger nicht offen zeigen konnte. Wallace ahnte schon von seinen Gefühlen für Poline, da wollte er ihn nicht noch in seiner Vermutung bestätigen.

Wie in Trance fuhr er also nach Hause und überlegte, wie er es schaffen konnte, nach der nervenaufreibenden Trennung und ohne, dass Poline etwas von seinen wahren Hintergründen erfuhr, wieder mit ihr zusammen zu kommen.

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Poline wachte auf. Von draußen schien die Sonne durch das Fenster in ihr Zimmer hinein. Vögel zwitscherten leise.

Wie lange hatte sie geschlafen?
Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es halb eins war - Zeit zum Mittagessen.

Hätte sie nicht so einen wahnsinnigen Hunger, wäre sie vermutlich nicht in die Küche gegangen und hätte sich auch nicht gleich zwei Portionen Nudeln genommen, da sie ihre Eltern, so herzlos das auch klingen mochte, gerne meiden wollte.

Die Atmosphäre zwischen ihnen und Poline war nach wie vor angespannt. Zwar hatte sie sich seit Mittwoch keinen weiteren Fehltritt geleistet, doch vor allem ihre Mutter war immer noch wütend.

Das tat der allgemeinen Stimmung beim Essen zwar nicht gut, jedoch war Poline mittlerweile daran gewöhnt, dass ihre Mutter sehr nachtragend sein konnte. Ihre Schwester hatte allerdings ein Talent dafür, den Familientherapeuten zu geben.

"Echt mal, so kann das nicht weitergehen", hatte sie gesagt, "irgendwann ist auch mal gut. Vertragt euch endlich, wir haben es alle satt."

Polines andere Schwester, jünger als sie, aber älter als das Küken, versuchte angestrengt nicht in lautes Gelächter zu verfallen.

Ihre Mutter wurde jedoch nachdenklich. Zumindest wirkte es so, denn nach dem Mittagessen holte sie Poline beiseite und sprach sich mit ihr aus.

Sie machte erneut klar, dass sie sehr enttäuscht war und dass sich solch ein Szenario auf keinen Fall wiederholen sollte.

Erst als Poline nochmals erklärte, dass sich sowas niemals wiederholen würde und es sowieso ja nicht einmal mehr möglich war, da Herr Vega und sie nicht mehr in Kontakt zueinander standen, ließ ihre Mutter locker und schloss endlich wieder Frieden mit ihrer ältesten Tochter.

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Forbidden Attraction [Old Version]Where stories live. Discover now