Die unangenehme Wahrheit

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"Falina... Ich... Ich kenne dich nicht.", erwiderte ich verwirrt.
Falina nickte. " Ich weiß. Und es gibt auch noch vieles zu klären."
Ich schüttelte den Kopf. "Dafür habe ich leider keine Zeit."
Adrian verwandelte sich nun ebenfalls zurück.
"Dann wirst du dir diese Zeit nehmen müssen.", antwortete er streng mit tiefer Stimme. Seine dunklen Augen funkelten herabfällig.
Ich nickte. "Ein andermal. Nicht jetzt."
Und damit verwandelte ich mich zurück in meine Wolfsgestalt und lief weiter ins Ungewisse meines Leben, weit weg von meinem ehemaligem Rudel.
Besorgt über das, was mir bevorstehen könnte, ließ mich einen Moment stehen bleiben und ich atmete tief durch.
Hoffentlich werde ich noch lange leben.

Ich lief weiter durch den Wald, leichten Schrittes tappten meine Pfoten über den weichen Erdboden. Ich dachte nicht an die Vergangenheit, auch nicht an die Zukunft, sondern ich blieb mit meinen Gedanken in der Gegenwart. Leise und fast unbemerkbar lief mir eine Träne aus dem linken Auge, als Wolf konnte ich sie nicht einfach mit der Hand fortwischen, aber das musste ich auch nicht. Sie versickerte schnell in meinem dicken weißgrauem Fell.
Ohne zu wissen, was auf mich zu kam, lenkte ich meine Schritte weiter nach vorne, ich wusste, mein Rudel würde mir folgen, mich jagen. Aber ich würde mich niemals jagen lassen.
Ein leises Knacken ertönte hinter mir, ich sah nicht hin, sondern lief los, sprintete durch den Wald und versuchte einen Weg zu wählen, den ich geradeaus laufen konnte, um nicht ständig mein Tempo zu drosseln.
Plötzlich hörte ich es, ein lautes Heulen. Es war durchdringend und schallte durch den ganzen Wald, aber es war auch nicht vertraut. Es klang so fremd, dass ich nicht wusste, ob ich weiterlaufen, oder lieber stehenbleiben sollte. Ich entschied mich nach kurzem Zögern für Letzteres. Während ich langsamer wurde, entdeckte ich das gesamte Rudel und merkte, dass ich umzingelt war. Gefangen zwischen fremden Wölfen. Ich wandte mich um, sah wie einige Wölfe verbissen in meine Richtung starrten, hörte hinter mir leises Knurren und wusste, es war vorbei. Ich würde hier und jetzt sterben.
Der dunkelgraue, ältere Wolf kam langsam auf mich zu, verwandelte sich einige Meter von mir entfernt zu einem Menschen und sah mich an.
Ich musterte den älteren Mann, der sich mir offenbart hatte. Seine grauen Augen leuchteten vor Energie und sein graues, leicht schütterndes Haar war kurz geschnitten, nur vorne fielen ihm zwei längere Strähnen ins Gesicht und klebten an seiner Stirn.
"Ich weiß, wer du bist, weiße Wölfin. Luna Diamond, Ryans Frau."
Ich schüttelte den Kopf und verwandelte mich ebenfalls in meine menschliche Gestalt.
"Nicht mehr. Ich wurde von ihm hintergangen, doch ich konnte nichts beweisen, sodass ich am Ende fast gestorben wäre, Sir. Und ich weiß, dass Ihr mir genauso wenig Gutes tun wollt wie Ryan. Es gab viele Dinge, die zwischen unseren Rudeln geschehen waren, die es noch zu vergelten gibt, aber ich habe versucht, den Frieden unserer Rudel zu bewahren und jegliche weitere Unannehmlichkeiten von Euch fernzuhalten. Ich habe immer dafür gesorgt, dass nichts weiter eskalierte, dass Streitereien geschlichtet wurden und mein Leben immer nur dem Wohlbefinden aller Wölfe in diesem Wald rund um unser Revier gewidmet. Damit jeder gut leben konnte, wenn es schlechtere Umstände sonst unmöglich gemacht haben.", erwiderte ich selbstbewusst und versuchte, meine Autorität unter Beweis zu stellen.
"Das habt Ihr auch recht gut gemeistert, Luna. Aber... ich muss sagen, es hat nie gereicht. Und wenn Euer Ehemann Euch hinrichten will, so sind wir nicht dagegen. Wir wollen der Hinrichtung nur beiwohnen. Sodass wir uns vergewissern können, dass Euch Eure Strafe auch Zuteil wird."
"Dass Ihr Euch schon immer auf die Seite meines Mannes gestellt habt, beweist mir nur wieder einmal, dass Ihr nie gewillt seid, einen anderen Weg einzuschlagen, wo doch klüger gewählt worden wäre, wenn Ihr Euch für den anderen Weg entschieden hättet. Aber so werdet Ihr auch nie erfahren, warum die Sky Diamonds nur in Kriegen Wolfsleben geopfert haben, auch wenn keine Kriege zu den Zeitpunkten der Tode zumeist sogar waren.", antworte Luna scharf und blitzte ihn mit herausfordernden blauen Augen angriffslustig an.
Der Mann sah sie nachdenklich an.
"Ich weiß, Ihr glaubt, ich weiß vieles davon nicht, weil ich kein Rudelmitglied bin, aber ich kann Euch versichern, dass auch ich einige Informationen über Euer Rudel besitze, die Ihr nicht kennt."
Luna erstarrte vor Schrecken.
"Was wisst Ihr?"
"Dass Eure Tochter Shady Diamond-Reevers daran schuld ist, dass Ihr Euch eurem Todesurteil stellen müsst. Ohne sie gäbe es kein Todesurteil."
Schockiert blinzelte Luna und sah zur Sonne hinauf. Das Licht griff ihre empfindsamen Augen an und die Tränen liefen augenblicklich über ihre Wangen.
Doch nach wenigen Sekunden wusste sie, dass sie als starke Wölfin niemals weinen durfte und wischte sich ruckartig die Tränen weg, straffte die Schultern und sagte:"Dann wird meine Tochter ebenfalls eines Tages sterben. An demselben Tag, an dem meine Hinrichtung stattfinden wird."

Wie wahre Sieger führten mich zwei starke, männliche Wölfe aus dem Runner-Rudel zum Scheiterhaufen. In Ketten gelegt folgte ich ihnen. Mir blieb auch nichts anderes übrig. Die Ketten zwängten mich in eine Position, als würde ich mich beim Gehen verkriechen und sorgten dafür, dass ich kaum Bewegungsfreiheit hatte. Mein Rudel sah entsetzt zu mir.
Sie alle waren überrascht gewesen, dass ich entkommen konnte, aber noch überraschender war meine unfreiwillige Rückkehr.
Einige senkten wieder die Köpfe, diesmal, weil sie es nicht ertragen konnten, mich so zu sehen. Andere, weil sie es nicht sehen wollten.
Mir war klar, es gab kein Entkommen, doch ich versuchte, mir alles genau anzuschauen, ohne dass es jemandem verdächtig auffiel. Es gab einige Lücken zwischen meinen untergebenen Wölfen. Und ich wusste, dass sie mir nutzen würden. Mein Rudel würde mir nichts tun, solange ich die richtigen Lücken wählte und an den richtigen Wölfen vorbeilief.
Ryan stand jedoch vor dem Scheiterhaufen, diesmal auch wieder stolz, aber gleichzeitig auf alles gefasst.
Er schien nicht mehr so selbstsicher zu sein, als wenn er ahnte, dass ich wieder flüchten würde. Ich würde ihm nicht die Genugtuung bereiten, auf die er sich schon so freute, seitdem er mich verurteilt hatte.
Die zwei Wölfe hielten an, ich blieb ebenfalls stehen. Direkt vor dem Scheiterhaufen. Meterhoch war er. Wenn ich einmal ganz oben war, würde ich niemals entkommen können.
Plötzlich trat Shady zu Ryan.
Sie hatte Papier in der Hand. Eine DIN A4 Seite. Eine voll beschriebene DIN A4 Seite. Es sah aus wie ein Brief, aber ich wusste, es war eine Rede.
"Heute ist es nun doch soweit...", begann Shady laut vorzulesen. Es schien, als würde sie denken, dass sie eine wichtige Rolle bei meiner Hinrichtung spielte. Würde sie nicht, wird sie nicht.
Sie ist meine Tochter. Niemals würde sie mich wirklich so verraten, wie es mir zuvor gesagt worden war.
Niemals.
Das würde sie nicht.
Aber in meinem Inneren wusste ich, dass sie es würde. Sie würde dich auch eigenhändig umbringen, wenn Ryan sie lassen würde. Aber er würde es nicht zulassen, weil er selbst der Henker sein möchte.

Die einsame Wölfin ~ Freiheit des Lebens*wird überarbeitet und weitergeschriebenWhere stories live. Discover now