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„Und du hast von diesem James noch keinen Nachnamen herausfinden können?!"

Zum ersten Mal seit Beginn dieses Einsatzes war ich froh darüber, Gespräche mit meinen Kollegen nicht in Person, sondern nur übers Telefon abhalten zu können. So sahen sie wenigstens nicht das zentnerschwere Schuldbewusstsein, das sich bei Fragen dieser Art auf meinem Gesicht abzuzeichnen begann. Fragen, die ich mir selbst schon oft genug gestellt hatte, um deren Antworten ich mich jedoch verbissen herumdrückte, weil ich genau wusste, dass sie mir nicht gefallen würden.

Und Harry war Meister darin, genau solche Antworten einzufordern.

„Nein, leider nicht. Es hat sich ... noch keine Gelegenheit dazu ergeben." Mühsam versuchte ich, meine Stimme neutral zu halten, den Blick fest auf den gepflasterten Gehweg vor mir gerichtet.

Nachdem ich außerhalb von James' Sichtweite gewesen war, hatte ich mir sofort das Handy geschnappt und Harry angerufen, der seit meiner letzten Nachricht ja nichts mehr von mir gehört und demnach schon wie auf heißen Kohlen gesessen hatte.

Nun schob ich mein Fahrrad durch die frühmorgendlich finsteren Straßen der Stadt, das Handy am Ohr und versuchte angestrengt, mich aus der Affäre zu reden, wenn es um die fehlenden Informationen zu James ging, auf denen Harry gerade herumhackte.

Es war ja nicht so, dass ich überhaupt nicht nach seinem Familiennamen Ausschau gehalten hätte. Natürlich hatte ich das.

Allerdings musste ich durchaus zugeben, nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt zu haben, mithilfe derer ich ihn innerhalb von Sekunden in Erfahrung bringen hätte können.

So wäre zum Beispiel schon einige Male James' Rucksack für längere Zeit mitten im Personalraum umhergestanden, ebenso sein Geldbeutel oder sein Handy, aber nie hatte ich mich dazu überwinden können, tatsächlich in seinen Sachen zu wühlen. Dafür waren meine Hemmungen, sein Vertrauen auszunutzen, viel zu groß.

„Keine Gelegenheit?" Wie erwartet war der Unglauben in Harrys Stimme beinahe greifbar.

Verübeln konnte ich es ihm definitiv nicht – wären unsere Rollen vertauscht, würde ich ebenfalls fassungslos den Kopf schütteln und ihn fragen, ob er denn den ganzen bisherigen Einsatz über Däumchen gedreht und verträumt an die Decke gestarrt hatte.

Nun ja, mit Starren war ich definitiv beschäftigt gewesen. Nur war eben nicht wirklich die Decke mein Ziel gewesen.

„Niall, du arbeitest dort jetzt schon seit etwas mehr als einer Woche!" Nun hatte sein Tonfall eine unverkennbar forschende Note angenommen. „Wie kann es sein, dass du noch immer keine Ahnung vom Nachnamen von deinem Arbeitskollegen hast? Von diesem Malik-Typen konntest du ihn ja auch herausfinden!"

Ich stöhnte genervt. „Es hat sich eben nicht ergeben! Oder soll ich meine Deckung riskieren und halsbrecherisch in seinen Kram herumschnüffeln, wenn er im gleichen Raum ist?"

Eine ganze Weile verfiel Harry in Schweigen. Er schwieg sogar so lange, dass ich schon erleichtert aufatmen und annehmen wollte, dass er das Thema nun endlich fallengelassen hatte – doch so viel Glück hatte ich natürlich nicht.

„Sag mal, Niall ...", begann mein Kollege erneut, diesmal ganz langsam und bedächtig, und da ahnte ich schon, dass dieses Gespräch nun in eine nicht allzu erwünschte Richtung abdriften würde. Genauer gesagt, vermutlich in genau diese eine Richtung, mit der ich absolut nichts zu tun haben wollte.

„Kann es sein, dass du seinen Nachnamen nicht herausfinden willst?"

Geschlagen schloss ich die Augen. Da hatte ich den Salat ja schon.

Undercover (Niam)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt